Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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Georg nach ein paar Sekunden. »Mir ist auch, als kennte ich ihn, wer ist’s denn nur?«

      »Der Prinz von Guastalla«, sagte Demeter.

      »So?« rief Therese unwillkürlich, und ihre Augen bohrten sich ins Dunkel.

      »Was schaust du denn?« sagte Demeter. »Ein Mensch wie ein anderer.«

      »Er soll ja von Hof verbannt sein«, sagte Georg, »nicht wahr?«

      »Davon ist mir nichts bekannt«, entgegnete Demeter, »aber jedenfalls ist er nicht gern gesehen. Er hat neulich eine Broschüre herausgegeben über gewisse Zustände in unserm Heer, insbesondere über das Leben der Offiziere in den Provinzen, was ihm sehr übel genommen wurde, obwohl in Wirklichkeit gar nichts Böses darin steht.«

      »Da hätt’ er sich an mich wenden sollen«, sagte Therese, »ich hätt’ ihm auch einiges mitteilen können.«

      »Liebes Kind«, wehrte Demeter ab, »das, was du wahrscheinlich wieder meinst, ist doch ein Ausnahmefall, da darf man nicht gleich verallgemeinern.«

      »Ich verallgemeinere nicht, aber ein solcher Fall genügt, um das ganze System…«

      »Keine Rede, Therese…«

      »Ich spreche von Leo«, wandte sich Therese an Georg. »Was der heuer durchmacht, das ist wirklich ungeheuerlich.«

      Georg erinnerte sich plötzlich wie einer vollkommen vergessenen und höchst merkwürdigen Sache, daß Therese Leos Schwester war. Ob der wußte, daß sie hier, und mit wem sie hier war?

      Demeter nagte etwas nervös an seinen Lippen.

      »Da ist nämlich ein antisemitischer Oberleutnant«, sagte Therese, »der ihn auf eine besonders niederträchtige Art seckiert, weil er spürt, wie Leo ihn verachtet.«

      Georg nickte. Er wußte ja davon.

      »Liebes Kind«, sagte Demeter, »wie ich schon mehrere Male erwähnte, mir stimmt in der Sache etwas nicht. Ich kenne zufällig den Oberleutnant Sefranek und versichre dich, es ist mit ihm auszukommen. Er ist nicht besonders gescheit, und daß er für die Israeliten keine Vorliebe hat, mag auch richtig sein, aber schließlich muß man doch sagen, es gibt sogenannte antisemitische Schimpfwörter, die gar keine Bedeutung haben, die von Juden meiner Erfahrung nach ebensoviel angewendet werden wie von Christen. Und dein Herr Bruder leidet da entschieden an einer krankhaften Empfindlichkeit.«

      »Empfindlichkeit ist nie krankhaft«, entgegnete Therese. »Nur Unempfindlichkeit ist eine Krankheit und zwar die widerwärtigste, die ich kenne. Ich stimme bekanntlich mit meinem Bruder, das wissen Sie am besten, Georg, in meinen politischen Anschauungen so wenig überein als möglich, mir sind jüdische Bankiers geradeso zuwider wie feudale Großgrundbesitzer, und orthodoxe Rabbiner geradeso zuwider wie katholische Pfaffen. Aber wenn sich jemand über mich erhaben fühlte, weil er einer andern Konfession oder Rasse angehört als ich, und gar im Bewußtsein seiner Übermacht mich diese Erhabenheit fühlen ließe, ich würde so einen Menschen… also ich weiß nicht, was ich ihm täte. Aber jedenfalls würd ich den Leo begreifen, wenn er bei der nächsten Gelegenheit diesem Herrn Sefranek ins Gesicht springt.«

      »Mein liebes Kind«, sagte Demeter, »wenn du nur den geringsten Einfluß auf deinen Bruder hast, so solltest du diesen Gesichtssprung um jeden Preis zu verhindern suchen. Meiner Ansicht nach bleibt es doch bei einem solchen Fall das beste, den anständigen, das heißt den vorschriftsmäßigen Weg einzuschlagen. Es ist nämlich gar nicht wahr, daß damit nichts erreicht wird, die obern Chargen sind meistens ruhige, jedenfalls korrekte Persönlichkeiten und…«

      »Aber das hat ja der Leo längst getan… schon im Februar. Er ist beim Obersten gewesen, der Oberst war sogar sehr nett zu ihm und hat, wie aus verschiedenen Anzeichen hervorgeht, dem Oberleutnant sehr ins Gewissen geredet; nur daß es leider nicht das geringste genützt hat, im Gegenteil. Bei nächster Gelegenheit hat der Oberleutnant seine Bosheiten erst recht wieder aufgenommen und setzt sie mit einer raffinierten Konsequenz fort. Ich versichere Sie, Baron, von Tag zu Tag fürcht ich, daß da irgendein Malheur geschieht.«

      Demeter schüttelte den Kopf. »Wir leben in einer verrückten Zeit. Ich versichere Sie«, wandte er sich an Georg, »der Oberleutnant Sefranek ist so wenig Antisemit als Sie und ich. Er verkehrt in jüdischen Häusern, ich weiß sogar, daß er mit einem jüdischen Regimentsarzt direkt intim war durch Jahre. Es ist wirklich, wie wenn die Leute wahnsinnig wären.«

      »Da könntest du recht haben«, meinte Therese.

      »Nun, Leo ist so vernünftig«, sagte Georg, »so klug bei all seinem Temperament, daß ich überzeugt bin, er wird sich zu keiner Dummheit hinreißen lassen. Schließlich weiß er doch, in ein paar Monaten ist alles vorbei, solang macht man’s halt durch.«

      »Wissen Sie übrigens, Baron«, sagte Therese, während sie, dem Beispiel der Herren folgend, aus einer Schachtel, die der Kellner gebracht hatte, eine Zigarette nahm. »Wissen Sie, daß Leo von Ihren Kompositionen sehr entzückt war?«

      »Na, entzückt«, sagte Georg, indem er Therese Feuer gab, »davon hab ich eigentlich nichts bemerkt.«

      »Also gefallen hat ihm einiges«, schränkte Therese ein, »das ist beinahe schon soviel, wie wenn ein anderer entzückt wäre.«

      »Haben Sie auch auf der Reise komponiert?« fragte Demeter verbindlich.

      »Nichts als ein paar Lieder.«

      »Die werden wir wohl im Herbst zu hören bekommen«, meinte Demeter.

      »Ach Gott, reden wir nicht vom Herbst«, sagte Therese. »Bis dahin können wir tot sein, oder eingesperrt.«

      »Na, das letztere wäre doch bei einigem guten Willen zu vermeiden«, rief Demeter.

      Therese zuckte die Achseln. Georg saß nahe bei ihr und glaubte die Wärme ihres Körpers zu fühlen. Aus den Fenstern des Hotels glänzten Lichter, und ein langer, rötlicher Streif fiel bis zu dem Tisch, an dem die beiden Paare saßen.

      »Ich schlage vor«, sagte Georg, »daß wir den schönen Abend benützen, um noch am Ufer spazieren zu gehen.«

      »Oder Kahn zu fahren«, rief Therese aus.

      Alle waren einverstanden. Georg eilte rasch aufs Zimmer, um Umhüllen zu holen. Als er wieder herunterkam, fand er die andern bereit zum Fortgehen an der Tür des Parks stehen. Er half Anna in ihren hellgrauen Mantel, hing Therese seinen eigenen, langen Überzieher um die Schultern und behielt einen dunkelgrünen Plaid über dem Arm. Sie gingen langsam durch die Allee, bis zu der Stelle, wo Kähne verankert lagen. Zwei Schiffer führten die Gesellschaft mit raschen Ruderschlägen aus der Dunkelheit des Ufers in das schwärzlich glänzende Wasser hinaus. Unnatürlich riesenhaft ragten die Berge zum Himmel auf. Die Sterne waren nicht sehr zahlreich. Kleine, graublaue Wölkchen hingen in der Luft. Die Ruderer saßen auf zwei quergelegten Brettern; in der Mitte des Kahns auf schmalen Bänken, einander gegenüber, die beiden Paare: Georg und Anna, Demeter und Therese. Alle waren zuerst ganz schweigsam. Erst nach einigen Minuten unterbrach Georg die Stille. Er nannte den Namen des Berges, der den See nach Süden abschloß, machte auf ein Dorf aufmerksam, das wie in unendlicher Entfernung an einer Felsenlehne ruhte und doch in einer Viertelstunde zu erreichen wäre; erkannte das weiße, leuchtende Haus auf der Höhe über Lugano als das Hotel, in dem Demeter und Therese wohnten, und erzählte von einem Spaziergang, den er neulich unternommen, zwischen besonnten Weinbergen weit ins Land hinein.

      Anna hielt unter dem Plaid, während er sprach, seine Hand gefaßt. Demeter und Therese saßen ernst und korrekt nebeneinander, gar nicht wie Liebesleute, die einander erst vor kurzem gefunden haben. Nun erst gewann Georg für Therese allmählich seine Neigung zurück, die während ihres lauten, heftigen Redens beinahe geschwunden war.

      Wie lang wird diese Geschichte mit Demeter währen? dachte er. Wird sie zu Ende sein, wenn der Herbst da ist, oder wird sie am Ende so lange oder länger dauern, als meine mit Anna? Wird diese Fahrt auf dem dunkeln See auch einmal eine Erinnerung an vollkommen Entschwundenes sein, so wie die Fahrt auf dem Veldeser See mit dem Bauernmädel, die mir jetzt seit Jahren zum erstenmal wieder einfällt… wie


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