Deportiert auf Lebenszeit. Marcus Andrew Hislop Clarke
blonde Mädchen, das ihm so voller Vertrauen entgegen gelaufen war und schauderte.
»Nun,« sagte die Krähe, spöttisch lachend, »sieht das nun danach aus, als ob das Mädchen uns eine Nase dreht?«
»Nein,« sagte der Riese und streckte seine Arme aus, wie man sich wohl in der Sonne zu dehnen pflegt. »Das ist recht, das ist gut. Das ist eine Sache!«
»England! – Heimath! – Schönheit,« rief Vetch mit pathetischer Geberde, die so lächerlich wenig zu der Sache paßte, von der die Rede war.
»Du möchtest wohl wieder nach Hause, – nicht so, alter Herr, wie?«
Gabbett wandte sich ärgerlich zu ihm. Seine niedrige Stirn gerunzelt, wie in wüsten Erinnerungen.
»Du,« sagte er.
»Du denkst wohl die Kette ist ein Vergnügen? Aber ich bin da gewesen; ich kenne die Geschichte und weiß, was es heißt.«
Sie waren einige Minuten still. Der Riese schien in düstere Gedanken versunken zu sein und die beiden Andern tauschten bezeichnende Blicke. Gabbett war zehn Jahre in der Strafkolonie von Macquarie Harbour gewesen und er theilte Keinem seiner Gefährten seine Erfahrungen mit. Wenn er sich in solche Erinnerungen vertiefte, so überließen ihn seine Freunde gewöhnlich sich selbst. Rufus Dawes verstand das plötzliche Schweigen nicht. Er horchte angestrengt, alle seine Sinne waren auf’s Aeußerste angespannt, so ergriff ihn diese plötzliche Unterbrechung der Unterhaltung. Alte Artilleristen sagen, daß wenn sie Tage lang in den Schanzgräben an das fortwährende Donnern der Kanonen sich gewöhnt haben, sie bei einer plötzlichen Pause im Feuern fast einen Schmerz empfinden. Etwas Aehnliches empfand Rufus jetzt. Seine Fähigkeit zu hören und zu denken, auf’s Höchste gespannt, versagte jetzt den Dienst. Es war, als ob ihm jede Stütze plötzlich genommen wäre. Die Anregung von außen fehlte plötzlich und so versagten ihm seine Sinne. Er fühlte, wie das Blut ihm in die Augen und in die Ohren schoß. Er machte irgend eine übernatürliche Anstrengung, um sein Bewußtsein zu bewahren, aber mit einem schwachen Schrei, den er nicht unterdrücken konnte, fiel er zurück und schlug mit dem Kopf gegen die Ecke der Koje.
Das Geräusch war von dem Straßenräuber vernommen worden. Es war Jemand in der Koje. Die Drei sahen einander in die Augen mit der Angst der Schuldigen, dann stürzte Gabbett um die Bohlenwand herum.
»Es ist Dawes,« sagte der Schnüffler. »Wir hatten ihn vergessen.« »Er wird zu uns gehören, Kamerad, – gewiß,« rief Vetch, der Blutvergießen fürchtete. Gabbett stieß einen fürchterlichen Fluch aus, stürzte sich auf den Unglücklichen und zog ihn mit dem Kopf voran auf den Boden. Der plötzliche Schwindel, der Rufus erfaßt hatte, rettete sein Leben. Der Räuber faßte mit einer sehnigen Hand in sein Hemde und die Knöchel ihm in den Puls drückend, wollte er eben einen Schlag führen, der ihn für immer still gemacht hätte, als Vetch ihm in den Arm fiel. »Er hat geschlafen. Schlage ihn nicht. Er ist noch nicht aufgewacht!« Andre sammelten sich im Kreise. Der Riese ließ los, eher der Deportierte stöhnte nur ein wenig und dann fiel sein Kopf wie leblos auf die Schulter.
»Du hast ihn todt gemacht,« schrie Einer.
Gabbett blickte noch ein Mal in das dunkelrothe Gesicht und auf die Stirn voller Schweißtropfen, dann sprang er plötzlich auf und rieb seine rechte Hand, als wenn etwas daran klebte.
»Er hat das Fieber!« brüllte er mit entsetztem Gesicht.
»Was?« schrieen zwanzig Stimmen.
»Das Fieber ihr, grinsenden Narren,« rief Gabbett. »Ich habe das schon früher gesehen. Der Typhus ist an Bord und er ist der vierte Mann, der ihn hat.«
Der Kreis der wilden Gesichter, die eifrig auf die zu erwartende Schlägerei geblickt hatten , wurde größer und größer, als dies Allen etwas unverständliche, aber entsetzliche Wort gesprochen wurde. Es war, als ob eine Bombe zwischen sie gefallen wäre. Rufus Dawes lag schwer athmend, aber ganz bewegungslos auf dem Boden. Die wüsten Gesellen starrten den Körper an. Das Gerücht verbreitete sich schnell durch das Gefängnis und Jeder beugte sich zu ihm nieder, um ihn prüfend zu betrachten. Plötzlich stieß Rufus einen tiefen Seufzer aus, drehte sich um, richtete sich etwas auf, indem er sich auf seine Arme stützte und versuchte zu sprechen. Aber kein Laut kam aus seinen krampfhaft verzogenen Lippen hervor.
»Es ist vorbei mit ihm,« sagte der Schnüffler roh. »Er hat nichts gehört, darauf will ich wetten. Das Geräusch der schweren Riegel, welche zurückgeschoben wurden, unterbrach die Leute. Die erste Abtheilung kam vom Deck herunter. Die Thüre wurde ausgerissen und die in der Sonne blitzende Waffe der Schildwache warf einen Schein bis in das Gefängnis. Dieser Sonnenstrahl, der bis in stinkende, stickige Gefängnis drang, erschien wie ein Spott auf das Elend derer, die dort sich aufhielten. Es war alt ob der Himmel sie angelacht hätte.
Die Menge, plötzlich erregt durch einen Gedanken, wie oft Massen belebt und zu Handlungen antreibt, stürzten sich wie ein Mann nach der Thür. Das Innere des Gefängnisses hatte in diesem Augenblick mit allen den nach der Thür gewandten Gesichtern ein ganz andres Ansehen. Die Dunkelheit wurde so zu sagen plötzlich erhellt durch alle die hochgehobenen Hände.
»Luft! Luft! Gebt uns Luft!«
»Seht Ihr,« sagte Sanders zu seinen Gefährten. »Ich dachte wohl, daß diese Nachricht sie aufregen würde.«
Gabbett, dessen Blut beim Anblick der wilden Gesichter und der blitzenden Augen hoch aufwallte, wollte sich schon mit den Leuten nach vorn stürzen, als Vetch ihn zurückhielt.
»Es wird sogleich vorüber sein,« sagte er. »Das ist nur ein Anfall!« Er sprach wahr. Durch den Lärm hindurch hörte man das Klirren der Waffen ; die Wachen fällten das Gewehr. Da drückten sich die Graujacken bei Seite, denn sie sahen die Flintenläufe. Es entstand eine augenblickliche Pause, dann schritt der alte Pine das Gefängnis hinab zu Rufus und kniete neben ihm nieder. Der Anblick des ihnen Allen so bekannten Mannes, der ruhig seine gewohnte Pflicht that, stellte schnell die Unterwürfigkeit wieder her, welche das Resultat enger Disziplin ist. Die Deportierten krochen zurück in ihre Kojen, oder liefen, um dem ,Doktor zu helfen, wobei sie sich ganz ungewöhnlich gehorsam anstellten. Das Gefängnis war wie ein Schulzimmer in das plötzlich der Schullehrer eingetreten.
»Zurück, Ihr Jungen! Hebt ihn auf, zwei von Euch, und tragt ihn an die Thür. Der arme Kerl thut Euch keinen Schaden!«
Seine Befehle wurden erfüllt und der alte Mann wartete, bis sein Patient draußen in Empfang genommen war, dann hob er die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sagte: »Ich sehe, daß Ihr schon wißt, was ich Euch sagen wollte. Das Fieber ist ausgebrochen. Der Mann hat es bekommen. Es wäre dumm, wenn man dächte, daß es sonst Niemand bekommen würde. Ich kann es vielleicht selbst bekommen. Ihr liegt hier sehr eng, das weiß ich, – aber Kinder, ich kann es nicht ändern. Ich habe das Schiff nicht gemacht, das wißt Ihr.«
»Hört, hört!«
»Es ist sehr schlimm, aber Ihr müßt Euch ordentlich und ruhig verhalten und es wie Männer tragen. Ihr wißt, was Disziplin bedeutet, und daß es nicht in meiner Macht steht, sie zu ändern. Ich werde zu Eurem Besten thun was ich kann, und ich hoffe nur, Ihr werdet mir beistehen.«
Und sein graues Haupt stolz erhebend, ging der brave, alte Mann durch die Reihen entlang aus der Thür hinaus, ohne nach rechts oder links zu blicken.
Er hatte grade genug gesagt und erreichte die Thüre, während die Leute ihm zuriefen: »Hört, hört! Bravo! Hoch dem Doktor!« u.s.w. Als er hinaus war, athmete er tief auf. Er hatte eine heiklige Aufgabe gelöst, das wußte er.
»Hör’ nur,« brummte der Schnüffler aus seinem Winkel, »sie geben dem Blutsauger ein Hurrah!«
»Warte nur,« erwiderte der klügere Jemmy. »Gib ihnen nur Zeit. Ehe die Nacht vorüber ist, haben’s noch drei oder vier in den Knochen und dann wollen wir sehen!«
Achtes Capitel.
Eine gefährliche Krisis
Spät am Nachmittage erwachte Sara Purfoy von ihrem unruhigen Schlummer.
Sie hatte von der That geträumt, die sie ausführen wollte und war glühend heiß und fieberte. Sie dachte wohl