Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
komm –!«
Da unterbrach ein dumpfer Glockenton
die reinen, feinen Stimmen jener Welt.
Ich richtete mich halb im Bette auf –
und sah viel Sterne durch mein Fenster glühn ...
und sank zurück. Und weiter floß die Nacht.
Der Besuch
Wie doch ein Traum so traurig stimmt,
wenn unser Geist Vergangenheit
und Gegenwart als Eines nimmt!
Ich saß bei dir im Brautgemach
und sprach von deinem Bräutigam,
und wie so alles anders kam ...
Und lachte hell und scherzte laut ...
Doch endlich ward mein Sinn zu schwer –
du warst ja eines andern Braut!
Ein Garten lag vor deinem Haus,
da trug ich meinen Schmerz hinein
und weinte meine Wehmut aus.
Und als ich wiederkam, da schien,
als ahntest du, was mich erregt,
und selber wardst du sanft bewegt.
Dein Mütterlein umfing mich still,
sie wußt' um die geheime Lieb',
die stumm in mir ihr Wesen trieb.
Wir setzten uns den Tisch umher ...
Du hattest alles selbst gekocht –
doch mir, mir mundete nichts mehr.
Das Bild
Aus seinem Rahmen trat dein Bild
und schlang den Arm mir ums Genick –
und, eingewurzelt Blick in Blick,
durchgingen wir ein fremd Gefild ...
Und gingen stumm und unverwandt
und tranken unsrer Seelen Glanz
und wurden eine Seele ganz
und fühlten, was wir nie gekannt ...
Da schlug ein Lärm an unser Ohr –
ich sprach ein Wort – du fuhrst zurück –.
Zerflossen war das kurze Glück,
und alles wieder wie zuvor.
Malererbe
Die Spanne, die nicht Träumen ist noch Wachen,
beschenkt mich oft mit seltsamen Gedichten:
Der Geist, erregt, aus Chaos Welt zu machen,
gebiert ein Heer von landschaftlichen Sichten.
Da wechseln Berge, Täler, Ebnen, Flüsse,
da grünt ein Wald, da türmt es sich graniten,
da zuckt ein Blitz, da rauschen Regengüsse,
und Mensch und Tier bewegen sich inmitten.
Das sind der Vordern fortgepflanzte Wellen,
die meinen Sinn bereitet und bereichert,
das Erbe ihrer Form- und Farbenzellen,
darin die halbe Erde aufgespeichert.
Das Äpfelchen
Auf einer Wiese, der sich hier und dort
ein reich beschwerter Apfelbaum enthob,
ergötzten wir, ein Häuflein Freunde, uns,
mit grünem Obst uns scherzend zu bekriegen.
Ich lag im Gras, entsandte, deckte mich,
erspähte Blößen, wurde selbst getroffen –
da plötzlich stand, wer weiß, woher sie kam,
die Liebste meiner Knabenzeit vor mir
und winkte, wie zu zarter Fehde fordernd,
mir zu, – daß ich ein unreif Äpfelchen
gemeßnen Schwungs nach ihrer Wange schickte.
Oh wie viel Liebe da aus ihren Augen,
aus ihrem Lächeln brach, als, leicht errötend,
sie sich ein wenig nun herunterbeugte
und schelmisch drohte – wieviel tiefe Liebe!
Mein Auge floh vor so viel süßem Glück,
und sehnend streckt' ich meine Rechte aus
und faßte ihres Kleides reinen Saum,
ihn, wie aus Reue meiner Tat, zu küssen.
Da ging mein Glück wie ein Gewebe auf ...
Und andre Bilder spann mein träumend Hirn.
Rosen im Zimmer
Ich stand, eine Vase
voll üppiger Rosen,
auf einer Konsole
am Lager der Liebsten
und goß überschwengliche
Gluten und Düfte
ins mondige Dämmer
der magdlichen Kammer.
Aufseufzte das Mädchen
und streckte das weiße
Gelenk ihrer Linken
nach mir und umschloß mich
und hob mich hinüber –
und alles im Schlafe.
Da schwankte die Vase,
und all meine Rosen
entfielen ihr lodernd
und hüllten in Purpur
das brüstliche Linnen:
Aufschlugen erschreckt sich
zwei glänzende Augen –
und sahn mich, den Menschen,
sich über sie beugen ...
Ich aber – ihr Götter! –
mich über sie neigend,
ich ward meines Kusses
betrogen! –: Nur Rosen,
worauf ich mich neigte!
Kein Liebchen, kein Lager,
kein Zimmer, kein Ort mehr –
nur