Deportiert auf Lebenszeit. Marcus Andrew Hislop Clarke
von sich fort, während er seine Stirn mit der andern Hand wischte. Ihr Zeichen war gesehen worden. Während dieser Zeit lag Rufus Dawes, der in’s Hospital gebracht war, flach auf seinem Rücken und starrte auf die Decke über sich und versuchte, sich an etwas zu erinnern, das er sagen wollte. Als die plötzliche Ohnmacht, welche der Anfang seiner Krankheit war, ihn überfiel, erinnerte er sich, aus seiner Koje gerissen zu sein. Wütende Gesichter hatten ihn angesehen und irgend eine Gefahr hatte ihm gedroht.
Er erinnerte sich, daß, als er so da gelegen im halben Fiebertraum, er irgend etwas gehört habe, das von der größten Wichtigkeit für ihn und das Schiff, – aber was es gewesen, war ihm gänzlich entschwunden. Vergebens versuchte er, es sich zurückzurufen, vergebens suchte er sich, vermöge seines Willens, im heftigsten Kampfe mit dem Delirium, das seine Sinne fesselte, Worte oder Gedanken zurückzurufen. Alles entschlüpfte ihm wieder, sowie er es zu fassen glaubte. Er fühlte sich wie erdrückt von dem Gewicht dieser halben Erinnerungen.
Er wußte, daß eine schreckliche Gefahr ihn bedrohe; er wußte, daß wenn er nur zehn Minuten hinter einander klar denken könne, er solche Auskunft geben würde, die ihn und das Schiff aus dieser Gefahr erretten sollte. Aber er lag da mit heißem Kopfe, trocknen Lippen und schwachem Körper und fühlte sich wie verzaubert. Er konnte weder Hand noch Fuß bewegen. Der Platz, wo er lag, war nur schwach erleuchtet. Pine hatte eine Art von Leinwandzelt erfunden, das vor der Thür hing, so daß die Sonne nicht in die Kabine scheinen konnte. Dies Zelt nahm fast alles Licht fort. Er konnte nur grade die Decke über seinem Kopf sehen und drei andre Kojen unterscheiden, die der Seinen ähnlich waren. Das einzige Geräusch, das die Stille unterbrach, war der gurgelnde Ton des Wassers unter dem Schiff und das Klopfen von Pine, der neue Krankenabtheilungen zurecht zimmerte. Bald hörte auch das Klopfen auf und Rufus unterschied jetzt das Stöhnen und Aechzen der andern Kranken, die mit ihm in derselben Kajüte lagen, – ein Zeichen, daß seine Gefährten noch lebten.
Plötzlich rief eine Stimme: »Freilich sind seine Wechsel vierhundert Pfund werth; aber lieber Herr, vierhundert sind für einen Mann in meiner Lage nichts nutze. Ich habe vierhundert Pfund für eine Laune von meiner Sara ausgegeben. Ist das Recht, Du Jezabel? Sie ist ein gutes Mädchen, ein sehr gutes Mädchen. Mrs. Lionel Crofton von Croft von Seven-Oaks-Kent-Seven-Oaks-Kent-Seven-Oaks.«
Ein Lichtstrahl brach in Rufus gequältes Gehirn. Der Mann war John Rex, sein Gefährte. Mit Anstrengung rief er:
»Rex!«
»Ja, ja, ich komme; seid nur nicht so eilig. Die Schildwache ist ganz sicher und die Haubitze steht nur fünf Schritte von der Thür. Ein Sturm auf Deck und das Schiff ist unser – Burschen! Nein meines ist es, mein und meiner Frau gehört’s. Mrs. Crofton von Seven-Oaks, nein – Croft von Oaks, nein Sara Purfoy, Kammermädchen und Wärterin – ha – ha – Kammermädchen, – Wärterin!«
Dieser letzte Satz war der Schlüssel zu dem Labyrinth, in dem Rufus in seinem vom Fieber gequälten Zustande umhergewandert war. »Sara Purfoy.« Jetzt war ihm plötzlich jedes Wort der Unterhaltung gegenwärtig, die er belauscht hatte und wie dringend war es, daß er augenblicklich die Verschwörung entdeckte, die das Schiff bedrohte.
Wie diese Verschwörung in’s Werk gesetzt werden sollte, daran dachte er weiter nicht. Er war sich nur bewußt, daß er an dem Rande des Deliriums schwebte, und daß er seine Mittheilung machen mußte, ehe sein Bewußtsein ganz verloren ging.
Er machte einen Versuch aufzustehen, aber seine Glieder versagten ihm vollständig den Dienst. Er wollte sprechen, aber seine Zunge klebte am Gaumen und seine Kinnladen waren nicht zu öffnen. Er konnte keinen Finger rühren und keinen Ton hervorbringen. Die Bretter über seinem Kopf schienen hin und her zu schwanken und die ganze Kajüte, wirbelte im Kreise herum, während der Lichtschein zu seinen Füßen auf und nieder flackerte wie das Licht einer Kerze. Er schloß seine Augen mit einem tiefen Seufzer der Verzweiflung und er ab sich in sein Schicksal. In diesem Augenblick hörte das Zaudern auf und die Thür öffnete sich. Es war sechs Uhr und Pine war gekommen, um noch einen Blick aus seine Patienten zu werfen. Es war noch Jemand bei ihm, denn eine freundliche, etwas gemessene Stimme sprach von der mangelhaften Einrichtung und der »Nothwendigkeit, der absoluten Nothwendigkeit, sich nach den Königlichen Anordnungen zu richten.«
Der ehrliche Vickers, obgleich er in Todesangst wegen seines Kindes schwebte, wollte in nichts seine Pflicht versäumen und war gekommen, um die Kranken zu besuchen. Freilich wußte er, daß er dieses Besuches wegen, sein eigenes krankes Kind nicht sehen durfte. Mr. Vickers hatte oft in den Garnisonsgesellschaften sich selbst beklagt und bedauert, weil »der gute John solch ein Sklave der Disziplin und des Dienstes sei.«
»Hier sind sie,« sagte Pine. »Ihrer sechs. Dieser Mann,« dabei ging er zu Rex heran, »ist am schwersten krank. Wenn er nicht eine Constitution wie ein Pferd hätte, würde er diese Nacht nicht mehr überleben.« »Drei, achtzehn, sieben, vier,« murmelte Rex, »trage Einen. Ist das eine Beschäftigung für einen Herrn? Nein Herr. Gute Nacht mein Lord, gute Nacht! Höre es schlägt neun, fünf sechs, acht! Ihr habt Eure Vergnügen gehabt und könnt Euch nicht beklagen.« »Ein gefährlicher Kerl,« sagte Pine, mit der hochgehobenen Laterne. »Ein sehr gefährlicher Kerl, – das heißt – das war er. Sehen Sie sich den Platz an; es ist ein wahres Rattenloch. Was soll man aber machen?« »Lassen Sie uns auf Deck gehen,« sagte Vickers schaudernd. Rufus Dawes fühlte den Angstschweiß in großen Tropfen auf seiner Stirn stehen. Sie ahnten nichts. Sie gingen wieder fort. Er muß sie warnen. Und mit übermäßiger Anstrengung wendet er sich in seine Koje herum und streckt die Hand weit aus seiner Decke heraus. »Hallo, was ist das?« ruft Pine und bringt ihm die Laterne näher. »Liegt still, Mann. Wasser, – ja – ja; da nehmt!« Und er hält den Becher an die trockenen, schwarzen Lippen. Der kühle Trunk befeuchtete ihm den trockenen Gaumen und der Deportierte machte eine letzte Anstrengung, um zu sprechen. »Sara Purfoy – heute Nacht – Gefängnis – Meuterei!!« Das letzte Wort, in der verzweifelnden Anstrengung des Unglücklichen fast herausgeschrieen, bringt John Rex wieder etwas zum Bewußtsein. »Still,« ruft er. »Bist Du es Jemmy? Sara hat Recht. Wartet bis sie das Zeichen gibt?«
»Er phantasiert,« sagt Vickers. Pine schüttelt den Deportierten an den Schultern. »Was sagst Du mein Mann? Eine Meuterei unter den Gefangenen?«
Rufus Dawes machte mit festgeschlossenen Händen und offenem Munde da liegend eine neue Anstrengung um wenigstens bejahend zu nicken, denn er war unfähig zu sprechen, – aber sein Kopf fiel auf seine Brust. Im nächsten Augenblicke schon schwanden das flackernde Licht, das düstere Gefängnis, das angstvolle Gesicht des Doktors und das erstaunte Gesicht von Vickers vor seinen umnachteten Sinnen. Er sah, wie die beiden Männer sich anstarrten in Unruhe und Zweifel, und dann schwamm er dahin auf dem kühlen, dunklen Strom seiner Kindheit und wollte mit Sara Purfoy und Lieutnant Frere zusammen eine Meuterei anstiften, um sich des Hydaspes zu bemächtigen, der im alten Hause zu Hampstead lag.
Neuntes Capitel.
Die Waffen einer Frau
Die Beiden, welche das schreckliche Geheimnis entdeckt hatten, hielten Rath mit einander. Vickers wollte die Wachen aufrufen und den Gefangenen ankündigen, daß eine Verschwörung entdeckt sei, aber Pine, der sich besser auf Deportiertenschiffe verstand, verwarf dies gänzlich. »Sie kennen die Burschen nicht so gut, wie ich sie kenne,« sagte er.
»Zuerst ist es auch möglich, daß gar keine Meuterei beabsichtigt ist. Vielleicht ist die ganze Geschichte eine Albernheit von dem Burschen, dem Dawes und wenn wir erst den Kerls den Gedanken an eine Meuterei in den Kopf setzen, so ist gar nicht zu sagen, was noch geschieht.«
»Aber der Mann schien ganz fest und seiner Sache sicher zu sein,« sagte der Andre. »Er erwähnte auch meiner Frau Mädchen.«
»Und wenn er es that? Ich glaube, daß er wahr gesprochen hat. Ich konnte niemals den Blick des Mädchens leiden. Aber wenn wir ihnen sagen, daß wir dies Mal ihr Vorhaben entdeckt haben, so wird sie das nächste Mal nicht abhalten, es wieder zu versuchen. Wir kennen ja auch ihren Plan nicht.« Wenn es eine Meuterei ist, so kann das halbe Schiff dabei betheiligt sein. Nein, Kapitain Vickers, ich habe als Oberarzt unser Handeln zu bestimmen. Sie wissen, daß – — «
»Daß den Königlichen Befehlen gemäß, Sie mit der vollen Macht betraut