Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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seit zwei Tagen da war und den Georg für einen österreichischen Offizier in Zivil hielt. Im übrigen kümmerte er sich um ihn so wenig als um die andern. Georg hatte den Brief Heinrichs zu sich gesteckt. Es fiel ihm ein, daß er ihn noch nicht zu Ende gelesen. Beim schwarzen Kaffee nahm er ihn wieder vor und überflog den Schluß.

      »Was schreibt er denn noch?« fragte Anna.

      »Nichts Besonderes«, antwortete Georg. »Von Leuten, die dich nicht besonders interessieren dürften. In seine Kaffeehausgesellschaft scheint er wieder hinein geraten zu sein, mehr als ihm lieb ist, und mehr als er zugesteht, offenbar.«

      »Er wird schon hineinpassen«, sagte Anna beiläufig. Georg lächelte nachsichtig. »Es ist immerhin ein komisches Volk.«

      »Was ist denn mit ihnen?« fragte Anna.

      Georg hatte den Brief neben der Tasse liegen, blickte hinein. »Der kleine Winternitz… weißt du… der im Winter einmal mir und Heinrich seine Gedichte vorgelesen hat… geht nach Berlin als Dramaturg eines neu gegründeten Theaters. Und Gleißner, der uns einmal im Museum so angeglotzt hat…«

      »Ja der ekelhafte Kerl mit dem Monokel…«

      »Also der erklärt, daß er das Schreiben überhaupt aufgibt, um sich ausschließlich dem Sport zu widmen…«

      »Dem Sport?«

      »Einem ganz eigenartigen. Er spielt mit Menschenseelen.«

      »Wie?«

      »Hör nur.« Er las: »Jetzt behauptet dieser Hanswurst mit der Lösung folgender zweier psychologischen Aufgaben zugleich beschäftigt zu sein, die sich in geistreicher Weise ergänzen. Erstens: ein junges, unverdorbenes Geschöpf aufs furchtbarste zu depravieren und zweitens eine Dirne zur Heiligen zu machen, wie er sich ausdrückt. Er verspricht nicht zu ruhen, ehe die erste in einem Freudenhaus, die zweite in einem Kloster endet.«

      »Eine nette Gesellschaft«, bemerkte Anna und stand vom Tisch auf.

      »Wie klingt das alles hierher!« sagte Georg, und folgte ihr in den Park. Über den Wipfeln der Bäume ruhte sonnenschwer ein dunkelblauer Tag. Eine Weile standen sie an der niederen Balustrade, die den Garten von der Straße schied, und sahen über den See zu den Bergen hin, die hinter silbergrauen im Sonnenlicht bebenden Schleiern dämmerten. Dann spazierten sie tiefer in den Park, wo die Schatten kühler und dunkler waren, und während sie Arm in Arm über den leise knisternden Kies wandelten, längs der hohen braunen efeubewachsenen Mauer, über die alte Häuser mit schmalen Fenstern hereinstarrten, plauderten sie von den Nachrichten, die heute gekommen waren. Und zum ersten Male stieg eine leichte Sorge in ihnen auf, bei dem Gedanken, daß sie nun aus der freundlichen Geborgenheit der Fremde so bald wieder nach Hause sollten, wo selbst der Alltag von geheimen Fährlichkeiten erfüllt schien. Sie setzten sich unter die Platane an den weiß lackierten Tisch. Wie mit Absicht war dieser Platz immer für sie freigehalten. Nur gestern Nachmittag war der neu angekommene österreichische Herr dagesessen, hatte sich aber, durch einen mißbilligenden Blick Annas fortgewiesen, mit höflichem Gruß entfernt.

      Georg eilte aufs Zimmer und holte für Anna ein paar Bücher, für sich einen Band von Goethe-Gedichten und das Manuskript seines Quintetts. Nun saßen sie beide da, lasen, arbeiteten, sahen zuweilen auf, lächelten einander an, sprachen ein paar Worte, guckten wieder ins Buch, blickten über die Balustrade ins Freie und fühlten den Frieden in ihren Seelen und den Sommer in der Luft. Sie hörten, wie der Springbrunnen hinter dem Busch ganz nahe rauschte und dünne Tropfen auf den Wasserspiegel fielen. Manchmal knarrten die Räder eines Wagens jenseits der hohen Mauer, zuweilen tönten vom See her dünne, ferne Pfiffe, seltener noch klangen Menschenstimmen von der Uferstraße in den Garten herein. Von Sonne vollgetrunken drückte der Tag auf die Wipfel. Später, mit dem leisen Wind, der jeden Nachmittag vom See her wehte, verstärkten und mehrten sich Laute und Stimmen. Die Wellen schlugen hörbar an den Strand, Rufe der Schiffer tönten herauf, jenseits der Mauer klang Gesang junger Leute. Vom Springbrunnen sprühten winzige Tröpfchen her. Der Hauch des nahen Abends weckte Menschen, Land und Wasser wieder auf.

      Schritte tönten auf dem Kies. Therese, schlank und weiß, kam rasch die Allee gegangen. Georg stand auf, ging ihr ein paar Schritte entgegen, reichte ihr die Hand. Auch Anna wollte sich erheben, Therese ließ es nicht zu, umarmte sie, gab ihr einen Kuß auf die Wange und setzte sich zu ihr. »Wie schön ist es da!« rief sie aus. »Aber bin ich euch nicht zu früh gekommen?«

      »Was fällt dir ein, ich freu mich ja so«, erwiderte Anna.

      Therese betrachtete sie mit prüfendem Lächeln und ergriff ihre beiden Hände.

      »Na, dein Aussehen ist beruhigend«, sagte sie.

      »Es geht mir auch sehr gut«, erwiderte Anna. »Und dir wie es scheint nicht minder«, setzte sie mit freundlichem Spott hinzu.

      Georgs Augen ruhten auf Therese, die wieder ganz weiß wie morgens, diesmal noch eleganter, in englisches gesticktes Leinen gekleidet war und um den freien Hals eine Schnur aus lichtrosa Korallen trug. Während die beiden Frauen über den sonderbaren Zufall ihres Wiedersehens sprachen, erhob sich Georg, um Aufträge für das Diner zu erteilen. Als er in den Garten wiederkehrte, waren die beiden andern nicht mehr da. Er sah Therese auf dem Balkon, den Rücken an das Geländer gelehnt, mit Anna reden, die unsichtbar, in der Tiefe des Zimmers weilen mochte. In guter Stimmung spazierte er in den Alleen hin und her, ließ Melodien in sich singen, fühlte seine Jugend und sein Glück, warf zuweilen einen Blick auf den Balkon oder über die Balustrade auf die Straße und sah endlich Demeter Stanzides herankommen. Er ging ihm entgegen. »Seien Sie willkommen«, begrüßte er ihn am Gartentor. »Die Damen sind oben auf dem Zimmer, werden aber bald erscheinen. Wollen Sie sich indessen ein bißchen den Park ansehen?«

      »Gern.«

      Sie spazierten miteinander weiter.

      »Haben Sie die Absicht, länger in Lugano zu bleiben?« fragte Georg.

      »Nein, wir fahren morgen nach Bellaggio, von dort an den Lago Maggiore, Isola bella. Die ganze Herrlichkeit dauert ja nimmer lang. In vierzehn Tagen müssen wir wieder zu Hause sein.«

      »So kurzen Urlaub?«

      »Ach, es ist nicht meinetwegen. Aber Therese muß zurück. Ich bin ein ganz freier Mann. Ich hab schon meinen Abschied im Sack.«

      »Sie wollen sich also ernstlich auf Ihr Gut zurückziehen?«

      »Mein Gut?«

      »Ja, ich hab so was gehört, bei Ehrenbergs.«

      »Aber ich hab doch das Gut noch gar nicht. Steh allerdings in Unterhandlungen.«

      »Und wo werden Sie sich ankaufen, wenn ich fragen darf?«

      »Wo sich die Füchs’ gute Nacht sagen. Es wird Ihnen wenigstens so vorkommen. An der ungarisch-kroatischen Grenze. Ziemlich einsam und entlegen, aber sehr merkwürdig. Ich hab eine gewisse Sympathie für die Gegend. Jugenderinnerungen. Drei Leutnantsjahre. Offenbar bild ich mir ein, ich werde dort wieder jung werden. Na, wer weiß.«

      »Eine schöne Besitzung?«

      »Nicht übel. Vor zwei Monaten hab ich sie mir wieder angesehen. Hab sie nämlich schon aus früherer Zeit gekannt. Dem Grafen Jaczewicz hat sie gehört dazumal. Zuletzt einem Fabrikanten. Dem ist seine Frau gestorben. Jetzt fühlt er sich einsam da unten und will’s los werden.«

      »Ich weiß nicht«, sagte Georg, »aber ich stell mir die Gegend ein bissel melancholisch vor.«

      »Melancholisch? Na, mir scheint, in einer gewissen Lebensepoche kriegt jede Gegend ein melancholisches Ansehen.« Und er blickte rings um sich, wie um sich einen neuen Beweis von der Wahrheit seiner Worte zu verschaffen.

      »In welcher Epoche?«

      »Na, wenn man anfängt alt zu werden.«

      Georg lächelte. Demeter erschien ihm so schön, und trotz der grauen Haare an den Schläfen noch jung. »Wie alt sind Sie denn Herr Stanzides, wenn ich fragen darf?«

      »Siebenunddreißig. Ich sag ja nicht alt sein, sondern alt werden. Die


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