Dr. Daniel Staffel 1 – Arztroman. Marie Francoise
um neun Uhr morgens klingelte es zum ersten Mal an der wiedereröffneten Praxis von Dr. Daniel, und mit einem dezenten Summen sprang die schwere eichene Eingangstür auf.
Gabi Meindl blickte der eintretenden Patientin mit einem freundlichen Lächeln entgegen.
»Guten Morgen«, grüßte sie. »Sind Sie für heute angemeldet?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht… das heißt, eigentlich doch. Dr. Daniel hat mich gestern gebeten, heute zu ihm in die Praxis zu kommen. Kerstin Wenger ist mein Name.«
Gabi warf einen kurzen Blick auf den aufgeschlagenen Terminkalender, doch Dr. Daniel hatte nichts notiert. Allerdings waren für heute ohnehin nur wenige Patientinnen angemeldet. Die Neueröffnung der Praxis würde sich wohl erst im Laufe der Zeit wieder herumsprechen.
Gabi nahm die Versicherungskarte entgegen, um die Daten im Computer zu speichern, dann wandte sie sich der Patientin wieder zu.
»Nehmen Sie bitte noch im Wartezimmer Platz, Frau Wenger«, bat sie höflich. »Die nächste Tür rechts.« Sie lächelte. »Der Herr Doktor wird gleich für Sie Zeit haben.«
Es dauerte auch wirklich nicht lange, bis Kerstin von Lena Kaufmann ins Sprechzimmer gerufen wurde. Bei ihrem Eintreten stand Dr. Daniel auf und kam um seinen Schreibtisch herum, um seiner Patientin die Hand zu reichen, dann bot er ihr freundlich Platz an.
»Haben Sie das Ergebnis schon bekommen?« platzte Kerstin heraus, noch ehe Dr. Daniel etwas hatte sagen können.
Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Nein, Frau Wenger, leider nicht, aber es kann sicher nicht mehr lange dauern.« Er schwieg kurz. »Und ich glaube auch nicht, daß Sie so große Angst haben müssen.«
Kerstin senkte den Kopf. »Was können Veränderungen am Abstrich schon anderes bedeuten als Krebs?«
»So dürfen Sie das nicht sehen«, entgegnete Dr. Daniel ernst. »Der zweifelhafte Befund, den ich in München festgestellt habe, kann nämlich durchaus mit den versäumten Nachuntersuchungen nach dem Einlegen der Spirale zusammenhängen.«
Kerstin schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen, Herr Doktor. Was soll denn das eine mit dem anderen zu tun haben?«
Dr. Daniel lehnte sich zurück, um zu einer ausführlichen Erklärung anzusetzen.
»Sehen Sie, Frau Wenger, meine langjährige Erfahrung hat gezeigt, daß sich die Scheidenschleimhaut bei Frauen, die eine Spirale tragen, verändert. Das liegt hauptsächlich an dem Kontrollfaden, mit dem Sie selbst den sicheren Sitz der Spirale kontrollieren können und mit dem die Spirale nach einem Jahr wieder herausgezogen werden kann. Und dieser Kontrollfaden beeinflußt die normale Schleimproduktion der sogenannten zervikalen Drüsen. Dadurch kann ein Entzündungsprozeß entstehen, der den zweifelhaften Befund hervorruft.«
Kerstin überlegte eine Weile. Was Dr. Daniel da sagte, klang plausibel, trotzdem war ihre Angst noch nicht vollends beseitigt.
»Und dieses eigenartige Ziehen, das ich immer noch verspüre?« hakte sie daher nach.
»Auch das kann ein Zeichen für eine Entzündung sein«, meinte Dr. Daniel. Er seufzte. »Leider hatte ich in München nicht genügend Zeit, um Ihnen das so ausführlich zu erklären. Das war auch der Grund, weshalb ich Sie für heute hierhergebeten habe.« Er schwieg einen Moment, um den verlorenen Faden wiederzufinden. »Wissen Sie, Frau Wenger, gerade Frauen, die eine Spirale tragen, neigen wesentlich häufiger zu Unterleibsentzündungen, denn – wenn ich das so bildlich ausdrücken darf – an dem Kontrollfaden können Bakterien buchstäblich nach oben klettern.«
»Und… was glauben Sie, Herr Doktor?« wollte Kerstin wissen. »Ich meine… denken Sie, daß es Krebs ist?«
»Da kann und darf ich mich nicht festlegen lassen«, entgegnete er. »Warten wir das Ergebnis der Abstrich-Untersuchung ab.«
Kerstin war ein wenig enttäuscht über diese Antwort, verstand Dr. Daniels Standpunkt allerdings sehr gut. Er durfte ihr keine falschen Hoffnungen machen, die sich hinterher vielleicht nicht erfüllen würden.
»Ich schätze, daß ich morgen oder spätestens übermorgen Bescheid bekomme«, fügte Dr. Daniel hinzu. »Und sobald ich das Ergebnis in Händen halte, rufe ich Sie an. Und dann entscheiden wir auch die weitere Behandlungsweise.«
Kerstin stand auf und reichte Dr. Daniel die Hand.
»Danke, Herr Doktor«, erklärte sie. »Das Gespräch mit Ihnen hat mir sehr geholfen. Ich habe zwar immer noch ein bißchen Angst vor dem Ergebnis, aber ich steigere mich in keine Panik mehr hinein.«
»Das ist gut so«, meinte Dr. Daniel. »Und ich verspreche Ihnen, daß Sie noch diese Woche von mir hören werden.«
*
Gleich bei Beginn der großen Pause hatte Darinka Stöber das Schulhaus verlassen und war zu der nahegelegenen Telefonzelle gelaufen. Mit zitternden Fingern warf sie Kleingeld ein und erfragte bei der Auskunft erst mal Dr. Daniels Telefonnummer, dann wählte sie erneut und wartete atemlos darauf, daß jemand abheben würde.
»Praxis Dr. Daniel«, meldete sich auch gleich eine sympathische Frauenstimme.
»Guten Tag.« Darinka räusperte sich, doch ihre Stimme wurde deswegen kaum klarer. »Ich… mein Name ist Stöber, und ich bräuchte einen Termin bei Dr. Daniel. Möglichst am Nachmittag.«
»Ich hätte für heute noch einige Termine frei«, erklärte die Dame am Telefon. »Wenn es bei Ihnen so kurzfristig paßt?«
Darinka nickte, als könnte ihre Gesprächspartnerin das sehen. »Ja, natürlich paßt das.«
Die Dame nannte eine Uhrzeit am späten Nachmittag und Darinka willigte ein, dann legte sie auf. Heute noch. So rasch hatte sie gar nicht mit einem Termin gerechnet, und plötzlich war die Angst wieder da. Wenn die Untersuchung wirklich so weh tat, wie Stella erzählt hatte. Oder wenn sich herausstellte, daß ihre Schmerzen und das viele Blut nichts mit diesen seltsamen Tagen zu tun hatten, von denen Katrin gesprochen hatte.
»Aber ich muß mit irgend jemandem darüber sprechen«, murmelte Darinka vor sich hin, dann verließ sie die Telefonzelle und kehrte eiligst zur Schule zurück. Sie kam gerade rechtzeitig zum Beginn des Unterrichts, doch so recht konzentrieren konnte sie sich nicht.
»Sag mal, was war denn heute mit dir los?« wollte Katrin wissen, als sie sich gemeinsam auf den Heimweg machten.
Darinka zuckte die Schultern. »Es war so heiß im Klassenzimmer und… ach, ich weiß auch nicht. Ich fühle mich nicht besonders gut.«
Katrin verzog das Gesicht. »Ich habe auch schon bessere Tage gesehen.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »In einer Stunde muß ich bei Dr. Daniel sein. Mann, ich hab vielleicht Angst. Mutti sagt zwar immer, diese Untersuchungen seien nicht so schlimm, aber nach den Schauermärchen, die Stella von sich gegeben hat… na, danke.«
Darinka fühlte, wie sich bei diesen Worten ihr Magen schmerzhaft zusammenzog. Ja, sie hatte auch Angst, aber im Gegensatz zu Katrin konnte sie nicht darüber sprechen. Und sie konnte ihre Freundin nicht einmal bitten, ihr später zu sagen, wie die Untersuchung verlaufen war, denn Katrin würde sich über ihr plötzliches Interesse nur wundern.
Außerdem werde ich es selbst bald wissen, dachte sie.
Die Stunden bis zum Termin zogen sich schleppend hin, aber endlich war es dann doch soweit. Schon gestern nachmittag, als sich ihre Großeltern ein wenig hingelegt hatten, hatte Darinka ihre Versicherungkarte an sich genommen.
»Ich gehe ein bißchen ins Freibad«, behauptete sie ihrer Großmutter gegenüber und schämte sich für diese Lüge ganz entsetzlich, aber sie konnte ja unmöglich sagen, daß sie zum Frauenarzt gehen wollte.
Darinka bestieg ihr Fahrrad und schlug erst mal den Weg zum Freibad ein, bis sie vom Haus ihrer Großeltern nicht mehr gesehen werden konnte, dann bog sie links ab und kam so auf Umwegen zur Praxis von Dr. Daniel.
Mit zitternden Fingern drückte