WELT AUS DEN FUGEN. Jonathan Green

WELT AUS DEN FUGEN - Jonathan  Green


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hing noch immer daran. Darauf stand: Professor Ignatius Galapagos, und darunter: Evolutionsbiologische Abteilung.

      Ulysses verließ die Galerie und ließ Scotland Yards arbeitende Prachtkerle hinter sich zurück. Mit ziemlicher Sicherheit würde er hier nichts mehr zu sehen bekommen. Es war an der Zeit, die Untersuchungen andernorts fortzusetzen. Am Eingang zur Galerie stand Inspector Allardyce und sprach mit einem verängstigt aussehenden Museumsangestellten. Ulysses konnte ihm leider nicht ausweichen.

      »Ich dachte, ich hätte Ihnen fünf Minuten gegeben, zähle aber sieben.« Der Inspector sah auf seine Taschenuhr.

      »Es tut mir leid, wenn ich länger geblieben bin, als ich eigentlich willkommen war.«

      »Sie bleiben immer länger, als Sie willkommen sind. Sobald Sie auftauchen, strapazieren Sie die Nerven Ihrer Gastgeber. Nun, was haben Sie aus Ihrer Zeit gemacht, Quicksilver? Haben Sie etwas, das Aufschluss über den Fall geben könnte?«

      »Oh, ich bin sicher, Sie haben selbst die ein oder andere Theorie. Sie brauchen mich nicht, um hier alles zu verkomplizieren.«

      »Die habe ich ohnehin und natürlich tue ich das nicht«, bestätigte Allardyce. »Es ist eigentlich eher unkompliziert, wenn man weiß, wonach man suchen muss und wie die Zeichen zu deuten sind.«

      »Ach wirklich?« Obwohl Ulysses bereits im Gehen begriffen war, war die Aussicht darauf, den wichtigtuerischen Inspector noch ein bisschen mehr zu provozieren, doch zu verlockend – immerhin hatte er im letzten Jahr wenig Gelegenheit dazu gehabt.

      »Würden Sie das wohl genauer ausführen?«

      Wie gewohnt konnte Inspector Allardyce nicht widerstehen, seine meisterhafte Fertigkeit, schwierige Schlussfolgerungen zu ziehen, genauestens darzulegen, um diesem vornehmen Alleswisser zu zeigen, wo der Hammer hing.

      »Eigentlich ist es sehr simpel. Alle Anzeichen können von denen gesehen werden, die Augen im Kopf haben.« Wie wahr, dachte Ulysses. »Unser Dieb wurde von dem Nachtwächter gestört, woraufhin er den armen Kerl tötete, um zu entkommen.«

      »Und wissen Sie schon, was er mitgenommen hat?«

      »Noch nicht, aber das werden wir bald, wenn wir erst einmal Professor Gapalago aufgestöbert haben und die komplette Inventurliste seines Arbeitsraumes bekommen.«

      »Galapagos«, stellte der Museumsmitarbeiter richtig.

      »Wie bitte?«

      »Es heißt Galapagos.«

      »Ist das von Bedeutung?«, schnappte Allardyce.

      »Ja, ich glaube wirklich, dass es das ist«, murmelte Ulysses vor sich hin. Und dann, sodass Allardyce ihn laut und deutlich hören konnte: »Wenn Sie noch keine vollständige Bestandsaufnahme der Gegenstände in diesem Raum haben, woher wollen Sie wissen, dass überhaupt irgendetwas entwendet wurde?«

      »Ist das nicht offensichtlich?«, fragte Allardyce ungläubig. »Warum sonst sollte hier jemand einbrechen? Offensichtlich nicht, um diesen armen Hund kaltzumachen, der da drüben mit eingeschlagenem Schädel liegt.«

      »In der Tat«, sagte Ulysses. »Was mich zurück zu dieser bestimmten Sache bringt. Die Verletzungen, die dem Opfer zugefügt wurden, sehen mir sehr nach einem Amoklauf aus. Warum sollte ein Einbrecher innehalten, um etwas so Brutales mit einem alternden, übergewichtigen Sicherheitswachmann anzustellen? Und was ist mit Professor Galapagos« – er ließ es sich nicht nehmen, den Namen mit der ihm zustehenden Richtigkeit auszusprechen – »der Mann, in dessen Büro eingebrochen wurde?«

      »Hören Sie, ich habe Ihnen doch bereits erzählt, dass er bisher nicht wieder aufgetaucht ist. Sie wissen doch, wie diese Akademiker sind.«

      »Besser als Sie, das garantiere ich Ihnen.«

      »Wollen Sie mich etwa darüber belehren, wie ich meine Polizeiarbeit machen soll?«, forderte ihn Allardyce heraus und stieß seinen Finger gegen Ulysses’ Brust. »Denn genau darum geraten die Dinge hier in letzter Zeit immer mehr außer Kontrolle.«

      »Bewahre, Inspector.«

      »Mit diesem Gapalogo befasse ich mich noch früh genug. Doch für mich ist klar, was hier letzte Nacht passiert ist. Ich habe Ihnen gesagt, dass es hier nichts für Sie zu sehen gibt, Quicksilver«, spie er aus, seine Stimme triefte vor unverhohlener Verachtung. »Ulysses, wenn Sie mir keine verblüffenden Erkenntnisse offerieren können, würde ich sagen, dass Sie hier fertig sind, nicht wahr?«

      Ulysses hielt inne. Sollte er seine eigene Theorie mit Allardyce teilen, und zwar die, dass der Inspector nach zwei Schuldigen suchen sollte, die sicherlich in irgendeiner Verbindung zueinanderstanden, wenn auch nicht so, wie man es zuerst erwartet hätte? Es war verführerisch, und wenn auch nur, um den verbitterten Ausdruck in Allardyces rotem Gesicht zu sehen. Doch solange die Polizei den falschen Spuren folgte, die sie selbst gelegt hatten, solange würde er sie nicht im Weg haben und seinen eigenen Untersuchungen folgen und Dingen auf den Grund gehen können, auch dem, warum Wormwood ihn von vornherein auf diesen Fall angesetzt hatte. Außerdem, das musste sich Ulysses eingestehen, hatte er Feuer gefangen. An diesem Fall war weitaus mehr dran, als lediglich ein Einbruch und ein zufälliger Mord. Da war noch etwas anderes im Gange, da war er sich sicher.

      »Da kann ich Ihnen nur zustimmen, Inspector. Guten Tag.«

      »Und schnüffeln Sie ja nicht wieder in meinem Mordfall herum, verstanden?«

      »Ihrem Mordfall?«

      »Verpissen Sie sich einfach!«

      »Mit Vergnügen.«

      Auf seinem Weg durch die Galerie hielt Ulysses noch einmal inne. Er spürte jemandes Augen auf sich ruhen. Er sah sich um, doch mit einem Mal war das Gefühl verschwunden. Er strich es aus seinen Gedanken und verließ mit seinem Spazierstock in der Hand und den Beweisen in der Tasche das Museum. Er würde Methuselah mit einem Anruf belästigen müssen, befand jedoch, dass das auch bis nach dem Dinner warten konnte. Es war bereits viel zu lange her, seit er zuletzt das Ritz besucht hatte.

      Noch ein anderer Gedanke lenkte Ulysses ab, als er aus dem Museum trat und eine Hansomkutsche herbeirief. In dieser Welt gab es viele ungeklärte Mysterien – wie jene, wer einst wohl die gigantischen Köpfe auf den Osterinseln geschaffen hatte und das Geheimnis der Meerjungfrau von Whitby – und Ulysses hatte seinerseits einige von ihnen aufzuklären vermocht, doch wie genau es Maurice Allardyce zum Inspector gebracht hatte, das würde er wohl nie enträtseln können.

      Aus der dunklen Nische einer Dachstrebe beobachteten ungesehen Augen den Schlagabtausch zwischen dem hellhäutigen, rothaarigen Mann und dem hochgewachsenen, selbstbewussten Eindringling. Der Beobachter hatte seine Zuflucht hier in den abgedunkelten hochgelegenen Tunneln des Ventilationssystems im Museum gefunden und folgte nun den Vorkommnissen, welche die letzte Nacht mit sich brachte. Nach der Attacke war er etwas verwirrt gewesen. Sein Verstand war nur mehr eine zerbrochene Ansammlung vorhandener Erinnerungen, die immer weniger Sinn zu ergeben schienen, da sein rationales Denken von seinem zunehmenden Instinkt übernommen wurde. Er hatte fliehen wollen, doch etwas Vertrauliches und Schützendes in diesen heiligen Gewölben hielt ihn zurück. Er fühlte sich seltsam heimisch hier. Außerdem trieben sich noch immer zu viele Leute herum. Sie wären wohl eher beunruhigt, wenn er sich ihnen zeigen würde; noch mehr Geschrei, noch mehr Panik und noch mehr Angst.

      Nein, er würde warten. Hier war es ungefährlich. Hier war er sicher. Hier war sein Zuhause.

      

      Kapitel 4

       Ein unerwarteter Besucher

      Nachdem er ein exquisites abendliches Mahl mit gebratenem Fasan, saisonalem Gemüse und Kartoffelauflauf genossen hatte, das er mit einer halben Flasche bestem Rotwein hinuntergespült hatte, verließ Ulysses Quicksilver das Ritz und war gerade damit beschäftigt, eine Kutsche herbeizurufen, die ihn zurück zu seinem Haus in Mayfair bringen sollte. Außerhalb des Hotels erwachten die Gaslichter und Natriumleuchten zum


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