Dr. Daniel Staffel 1 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 1 – Arztroman - Marie Francoise


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grüßte sie ein wenig schüchtern. »Ich habe heute früh angerufen. Mein Name ist Stöber.«

      Die junge Empfangsdame war sichtlich erstaunt. Offenbar hatte sie mit keinem zwölfjährigen Mädchen gerechnet. Sie nahm die Versicherungskarte entgegen, warf einen prüfenden Blick auf die Unterschrift und gab sie Darinka wieder zurück, nachdem sie die Daten im Computer gespeichert hatte.

      »Kommst du ganz allein?« fragte Gabi Meindl schließlich, denn normalerweise kamen so junge Mädchen grundsätzlich in Begleitung der Mutter zum Frauenarzt.

      Darinka nickte ein wenig zögernd. Sie war nicht sicher, wie sie die Frage auffassen sollte. Durfte sie in ihrem Alter denn nicht allein zum Arzt gehen?

      »Na schön«, meinte Gabi, »dann nimm einstweilen noch im Wartezimmer Platz.« Und weil sie für das Mädchen, das offensichtlich ein wenig Angst hatte, plötzlich Mitleid empfand, stand sie kurzerhand auf, um Darinka ins Wartezimmer zu begleiten.

      »Es wird nicht lange dauern«, fügte sie mit einem freundlichen Lächeln hinzu.

      Wieder konnte Darinka nur nicken, dann nahm sie auf einem Sessel in der hintersten Ecke Platz. Sie war schrecklich nervös, und am liebsten wäre sie wieder davongelaufen, doch jetzt, nachdem sie hier saß, wußte sie, daß es kein Zurück mehr für sie gab.

      Und da wurde die Tür auch schon geöffnet und eine vollschlanke Frau um die Fünfzig mit sympathischem Gesicht kam herein. Dem weißen Kittel nach zu urteilen, mußte das die Sprechstundenhilfe sein.

      »Darinka Stöber?« fragte sie, wartete ihr Nicken ab und fügte dann hinzu: »Der Herr Doktor hat jetzt Zeit für dich.«

      Sie begleitete Darinka zum Sprechzimmer und ließ sie dann vorangehen.

      Dr. Daniel war von Gabi Meindl schon informiert worden, daß ein zwölfjähriges Mädchen ohne irgendwelche Begleitung gekommen war. Jetzt ging er mit einem freundlichen Lächeln auf Darinka zu und gab ihr die Hand.

      »Grüß dich, Darinka.« Seine tiefe, warme Stimme zeigte genau die erwünschte Wirkung. Das Mädchen wurde merklich ruhiger. »Setz dich bitte.« Er sah sie prüfend an. »Möchtest du, daß Frau Kaufmann hierbleibt?«

      Darinka warf der Sprechstundenhilfe einen kurzen Blick zu, dann schüttelte sie den Kopf.

      »Das ist nicht nötig«, entgegnete sie leise. »Ich habe keine Angst vor Ihnen, Herr Doktor.«

      »Das ist fein«, meinte Dr. Daniel, während Lena nahezu lautlos das Sprechzimmer wieder verließ. »Wir kennen uns ja auch schon eine ganze Weile, nicht wahr?«

      Darinka nickte. »Sie haben mir oft Äpfel geschenkt… und Schokolade.«

      Dr. Daniel schmunzelte: »Daran erinnerst du dich noch? Du warst noch sehr klein damals… so sechs oder sieben Jahre.«

      Darinka fühlte, wie ihre Nervosität langsam schwand. Sie brachte sogar ein Lächeln zustande.

      »Ich glaube, an so etwas erinnert man sich immer.« Sie senkte den Kopf. »Ich habe mich manchmal sehr einsam gefühlt, aber Ihre Frau und Ihre Tochter waren immer sehr nett. Karina hat ein paarmal mit mir gespielt.«

      Die Erinnerung an seine warmherzige Frau, die Kinder so sehr geliebt hatte, war wieder schmerzlich für Dr. Daniel. Und unwillkürlich dachte er daran, wie oft er und Christine über Darinka gesprochen hatten – dieses arme kleine Ding, das so früh seine Eltern verloren hatte.

      »Du lebst immer noch bei deinen Großeltern, oder?« wollte Dr. Daniel aus diesen Gedanken heraus wissen.

      Darinka nickte. »Ich bin sehr glücklich dort.«

      Doch Dr. Daniel fühlte, daß das nur die halbe Wahrheit war. Er war überzeugt davon, daß sich Darinka ganz schrecklich nach ihren Eltern sehnte.

      »Nun, Darinka, und was führt dich heute zu mir?« fragte Dr. Daniel schließlich. »Ich nehme ja nicht an, daß du nur zu einer kleinen Plauderei gekommen bist.«

      Darinka schüttelte den Kopf, dann schluchzte sie plötzlich auf. »Ich bin krank, Herr Doktor… schwer krank. Ich… ich glaube, ich muß sterben. Ich habe schreckliche Schmerzen und ich… ich blute ganz fürchterlich.«

      Dr. Daniel erschrak zutiefst. »Und du warst noch nie bei einem Arzt?«

      »Nein, weil… ich… ich schäme mich so.«

      »Du schämst dich?« wiederholte Dr. Daniel erstaunt. »Aber warum denn? Wegen einer Krankheit muß man sich doch nicht schämen, Darinka.« Er schwieg einen Moment und betrachtete das Mädchen dabei sehr genau. Je länger er das allerdings tat, desto unwahrscheinlicher schien es ihm, daß Darinka wirklich so krank war, wie sie gesagt hatte. Schmerzen und Blut. Nachdenklich strich er sich über das Kinn und erkundigte sich dann: »Wo hast du denn Schmerzen? Und was ist mit dem Blut, von dem du sprichst? Wo blutest du?«

      Darinka errötete. »Es ist… es kommt… na ja, wenn ich zur Toilette gehe… und… und in meinem Slip. Alles ist voll Blut… aber nicht immer. Und wenn ich blute, dann habe ich auch Schmerzen… schreckliche Bauchschmerzen.« Mit angstvoll geweiteten Augen sah sie den Arzt an. »Muß ich jetzt sterben, Herr Doktor?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, Darinka, du mußt nicht sterben.« Und dabei konnte er kaum glauben, daß es in der heutigen Zeit noch ein junges Mädchen gab, das nicht wußte, was Regelblutungen sind. »Sag mal, Darinka, hat dich deine Großmutter nicht aufgeklärt?«

      »Aufgeklärt?« wiederholte Darinka gedehnt, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Was… was ist das?«

      Dr. Daniel atmete tief durch. »Das werde ich dir alles erklären, Darinka. Aber zuerst kommen wir noch mal auf deine Beschwerden zu sprechen. Ich nehme an, diese Bauchschmerzen und das viele Blut kommen immer in einem Abstand von ungefähr vier Wochen, habe ich recht?«

      »Ich habe nie genau nachgerechnet«, gestand Darinka, »aber es kommt wohl ungefähr hin.«

      Dr. Daniel nickte. »Das dachte ich mir. Und du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen, Darinka, dieser Zustand ist bei Frauen ganz normal. Man nennt das Menstruation oder Regelblutung. Manche Frauen und Mädchen sagen auch einfach, sie haben ihre Tage.«

      Darinka atmete auf. »Katrin hat das auch.« Die Erinnerung an das Gespräch, das sie mit ihrer Freundin geführt hatte, kehrte in aller Deutlichkeit zurück. »Und sie wußte offensichtlich ganz genau Bescheid. Sie wußte, warum sie plötzlich blutet.«

      Dr. Daniel nickte. »Vermutlich hat ihre Mutter ihr vorher schon alles erklärt. Das hätte auch deine Großmutter tun müssen, aber ich nehme an, sie hat sich geniert, mit dir über solche Dinge zu sprechen.« Er schwieg einen Moment. »Weißt du, wie ein Baby entsteht und woher es kommt?«

      Wieder errötete Darinka. »Oma hat gesagt, vom Storch, aber das habe ich ihr nicht geglaubt.«

      Sekundenlang schloß Dr. Daniel die Augen. Er hatte das Gefühl, um Jahrzehnte zurückversetzt worden zu sein. Dabei kannte er die Stöbers doch als recht aufgeschlossene Menschen. Schließlich waren sie ja nur knapp zehn Jahre älter als er. Wie konnten sie ihre Enkelin nur in einer solchen Unwissenheit aufwachsen lassen?

      »Habt ihr in der Schule keinen Sexualunterricht?« wollte Dr. Daniel wissen.

      Darinka schüttelte den Kopf. »Der wurde gestrichen. Ursprünglich war eine Stunde in der Woche geplant gewesen, aber die wurde dann aus irgendeinem Grund herausgenommen.«

      »Und du liest offensichtlich auch keine dieser Jugendzeitschriften, in denen Aufklärung betrieben wird«, vermutete Dr. Daniel.

      Darinka senkte den Kopf. »Ich bekomme kein Taschengeld, und als ich Oma um ein solches Heft gebeten habe, hat sie gesagt, das wäre Schund, und ich solle mich nur nicht dabei erwischen lassen, daß ich so etwas lese.«

      »Und du hast ihr tatsächlich gehorcht.« Gegen seinen Willen mußte Dr. Daniel lächeln. »Das hätte ich bei meiner Tochter einmal erleben mögen. Wenn ich etwas so strikt verboten habe, dann war der Reiz für sie immer am größten.«


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