Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
sagte Demeter; und indem er seine Hand herzlich drückte, fügte er hinzu: »Bitte meinen Handkuß zu Hause.«
Therese winkte Georg vergnügt mit den Augen zu, dann schlug sie mit Demeter den Weg zum Ufer ein.
Georg schaute ihnen nach. Hätt ich sie nicht gekannt, dachte er, Demeter hätte sie mir ohne weiteres als seine Gattin, geborene Prinzessin X. vorstellen können. Wie merkwürdig! diese zwei!… Dann trat er in die Halle, ließ sich am Schalter seine Sendung geben und sah sie flüchtig durch. Das erste, was ihm in die Augen fiel, war eine Karte von Leo Golowski. Es stand nichts drauf als: »Lassen Sie sich’s wohl ergehen, lieber Georg.« Dann war eine Karte da aus dem Waldsteingarten im Prater. »Haben soeben auf den verehrten Ausreißer unsre Gläser geleert. Guido Schönstein, Ralph Skelton, die Rattenmamsell.«
Die Briefe von Felician, Frau Rosner, Heinrich wollte Georg erst zu Hause mit Anna zusammen in Ruhe lesen. Auch drängte es ihn, die Neuigkeit von der Ankunft des sonderbaren Paares Anna mitzuteilen. Er war nicht ganz ohne Unruhe. Denn Annas bürgerliche Instinkte wachten zuweilen in ganz unerwarteter Weise wieder auf. Jedenfalls beschloß Georg, ihr seine Einladung an Demeter und Therese als etwas vollkommen Selbstverständliches mitzuteilen und war bereit für den Fall, daß sie der Sache gekränkt, geärgert oder auch nur unsicher gegenüberstände, eine solche Auffassung mit Entschiedenheit abzulehnen. Er selbst freute sich auf den Abend, der ihm bevorstand, nach den vielen Wochen, die er ausschließlich in Annas Gesellschaft verbracht hatte. Beinahe spürte er ein wenig Neid auf Demeter, der sich nun auf einer so sorgenlosen Vergnügungsreise befand, in der Art wie er selbst sie im vorigen Jahr mit Grace gemacht hatte. Dazu kam, daß ihm Therese besser gefallen hatte als je. So vielen schönen Frauen er im Laufe der letzten Monate begegnet war, noch niemals, trotzdem Anna an weiblicher Anmut immer mehr verlor, war er in ernste Versuchung geraten. Heute zum erstenmal wieder fühlte er Sehnsucht nach neuen Umarmungen.
Bald sah er durch die Gitterstäbe des Balkons das hellblaue Morgenkleid Annas schimmern. Georg pfiff, nach gewohnter Art sich anzukündigen, die ersten Takte der Beethovenschen fünften Symphonie, und gleich erschien über dem Geländer das blasse, sanfte Gesicht der Geliebten, und ihre großen Augen begrüßten ihn lächelnd. Er hielt das Päckchen Briefe in die Höhe, sie nickte befriedigt, dann eilte er rasch hinauf in ihr Zimmer auf den Balkon. Sie lehnte in einem Strohsessel vor dem Tischchen mit der grünlichen Schutzdecke, auf dem sie eine Handarbeit liegen hatte, so wie es beinahe immer der Fall war, wenn Georg von seinem Morgenspaziergang nach Hause kam. Er küßte sie auf die Stirn und auf den Mund. »Also was glaubst du, wem ich begegnet bin?« fragte er hastig.
»Else Ehrenberg«, antwortete Anna, ohne Besinnen.
»Wie kommst du drauf? Wie sollte die hierher geraten?«
»Nun«, sagte Anna pfiffig, »man könnte dir ja nachgereist sein.«
»Man könnte, aber man ist es nicht. Also rat weiter. Dreimal darfst du.«
»Heinrich Bermann.«
»Aber keine Idee. Von dem ist übrigens ein Brief da. Also weiter.«
Sie dachte nach. »Demeter Stanzides«, sagte sie dann.
»Wie, weißt du am Ende etwas?«
»Was soll ich denn wissen? Ist er wirklich da?«
»Donnerwetter du wirst ja ganz rot, o!« Er kannte ihre Schwärmerei für Demeters melancholische Kavaliersschönheit, fühlte aber keine Spur von Eifersucht.
»Also ist es Stanzides?« fragte sie.
»Ja, allerdings ist es Stanzides.«
»Daran kann ich aber mit dem besten Willen nichts Merkwürdiges finden.«
»Das ist auch nicht merkwürdig. Aber wenn du draufkommst, mit wem er da ist…«
»Mit Sissy Wyner.«
»Aber…«
»Nun, ich dachte verheiratet… das kommt ja auch vor.«
»Nein, nicht mit Sissy und nicht verheiratet, sondern mit deiner Freundin Therese und so unvermählt als möglich.«
»Na geh…«
»Wie ich dir sage, mit Therese. Seit acht Tagen sind sie auf Reisen. Was sagst du dazu? In Venedig und Mailand waren sie. Hattest du eine Ahnung davon?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht. Du weißt doch, daß mir Therese nur einmal flüchtig geschrieben hat, und du hast ja mit bekanntem Interesse ihren Brief gelesen.«
»Du bist mir nicht genug erstaunt.«
»Gott ich hab immer gewußt, daß sie einen guten Geschmack hat.«
»Demeter auch«, rief Georg mit Überzeugung aus.
»Wahlverwandtschaften«, bemerkte Anna mit hochgezogenen Brauen und häkelte weiter.
»Und das ist nun die Mutter meines Kindes«, sagte Georg mit heiterm Kopfschütteln.
Sie sah ihn lächelnd an. »Wann kommt sie denn zu mir?«
»Nachmittag so gegen sechs, denk ich. Und… und Stanzides kommt auch… etwas später. Sie werden mit uns speisen. Du hast doch nichts dagegen?«
»Dagegen? Ich freu mich sehr«, erwiderte Anna einfach. Georg war angenehm berührt. Wenn Anna in ihrem Zustand Stanzides in Wien begegnet wäre!… dachte er. Wie doch das Entrücktsein aus der gewohnten Umgebung befreit und reinigt!
»Was haben sie denn Neues erzählt?« fragte Anna.
»Wir sind kaum drei Minuten zusammen gestanden, bei der Post. Er läßt dir übrigens die Hand küssen.«
Anna antwortete nichts, und Georg schien es, als wandelten ihre Gedanken wieder auf sehr bürgerlichen Wegen.
»Bist du schon lang aufgestanden? – fragte er rasch.
»Ja, ich sitze schon eine ganze Weile da auf dem Balkon. Ich hab sogar ein bissel geschlummert, die Luft hat so was Ermattendes heute, und geträumt hab ich auch.«
»Wovon hast du denn geträumt?«
»Vom Kind«, sagte sie.
»Wieder?«
Sie nickte. »Ganz dasselbe wie neulich. Hier auf dem Balkon bin ich gesessen, auch im Traum, und hab’s in meinem Arm gehabt, an der Brust…«
»Was war’s denn? Ein Bub oder ein Mädel?«
»Ich weiß nicht. Ein Kind halt. So klein und so süß. Und eine Wonne war das… Nein, ich geb’s nicht her«, sagte sie dann leise mit geschlossenen Augen.
Er stand ans Geländer gelehnt und fühlte den leichten Mittagswind in seinen Haaren streichen. »Wenn du’s nicht fortgeben willst«, sagte er, »so sollst du’s auch nicht tun.« Und es fuhr ihm durch den Sinn: wär es nicht sogar das bequemste, wenn ich sie heiratete?… Aber irgend etwas hielt ihn zurück, es auszusprechen. Sie schwiegen beide. Er hatte die Briefe vor sich hin auf den Tisch gelegt. Nun nahm er sie und öffnete einen. »Sehen wir zuerst, was deine Mutter schreibt«, sagte er.
Der Brief der Frau Rosner enthielt die Mitteilung, daß daheim alles wohl sei, daß man sich sehr freue, Anna bald wieder zu sehen, und daß Josef in der Administration des »Volksboten« mit fünfzig Gulden Monatsgehalt angestellt sei. Ferner wäre eine Anfrage von Frau Bittner eingelangt, wann Anna aus Dresden zurückkäme, und ob es überhaupt sicher wäre, daß sie im nächsten Herbst wieder da sei, weil man sich andernfalls doch nach einer neuen Lehrerin umsehen müßte… Anna blieb regungslos und äußerte sich nicht.
Dann las Georg Heinrichs Brief vor. Er lautete: »Lieber Georg, ich freue mich sehr, daß Sie so bald zurück sein werden, und schreib Ihnen das lieber heute, weil ich Ihnen ja doch, wenn Sie einmal da sind, nie sagen werde, wie sehr ich mich darüber freue. Vor ein paar Tagen an der Donau, auf einer abendlich einsamen Radpartie hab ich eine wahre Sehnsucht nach Ihnen bekommen. Was übrigens diese Ufer für einen