Dr. Daniel Staffel 1 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 1 – Arztroman - Marie Francoise


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Darinka, so ganz recht hatte deine Oma damit leider nicht«, entgegnete Dr. Daniel. »Aber das werde ich selbst noch mit ihr besprechen.« Dann stand er auf. »Meine Sprechstunde ist jetzt zu Ende. Du warst die letzte Patientin, die heute angemeldet war. Aus diesem Grund habe ich jetzt Zeit, um mit dir einkaufen zu gehen.«

      Verständnislos starrte Darinka ihn an. »Einkaufen? Aber… was wollen Sie denn mit mir kaufen?«

      »Das wirst du gleich sehen«, meinte Dr. Daniel, während er seinen weißen Kittel auszog. Kurz darauf verließ er gemeinsam mit dem jungen Mädchen die Praxis.

      Wenig später erreichten sie den einzigen Supermarkt Steinhausens, und Dr. Daniel ging zielstrebig in die Abteilung für Intimpflege.

      »Also, Darinka, wenn du wieder deine Tage bekommst, dann kannst du deinen Slip entweder mit Monatsbinden oder Tampons schützen«, erklärte er, während Darinka völlig überwältigt das große Angebot betrachtete. Wie oft war sie hier schon vorbeigegangen und hatte diese Dinge keines Blickes gewürdigt. Und nun gewannen sie auch für sie plötzlich Bedeutung.

      »Ich würde dir empfehlen, beides auszuprobieren, dann wirst du sehen, was für dich angenehmer ist«, fuhr Dr. Daniel fort.

      Darinka konnte nur nicken, und irgendwie war es ihr peinlich, diese Dinge in ihren Einkaufswagen zu legen. Das alles zeigte so deutlich, was mit ihr los war, und obwohl Dr. Daniel gesagt hatte, daß alles völlig normal sei, hatte Darinka Hemmungen, den Wagen weiterzuschieben. Sie hatte das Gefühl, als würde sie jeder hier im Geschäft anstarren.

      Als nächstes steuerte Dr. Daniel den Zeitschriftenstand an und wählte ohne langes Überlegen eine Jugendzeitschrift aus, die seine Tochter in Teenagerjahren mit Begeisterung gelesen hatte.

      »Darinka, ich möchte, daß du dir diese Zeitschrift jede Woche kaufst«, erklärte er. »Da drin steht alles, was du wissen mußt.« Er schmunzelte. »Und außerdem noch einiges, was junge Mädchen ohnehin interessiert. Du hörst doch sicher auch gern Musik, nicht wahr?«

      Darinka senkte den Kopf. »Oma und Opa haben nur ein Radio, und da läuft meistens Volksmusik.«

      Dr. Daniel hatte Mühe, einen Seufzer zu unterdrücken. Bei dem armen Mädchen lag ja etliches im argen. Er durfte das Gespräch mit ihren Großeltern nicht mehr lange hinauszögern.

      »Da werden wir auch Abhilfe schaffen«, meinte Dr. Daniel. »Schließlich sollst du nicht irgendwann zur Außenseiterin werden.« Er zögerte einen Moment. »Hast du denn eine gute Freundin?«

      Darinka nickte. »Katrin Wegmann.« Mit plötzlicher Verlegenheit senkte sie den Kopf. »Die anderen finden mich zu langweilig.« Sie schwieg kurz und setzte dann hinzu: »Wahrscheinlich bin ich das auch. Ich kann ja nirgends mitreden. Die anderen kennen Fernsehstars, Sänger und Gruppen, die gerade in sind, aber ich…« Sie zuckte die Schultern. »Oma und Opa sehen nur abends fern, wenn ich im Bett bin. Und für Kinderstunden bin ich schon zu alt.«

      »Das meine ich aber auch«, stimmte Dr. Daniel zu, dann legte er einen Arm um Darinkas Schultern. »Keine Angst, Mädchen, ich werde mit deinen Großeltern reden. Sie tun das bestimmt nicht, um dir weh zu tun. Ich bin sicher, daß sie keine Ahnung haben, wie falsch sie sich verhalten. Aber ich verspreche dir, daß ich das in Ordnung bringen werde.« Er lächelte. »So, und jetzt bezahlen wir erst mal.«

      Wieder fühlte Darinka Hemmungen aufsteigen, als sie den Wagen zur Kasse schob. Doch die Dame, die dort saß, schien keineswegs pikiert zu sein, als Darinka ihre Waren auf das Fließband legte. Sie tippte die Preise ein, als würde es sich um Butter, Käse oder Marmelade handeln, und allmählich konnte Darinka glauben, daß das, was sie in den vergangenen Monaten erlebt hatte, wirklich völlig normal war.

      *

      Kaum zu Hause angekommen, trat Dr. Daniel ans Telefon und wählte eine Münchner Nummer.

      »Daniel!« meldete sich eine forsche Frauenstimme.

      »Grüß dich, Karina, ich bin’s«, gab ihr Vater sich zu erkennen.

      »Papa!« Das junge Mädchen war hörbar erfreut. »Mensch, das ist vielleicht eine Überraschung! Hast du Sehnsucht nach mir?«

      Dr. Daniel lachte. »Natürlich das weißt du doch. Allerdings muß ich gestehen, daß ich nicht deswegen anrufe. Ist Stefan schon zu Hause?«

      »Ja, er ist da. Augenblick, Papa.«

      Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Stefan an den Apparat kam.

      »Du wolltest mich sprechen, Papa?« fragte er, und seiner Stimme war anzuhören, daß er mit nichts Angenehmen rechnete.

      »Ja, Stefan, es geht um den alten Cassetten-Recorder, der noch in deinem Zimmer oben steht, und um den kleinen Fernsehapparat mit der Zimmerantenne. Brauchst du die Sachen noch?«

      Stefan war über diese unerwartete Frage so erstaunt, daß er einen Moment brauchte, um antworten zu können.

      »Nein, warum?«

      »Ach, es geht um die kleine Darinka Stöber. Erinnerst du dich an sie?«

      Wieder brauchte Stefan ein paar Sekunden, um den Namen richtig einzuordnen. Dann fiel ihm ein, daß er damals, als sie alle zusammen noch in Steinhausen gewohnt hatten, ab und zu eine zierliche Siebenjährige mit langem schwarzem Haar und traurigen dunklen Augen gesehen hatte.

      »Ja, natürlich«, erklärte er. »Das Mädel, das so früh die Eltern verloren hat, nicht wahr?«

      Dr. Daniel nickte, obwohl sein Sohn das nicht sehen konnte. »Richtig. Darinka lebt bei ihren Großeltern und die sind ein wenig… na ja, sagen wir altmodisch eingestellt. Sie selbst hören offensichtlich nur Volksmusik und erwarten von Darinka, daß sie sich auch nur dafür interessiert. Und mit dem Fernsehen sieht es ähnlich aus. Darinka hat während des Gesprächs mit mir eine Bemerkung fallen lassen, die vermuten läßt, daß sie unter Gleichaltrigen allmählich in eine Außenseiterposition rutscht, und da dachte ich…«

      »Laß nur, Papa«, fiel Stefan ihm ins Wort. »Bring der Kleinen die Sachen. In meinem Zimmer verstauben sie ohnehin nur.«

      »Danke, Stefan, das ist lieb von dir«, meinte Dr. Daniel.

      »Ich weiß«, entgegnete sein Sohn, und an seiner Stimme hörte Dr. Daniel, daß er grinste. »Ich bin überhaupt ein netter Mensch.«

      Dr. Daniel lachte. »Und eingebildet bist du auch nicht.«

      Er zögerte einen Moment und fragte dann: »Kommt ihr am Wochenende wieder?«

      »Papa, heute ist Montag«, wandte Stefan ein. »Glaubst du wirklich, Karina und ich wissen heute schon, was wir am Wochenende machen werden?«

      »Ich komme nach Steinhausen!«, erklang im Hintergrund Karinas Stimme.

      »Hast du gehört, Papa?« fragte Stefan. »Deine Tochter wird dich mit ihrem Besuch beehren. Auf mich wirst du möglicherweise verzichten müssen. Ich habe in den vergangenen Jahren am Stadtleben Gefallen gefunden. Hier ist einfach mehr los als in Steinhausen.«

      Nur mit Mühe konnte Dr. Daniel einen Seufzer unterdrücken. Seit Stefan von zu Hause ausgezogen war, und er ihn nicht mehr so unter Kontrolle hatte, befürchtete er manchmal, daß sein Sohn das Studium ein wenig schleifen ließ. Irgendwie schien er sich für alles andere mehr zu interessieren.

      »Stefan, deine Arbeit… ich meine, dein Studium… das leidet doch hoffentlich nicht unter deinen… anderen Interessen«, brachte Dr. Daniel zögernd hervor.

      »Papa, mußte das jetzt sein?« fragte Stefan gereizt. »Ich habe dir gestern doch schon gesagt, daß ich ein guter Arzt werden will. Warum kannst du mir nicht einfach vertrauen?«

      »Es tut mir leid, Stefan«, erklärte Dr. Daniel ein wenig zerknirscht. »Es ist nicht mangelndes Vertrauen, das mich so reden läßt. Ich weiß, wie ehrgeizig du sein kannst, wenn du willst. Aber ich weiß auch, wie leichtsinnig du manchmal bist, wenn es ums Lernen geht. Das warst du in der Schule schon. Du hast einige Male schlechte Noten bekommen, weil du dich nicht lange genug hinter deine Bücher geklemmt hast.«


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