Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
stürzte in Rosen –
durch Rosen – auf Rosen ...
bis quälende Schmerzen
der Schläfe mich weckten.
Kinderglaube
Heut ritt ich im Traum
auf schneeweißem Pferde
ohne Zügel und Zaum
rings um die Erde.
Und wo ein Dach,
war ein Treiben
hinter den Scheiben:
Alles war wach!
Großäugig, tieflockig,
schmalfüßig, kurzrockig,
lugten die Kindlein
der Menschen mir nach.
Oh euch süße Gesichter
vergess' ich nie mehr,
euch glückliche Lichter
durch Nacht zu mir her,
euch Näschen, vom Fensterdruck
schelmisch gestumpft,
euch Wädchen und Kniechen,
nur dürftig bestrumpft,
euch rosige Händchen,
ans Glas angestützt,
euch kosige Mündchen,
neugierig gespützt!
Ihr Kindchen, ich segn' euch
viel tausend tausend mal!
Nur Großes begegn' euch
Im Sonn- und Mondenstrahl!
Euer Lachen, euer Weinen
sei edler Frucht geschwellt!
Ihr seid ja, ihr Kleinen,
die Zukunft unsrer Welt!
Euch reifen die Lieder
auf meines Lebens Baum ...
Einst sehn wir uns wieder –
und nicht mehr im Traum!
Vom Tagwerk des Todes
Der Sämann
Durch die Lande auf und ab
schreitet weit Bauer Tod;
aus dem Sack um seine Schulter
wirft er Keime ohne Zahl.
Wo du gehst, wo du stehst,
liegt und fliegt der feine Staub.
Durch die unsichtbare Wolke
wandre mutig, doch bereit!
Durch die Lande auf und ab
schreitet weit Bauer Tod;
aus dem Sack um seine Schulter
wirft er Keime ohne Zahl.
Vöglein Schwermut
Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt,
das singt so todestraurig ...
Wer es hört, der hört nichts anderes mehr,
wer es hört, der tut sich ein Leides an,
der mag keine Sonne mehr schauen.
Allmitternacht, Allmitternacht
ruht es sich aus auf dem Finger des Tods.
Der streichelt's leis und spricht ihm zu:
»Flieg, mein Vögelein! flieg, mein Vögelein!«
Und wieder fliegt's flötend über die Welt.
Der Tod und das Kind
»Kindchen, was willst du
erwachen zum Leben?
Komm mit mir,
dir ist besser so!
Den Kampf zu bestehn,
hast du nicht Kraft,
komm, leg dein Köpfchen
an meine Brust,
sieh doch,
mein Mantel ist warm und gut!
Komm, Kindchen,
wir bitten den Wind;
der trägt uns hinüber
in meinen Garten;
da will ich dich betten
ins grüne Gras ...
Und wenn eine Zeit vergangen ist,
dann wirdst du Blume und Schmetterling,
blühende Blume, glühender Schmetterling ...!
Nicht wahr, nun willst du?
Komm, kleines Herz!
Dir ist besser so!«
Der Tod und der Müde
»Von der Brücke hinunter
in die dunklen, ruhlosen Fluten,
deren Wellen um Wellen
deine Blicke mit sich fort ziehen,
deren Wellen um Wellen
ein Stück deines Willens
davonführen,
bis er ganz dir geraubt,
und dein Leib,
leer,
schwer,
übers Geländer schlägt –
von der Brücke hinunter
schaue, spähe ...
siehst du das Wort nicht,
das meine Finger
ins Wasser schreiben?
Friede ... Friede ...!
und was ich nun schreibe?
Komm!
Komm!!
Siehst du es nicht?
Beuge dich tiefer!
Komm!!!«
Der Tod und der einsame Trinker
Eine Mitternachtszene
»Guten