Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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einem schönen März-Nachmittag, machte Georg seinen Abschiedsbesuch bei Ehrenbergs. Seit jenem Weihnachtsfeiertage hatte er sich nur selten oben blicken lassen, und seine Gespräche mit Else waren seither durchaus harmlos geblieben. Wie einem Freunde, der solche Bemerkungen nicht mehr mißverstehen konnte, gestand sie ihm, wie sie sich daheim immer weniger wohl fühle. Insbesondre, was Georg schon selbst manchmal beobachtet hatte, schien die Stimmung des Hauses durch das üble Verhältnis zwischen Vater und Sohn dauernd getrübt zu sein. Wenn Oskar in seiner nonchalant-vornehmen Haltung zur Tür hereinkam und in seinem wienerisch-aristokratischen Ton zu reden begann, wandte sich der Vater mit Hohn ab, oder konnte Anspielungen nicht unterdrücken, daß er von heut auf morgen der ganzen Vornehmheit durch Entziehen oder Herabsetzen des sogenannten Gehaltes, der ja doch nur ein Taschengeld wäre, ein Ende machen könnte. Fing hingegen der Vater, wie er es vor Leuten und mit offenbarer Absicht am liebsten tat, im Jargon zu reden an, so biß Oskar die Lippen aufeinander und verließ wohl auch das Zimmer. Doch kam es in der letzten Zeit nur mehr selten vor, daß Vater und Sohn zugleich sich in Wien oder in Neuhaus aufhielten. Sie ertrugen kaum mehr einer des andern Nähe.

      Als Georg bei Ehrenbergs eintrat, lag das Zimmer fast im Dunkel. Hinter dem Klavier hervor leuchtete die marmorne Isis, und in den Erker, wo Mutter und Tochter einander gegenübersaßen, fiel das Dämmerlicht des späten Nachmittags. Zum erstenmal hatte für Georg die Erscheinung dieser zwei Frauen etwas seltsam Rührendes. Eine Ahnung tauchte in ihm auf, daß ihm dieses Bild heute vielleicht zum letztenmal vor Augen träte, und Elses Lächeln leuchtete ihm so schmerzlich süß entgegen, daß er einen Augenblick lang dachte: wäre nicht am Ende hier das Glück gewesen?…

      Nun saß er neben Frau Ehrenberg, die ruhig weiter stickte, Else gegenüber, rauchte eine Zigarette und war wie zu Hause. Er erzählte, daß er, verführt von dem lockenden Frühlingswetter, die geplante Reise früher antrete, als beabsichtigt war, und daß er sie wahrscheinlich bis in den Sommer hinein ausdehnen werde.

      »Und wir wollen diesmal schon Mitte Mai nach dem Auhof«, sagte Frau Ehrenberg. »Aber heuer rechnen wir sicher darauf Sie bei uns zu sehen.«

      »Wenn Sie nicht anderweitig beschäftigt sind«, setzte Else hinzu, ohne eine Miene zu verziehen.

      Georg versprach im August zu kommen, auf einige Tage wenigstens.

      Dann sprach man über Felician und Willy, die sich vor wenig Tagen von Biskra aus mit ihrer Gesellschaft in die Wüste begeben hatten, um zu jagen; über Demeter Stanzides, der nächstens seinen Abschied vom Militär nehmen und sich auf ein Gut in Ungarn zurückziehen wollte, und endlich über Heinrich Bermann, von dem seit Wochen niemand eine Nachricht hatte.

      »Wer weiß, ob er überhaupt nach Wien zurückkommt«, sagte Else.

      »Warum sollte er nicht? – wie kommen Sie darauf, Fräulein Else?«

      »Gott, vielleicht wird er diese Schauspielerin heiraten und mit ihr in der Welt herumziehen.«

      Georg zuckte die Achseln… Er wüßte von keiner Schauspielerin, mit der Heinrich in Verbindung stand, und erlaubte sich seinen Zweifel auszudrücken, daß Heinrich jemals heiraten werde, ob nun eine Prinzessin oder eine Zirkusreiterin.

      »Es wäre schade um Bermann«, sagte Frau Ehrenberg, ohne sich um Georgs Diskretion zu kümmern. »Überhaupt finde ich, die jungen Leute nehmen diese Dinge entweder zu leicht oder zu schwer.«

      Else ergänzte: »Ja es ist sonderbar. Ihr seid alle in diesen Dingen entweder viel klüger oder viel dümmer, als in allen andern, obwohl man doch gerade in solchen Lebenssachen möglichst der bleiben sollte, der man für gewöhnlich ist.«

      »Liebe Else«, sagte Georg obenhin, »wenn einmal Leidenschaften im Spiele sind…«

      »Ja, wenn sie im Spiele sind«, betonte Frau Ehrenberg.

      »Leidenschaften!« rief Else. »Ich glaube die sind so was Seltenes, wie alles Großartige auf der Welt.«

      »Was weißt du mein Kind«, sagte Frau Ehrenberg.

      »In meiner Nähe habe ich wenigstens noch nichts dergleichen gesehen«, erklärte Else.

      »Wer weiß, ob Sies entdecken würden«, meinte Georg, »auch wenn es einmal in Ihrer Nähe vorkäme. Von außen gesehen mag zuweilen ein Flirt und eine Liebestragödie ganz den gleichen Anblick bieten.«

      »Das ist gewiß nicht wahr«, sagte Else. »Leidenschaft ist etwas, das sich unbedingt verraten muß.«

      »Woher willst du denn das wissen, Else?« wandte Frau Ehrenberg ein. »Gerade Leidenschaften können sich manchmal tiefer verbergen, als irgendein kleines Gefühlchen, schon weil mehr auf dem Spiel zu stehen pflegt.«

      »Ich glaube, gnädige Frau«, entgegnete Georg, »das ist sehr individuell. Es gibt eben Leute, denen alles auf der Stirn geschrieben steht, und andre, die undurchdringlich sind. Undurchdringlichkeit ist sogar gewissermaßen ein Talent wie ein anderes.«

      »Man kann es auch ausbilden wie ein anderes«, sagte Else.

      Das Gespräch stockte einen Augenblick, wie es leicht geschieht, wenn mit einemmal hinter einer allgemeinen Bemerkung die persönliche Nutzanwendung allzudeutlich hervorblinkt.

      Frau Ehrenberg setzte neu ein: »Haben Sie was Schönes komponiert in der letzten Zeit, Georg?« fragte sie.

      »Ein paar Kleinigkeiten fürs Klavier. Übrigens ist auch mein Quintett bald fertig.«

      »Das Quintett fängt bald an mythisch zu werden«, sagte Else unzufrieden.

      »Else«, mahnte die Mutter.

      »Na ja, es wäre doch wirklich gut, wenn er fleißiger wäre.«

      »Da haben Sie freilich Recht«, erwiderte Georg.

      »Ich glaube, die Künstler haben früher viel mehr gearbeitet als jetzt.«

      »Die großen«, ergänzte Georg.

      »Nein, alle«, beharrte Else.

      »Es ist vielleicht gut, daß Sie eine Reise machen«, sagte Frau Ehrenberg weitblickend. »Sie werden hier zu viel abgelenkt.«

      »Er wird sich überall ablenken lassen«, behauptete Else streng. »Auch in Iglau, oder wo er sonst im nächsten Jahr sein wird.«

      »Daran hab ich jetzt gar nicht gedacht, daß Sie fortgehen«, sagte Frau Ehrenberg und schüttelte den Kopf. »Und Ihr Bruder ist nächstes Jahr in Sofia oder Athen, und Stanzides in Ungarn… traurig eigentlich, wie die nettesten Menschen in alle Windrichtungen auseinander stieben.«

      »Wenn ich ein Mann wär«, sagte Else, »stöb ich auch.«

      Georg lachte. »Sie träumen von einer Reise um die Welt in einer weißen Yacht. Madeira, Ceylon, St. Franzisko.«

      »O nein, ich möchte nicht ohne Beruf sein, aber wahrscheinlich wäre ich Marineoffizier geworden.«

      »Möchten Sie nicht so lieb sein«, wandte sich Frau Ehrenberg an Georg, »und uns Ihre neuen Sachen ein bissel vorspielen?«

      »Ganz gern.« Er stieg vom Erker am Fenster hinab, in die Dunkelheit des Zimmers. Else erhob sich und schaltete das Oberlicht ein. Georg öffnete das Klavier, setzte sich hin und spielte seine Ballade. Else hatte auf einem Fauteuil Platz genommen, und wie sie den Arm auf die Lehne und den Kopf auf den Arm gestützt dasaß, in der Haltung einer großen Dame und mit dem schwermütigen Gesicht eines altklugen Kindes, fühlte Georg von ihrem Anblick sich wieder sonderbar gerührt. Er war heute nicht sehr befriedigt von seiner Ballade und sich wohl bewußt, daß er durch ein allzu ausdrucksvolles Spiel der Wirkung nachzuhelfen suchte.

      Hofrat Wilt trat leise ein und machte ein Zeichen, man möchte sich nur nicht stören lassen. Dann blieb er mit dem grauen, kurz gesträubten Kopfhaar, überlegen, gütig und lang neben der Tür an der Wand gelehnt stehen, bis Georg mit übertrieben klangvollen Akkorden den Vortrag endete. Man begrüßte einander. Wilt beglückwünschte Georg, daß er ein freier Mann war und jetzt in den Süden reisen durfte. »Ich kann das leider nicht«, fügte er hinzu, »und dabei hat man doch überdies zuweilen


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