Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


Скачать книгу
Die obern Stockwerke mit den Balkons waren ihnen durch die Baumkronen verborgen. Georg bot Demeter eine Zigarette an und nahm sich selbst eine. Und beide schwiegen eine Weile.

      »Sie gehen übrigens auch von Wien fort, hab ich gehört«, sagte Demeter.

      »Ja, das ist sehr wahrscheinlich… wenn ich nämlich eine Stellung an irgendeiner Opernbühne bekomme. Na und ist’s heuer nicht, so ist’s nächstes Jahr.«

      Demeter saß mit übereinandergeschlagenen Beinen, hielt das eine mit der Hand beim Knöchel fest und nickte. »Ja, ja«, sagte er und blies den Rauch langsam und schmal durch die Lippen. »Ein Talent zu haben ist schon was Schönes. Da muß sich auch das mit den Lebensepochen irgendwie anders verhalten. Das ist eigentlich auch das einzige, um was ich einen Menschen beneiden könnte.«

      »Dazu haben Sie doch keinen Grund. Überhaupt Leute mit Talent sind gar nicht zu beneiden. Höchstens Leute mit Genie. Und die beneid ich wahrscheinlich noch mehr, als Sie es tun: Aber ich finde, Talente, wie das Ihrige, sind etwas viel Absoluteres, etwas viel Sichereres sozusagen. Man ist halt gelegentlich nicht in Form, gut… aber da leistet man, wenn man überhaupt was kann, noch immer sehr Beträchtliches, während unsereiner, wenn er nicht in Form, gleich ein vollkommener Pfründner ist.«

      Demeter lachte. »Ja, aber es halt’ länger, so ein künstlerisches Talent, und es bildet sich mit den Jahren sogar weiter aus. Zum Beispiel der Beethoven. Die neunte Symphonie ist doch die allerschönste, nicht wahr? Na, und der zweite Teil Faust!… Während wir mit den Jahren unbedingt zurückgehen, da hilft nichts. Selbst die Beethovens unter uns! Und wie früh das schon anfangt. Von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen. Ich zum Beispiel war mit fünfundzwanzig auf der Höhe. Nie wieder hab ich das erreicht, was ich mit fünfundzwanzig in mir gehabt hab. Ja, lieber Baron, das waren Zeiten!«

      »Na, ich erinnere mich, Sie vor zwei Jahren ein Rennen gewinnen gesehen zu haben gegen Buzgo, der damals Favorit war,… ich hab sogar auf ihn gewettet gehabt…«

      »Lieber Baron«, unterbrach ihn Stanzides. »Glauben Sie mir, ich weiß, warum ich aufgehört hab. So was kann man nur selber spüren. Und darum weiß eben keiner so gut, wann das Altwerden anfängt wie ein Sportsmann. Da nützt auch alles Weitertrainieren nicht. Es wird nur eine künstliche Sache. Und wenn Ihnen einer erzählt, daß es anders ist, dann ist er einfach… aber da kommen ja unsere Damen.«

      Sie standen beide auf. Arm in Arm näherten sich Therese und Anna, die eine ganz weiß, die andre in einem schwarzen Kleid, das, in weiten Falten zur Erde sinkend, ihre Formen völlig verbarg. Beim Springbrunnen begegneten sich die Paare. Demeter küßte Anna die Hand.

      »Das ist wirklich ein schöner Fleck Erde, auf dem ich das Glück habe, Sie wieder zu begrüßen, gnädige Frau.«

      »Es ist auch mir eine angenehme Überraschung«, erwiderte Anna, »ganz abgesehen von der Gegend.«

      »Weißt du«, sagte Georg zu Anna, »daß die Herrschaften morgen schon wieder abreisen?«

      »Ja, Therese hat’s mir erzählt.«

      »Wir wollen uns doch möglichst viel ansehen«, erklärte Demeter. »Und meiner Erinnerung nach sind die andern oberitalienischen Seen noch großartiger, als der hier.«

      »Von den andern weiß ich nichts«, sagte Anna. »Wir sind von da noch gar nicht weggekommen.«

      »Nun, vielleicht benützen Sie die Gelegenheit«, sagte Demeter, »und schließen sich uns für einen kleinen Ausflug an. Bellaggio, Pallanza, Isola bella.«

      Anna schüttelte den Kopf »Es wäre wohl schön, aber ich bin leider nicht mobil genug. Ja, unglaublich faul bin ich. Es gibt ganze Tage, wo ich nicht aus dem Park herauskomme. Aber wenn Georg Lust hat, mir auf ein bis zwei Tage zu echappieren, so habe ich gar nichts dagegen.«

      »Ich denke gar nicht dran dir zu echappieren«, sagte Georg. Er warf einen raschen Blick auf Therese, deren Augen leuchteten und lachten. Sie bummelten alle langsam durch den Garten, während es allmählich dämmerte, und plauderten über die Orte, die sie in der letzten Zeit gesehen hatten. Als sie wieder an den Tisch unter der Platane kamen, war gedeckt, und in den Glasglocken brannten die Gartenlichter. Eben brachte der Kellner den Kübel mit Asti. Anna setzte sich auf die Bank, die an den Stamm der Platane gelehnt war, ihr gegenüber saß Therese, zu ihren beiden Seiten Georg und Demeter.

      Das Essen wurde aufgetragen und der Wein eingeschenkt. Georg erkundigte sich nach den Wiener Bekannten. Demeter erzählte, daß Willy Eißler von der Reise ein paar glänzende Karikaturen mitgebracht hatte, sowohl von den Jägern, als von den Tieren. Der alte Ehrenberg hätte die Bilder gekauft.

      »Wissen Sie übrigens schon«, sagte Georg, »die Geschichte mit Oskar?«

      »Welche Geschichte?«

      »Nun, die Sache mit seinem Vater vor der Michaelerkirche.« Er erinnerte sich, daß er schon vorher, als die Damen noch nicht erschienen waren, Demeter die Geschichte hatte erzählen wollen, daß er es aber für richtiger gefunden hatte, sie zu unterdrücken. Nun war es wohl der Wein, der ihm wider Willen die Zunge löste. Er berichtete in kurzen Worten, was ihm Heinrich geschrieben hatte.

      »Das ist aber eine höchst traurige Geschichte«, sagte Demeter sehr betreten, so daß auch alle andern sich plötzlich ernster werden fühlten.

      »Warum eine traurige Geschichte?« fragte Therese, »ich finde sie zum totlachen.«

      »Liebe Therese, du bedenkst nicht die Folgen, die sie für den jungen Menschen haben kann.«

      »Gott, ich weiß ganz gut, er wird halt in einem gewissen Kreis unmöglich sein. Das wird ihn höchstens zur Einsicht bringen, was für ein dummer Kerl er bisher gewesen ist.«

      »Na«, sagte Georg, »ob Oskar gerade zu den Leuten gehört, die zur Einsicht kommen… ich glaub eigentlich nicht.«

      »Abgesehen davon, liebe Therese«, fügte Demeter hinzu, »daß das, was du Einsicht nennst, durchaus noch nicht die richtige zu sein braucht. Alle Menschengruppen haben ihre Vorurteile, auch ihr seid nicht frei davon.«

      »Was haben wir für Vorurteile, das möcht ich wissen«, rief Therese. Und sie trank zornig ihren Wein aus. »Wir wollen nur mit gewissen Vorurteilen aufräumen, besonders mit dem, daß es privilegierte Kasten gibt, die ihre besondere Ehre…«

      »Bitte, liebe Therese, du bist hier in keiner Versammlung. Und es ist zu fürchten, daß der Applaus am Schluß deiner Rede dünner ausfallen wird, als du’s gewohnt bist.«

      »Also schau«, wandte sich Therese zu Anna, »das ist die Art, wie ein Kavallerieoffizier Diskussionen führt.«

      »Pardon«, sagte Georg, »diese ganze Geschichte hat doch mit Vorurteilen kaum etwas zu tun. Eine Ohrfeige auf offener Straße auch von der Hand des eigenen Vaters… ich glaube, man muß da gar nicht Reserveoffizier oder Student sein…«

      »Diese Ohrfeige«, rief Therese, »hat für mich geradezu etwas Befreiendes. Sie bildet den würdigen Abschluß einer lächerlichen und überflüssigen Existenz.«

      »Abschluß, das wollen wir nicht hoffen«, sagte Demeter.

      »Man schreibt mir«, bemerkte Georg, »daß Oskar abgereist ist, unbekannt wohin.«

      »Wenn mir einer in der Sache leid tut«, sagte Therese, »ist es jedenfalls nur der Alte, der bei seinem guten Herzen wahrscheinlich heute die Unannehmlichkeiten schon bedauert, die er seinem versnobten Sohn verursacht hat.«

      »Gutes Herz!« rief Demeter aus, »ein Millionär! ein Fabrikbesitzer!… Aber Therese…«

      »Ja, es kommt vor. Das ist zufällig einer von jenen, die in der Tiefe ihrer Seele mit uns eines Sinnes sind. Und an dem Abend, Demeter, an dem du das Vergnügen gehabt hast, mich zum erstenmal zu sehen, weißt du, warum ich damals bei Ehrenbergs gewesen bin…? Und weißt du, für welchen Zweck er mir damals ohne weiteres tausend Gulden gegeben hat…? Für…«, sie biß sich auf die Lippen, »ich darf’s ja nicht sagen, das war die Bedingung.«

      Plötzlich erhob sich Demeter und verbeugte


Скачать книгу