Deportiert auf Lebenszeit. Marcus Andrew Hislop Clarke
selbst vielleicht nicht genau beobachtet wurden. Die »Alten,« welche schon solche Reise mitgemacht hatten, waren aufmerksam geworden und hatten Verdacht, sagten aber nichts, denn wahrscheinlich würden doch die Schwächlichen und Kränklichen zuerst ergriffen und dann war ja für sie mehr Raum. So waren sie ganz zufrieden.
Drei von diesen Alten sprachen zusammen gerade hinter der Abtheilung der Koje, in der Dawes lag. Wie vorher gesagt wurde, waren die Kajüten fünf Fuß im Quadrat und enthielten jede sechs Mann. Nummer zehn, in welcher Dawes schlief, lag gerade in der Ecke, die von dem Steuerbord und den Mittelkojen gebildet wird und dahinter war ein kleiner Raum, in welchem sich das Fenster befand. Er hatte gerade jetzt nur drei Kameraden, denn John Rex und der Cockney-Schneider waren in das Hospital gebracht. Die drei Uebriggebliebenen waren die drei Männer, welche in diesem Augenblicke, in tiefe Unterhaltung versunken, in dem kleinen Fensterraum steckten. Der Riese, derselbe, der gestern die Ruhe wieder hergestellt hatte, schien das Haupt zu sein. Sein Name war Gabbett. Er war ein rückfälliger Sträfling, der jetzt auf dem Wege war, seine zweite Strafe wegen Straßenraubs anzutreten. Die andern Beiden waren ein Mann, Namens Sanders, der bekannt war als der Schnüffler und Jemmy Vetch, »die Krähe«. Sie flüsterten mit einander, doch konnte Rufus, der mit seinem Kopf dicht an der Holzwand lag, viel von dem verstehen, was sie sagten.
Zuerst war die Rede von dem brennenden Schiff und von der Möglichkeit der Rettung der Schiffsmannschaft. Dann erzählten sie Erlebnisse und Abenteuer von Schiffsbrüchen und endlich sagte Gabbett etwas, das den Horcher aus seinem halben Träumen und Schlafen zu klar bewußtem Wachen aufschreckte.
Sein eigener Name wurde genannt und zwar mit dem der Frau zusammen, welche er gestern auf dem Quarterdeck getroffen hatte.
»Ich sah sie mit Dawes gestern sprechen,« sagte der Riese mit einem Fluch. »Wir wollen Keinen mehr dabei haben. Ich will meinen Hals nicht wegen der Narrheiten von Rexens Weib wagen und das werd’ ich ihr sagen.«
»Es war nur etwas wegen des Kindes,« sagte die Krähe in ihrer eleganten Weise. »Ich glaube, sie hat ihn früher nie gesehen. Sie hält fest an Jack und läßt sich so leicht nicht mit einem Andern ein.«
»Wenn ich wüßte, daß sie uns verrathen wollte, ich würde ihr den Hals abschneiden, je eher, desto lieber,« brummte Gabbett ärgerlich.
»Da würde Jack auch ein Wort mitsprechen,« näselte der Schnüffler, »und der ist ein schlimmer Geselle, um mit ihm zu zanken.«
»Na, halte Deinen Rachen,« brummte Gabbett, »und schwatzt nicht weiter. Wenn wir von Geschäften sprechen wollen, so laßt es auch Geschäfte sein.«
»Was sollen wir thun,« fragte der Schnüffler jetzt, »Jack ist krank und das Mädchen wird ohne ihn sich nicht rühren.«
»Ja,« sagte Gabbett, »das ist schlimm.«
»Lieben, Leuten Freunde,« sagte die Krähe, – »meine verehrten und christlichen Freunde; es ist sehr zu beklagen, daß die Natur, als sie Euch solche dicken Schädel ab, nicht mehr hinein that. Ich sage Euch, – jetzt ist es Zeit. Jack ist im Hospital, – was schadet das. Es macht die Sache für ihn nicht besser. – Ganz und gar nicht, und wenn er Messer und Gabel niederlegt, so wird das Mädchen, glaube ich, sich nicht mehr rühren. Sie thut es doch nur um seinetwillen he?«
»Ja,« sagte Gabbett, wie Jemand, der nur halb überzeugt ist, »das glaube ich wohl.«
»Um so mehr Grund es schnell abzumachen. Noch eins, wenn die Burschen erst wissen, daß das Fieber ausgebrochen ist, dann sollt Ihr sehen, was es für einen Lärm gibt. Dann werden Alle bereit sein, zu uns zu stoßen. Wenn wir nur erst das Ding, den Schießprügel haben, dann sind wir zehn Mal so viel werth.«
Diese Unterhaltung die von Flüchen unterbrochen und mit Ausdrücken der Diebssprache gemischt war, hatte ein brennendes Interesse für Rufus. Bisher hatte er sich zurückgehalten von den Schurken, die ihn umgaben und hatte ihre ihm gräuliche Zuvorkommenheit zurückgewiesen, weil seine Verzweiflung und seine finstere Stimmung über sein unglückliches Schicksal, und die schnelle Verurtheilung, die ihn in’s Gefängnis gebracht, ihn schwer niederdrückten. Bon dem Tode seines Vaters und seinen dadurch veränderten Glücksumständen wußte er ja nichts.
Jetzt sah er seinen Irrthum ein. Er wußte, daß welchen Namen er auch früher getragen, derselbe jetzt gänzlich ausgelöscht war, daß von dem alten Leben jede Spur durch das Feuer des Hydaspes verzehrt worden war. Das Geheimniß, um dessentwillen Richard Devine seinen Namen aufgegeben und sich einem fürchterlichen und schmählichen Tode ausgesetzt hatte, war nun für immer gesichert. Richard Devine war todt; verloren gegangen auf der See mit der Mannschaft des unglücklichen Schiffes, in welchem seine Mutter ihn in Folge eines von ihm geschickt verfaßten Briefes auf der Reise nach Indien glaubte. Richard Devine war todt und das Geheimniß seiner Geburt war mit ihm begraben. Rufus Dawes, der Deportierte Verbrecher, der im Verdacht des Mordes stand, lebte, um sich seine Freiheit wieder zu verschaffen, um seine Rache zu üben. Mächtig durch die schrecklichen Erfahrungen in dem Gefängnis, mochte es ihm vielleicht gelingen Beides zu erreichen, trotz Kerker und Kerkermeister.
Mit glühendem Hirn und schwerem Kopfe horchte er eifrig auf das fernere Gespräch. Es schien, als ob das Fieber, das in ihm raste, seine gröberen Sinne gefangen hielt und ihm dafür das feinste Gehör gegeben.
Er war sich bewußt, krank zu sein. Seine Knochen schmerzten, seine Hände brannten, sein Kopf hämmerte, aber er konnte deutlich hören und er konnte über das, was er hörte, nachdenken.
»Aber wir können ohne das Mädchen nichts machen,« sagte Gabbett. »Sie muß die Wache besorgen und uns das Wort geben.«
Die bleichen Züge der Krähe belebten sich etwas und er grinste schlau. »Alter Handelsmann! Hört wie der Kaperer spricht,« sagte er. »Als ob er die Weisheit Salomons geschluckt hätte. Seht hier.« Damit zeigte er ein schmutziges Stückchen Papier, über das seine Gefährten eifrig die Köpfe beugten.
»Wo hast Du es her?«
»Gestern Nachmittag stand Sara aus dem Hinterdeck und warf den Möwen Brotkrumen hin. Da sah ich, daß sie scharf nach mir blickte. Endlich kam sie ganz nahe an die Barrikade und warf Krumen nach unserer Seite in die Höhe. Nach einer Weile kam ein ziemlich dickes Stück herüber, rund gedrückt und fiel gerade vor meine Füße. Das steckte ich ein. Inwendig war dieser Zettel.«
»Ach,« sagte Gabbett, – »das ist vernünftig. Lies es Jemmy.«
Die Handschrift war, wenn auch weiblich, so doch fest und deutlich. Sara hatte augenscheinlich an den Bildungsgrad ihrer Freunde gedacht und so geschrieben, um ihnen nicht zu viel Mühe beim Lesen zu verursachen.
»Alles ist in Ordnung. Paßt auf, wenn ich morgen Abend beim dritten Glas heraufkomme. Wenn ich mein Taschentuch fallen lasse, so geht an’s Werk zu der Stunde, die bestimmt ist. Die Wache wird in Sicherheit sein.«
Rufus Dawes, dessen Augenlider zufielen und dessen Glieder von fürchterlicher Müdigkeit fast gelähmt waren, horchte begierig auf jedes Wort. Sara Purfoy war im Bündniß mit den Gefangenen, war selbst die Frau oder die Geliebte Eines derselben. Sie war mit dem Plan an Bord gekommen ihn zu befreien, und dieser Plan sollte jetzt in’s Werk gesetzt werden. Er hatte von den Gräueln gehört, welche Meuterer begangen, die vom Erfolg begünstigt waren.
Eine Geschichte dieser Art nach der andern hatte oft die entsetzlichste Lustigkeit in dem Gefängnisse hervorgerufen. Er kannte den Charakter der drei Schurken, die, nur durch eine zweizöllige Planke von ihm getrennt, über ihre Aussicht auf Befreiung und Rache scherzten. Obgleich er sich wenig mit seinen Gefährten zu schaffen machte, so wußte er doch, was diese, seine Kajütskameraden, ausrichten würden, wenn sie ihre Rache an den Kerkermeistern ausließen.
Zwar war das Haupt dieses schrecklichen Bundes, John Rex, der Fälscher, nicht dabei, aber seine beiden Gehilfen, der Straßenräuber und der Ausbrecher, waren da und der schmächtige Mann, Krähe genannt, der freilich nicht den Kopf seines Meisters hatte, ersetzte seinen Mangel an starken Muskeln und an Kraft durch eine katzenartige Schlauheit und durch eine teuflische Behendigkeit und Geschicklichkeit, der nichts gleich kam. Und mit einem so mächtigen Verbündeten draußen, wie dies falsche Kammermädchen, war die Aussicht aus Erfolg sehr bedeutend. Es waren ihrer hundertundachtzig