Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 1. Walter-Jörg Langbein

Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 1 - Walter-Jörg Langbein


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Texte vor und überarbeitete sie. Dabei korrigierte er nicht in erster Linie sprachliche Fehler, sondern er zensierte. Auch die anderen Schriften des »Neuen Testaments« knöpfte sich Hieronymus vor und bearbeitete sie ebenfalls, offenbar weniger stark als die vier Evangelien. Im Jahre 384 verstarb Papst Damasus I., Hieronymus setzte seine begonnene Arbeit fort.

      Die ursprünglich in hebräischer Sprache verfassten Bücher des »Alten Testaments« standen dem frommen Kirchenmann in altgriechischer Sprache zur Verfügung.

      Nebenbei: Luthers Hebräisch-Kenntnisse waren wohl recht bescheiden. Es ist anzunehmen, dass er die Texte des Alten Testaments aus dem Altgriechischen und/ oder Lateinischen ins Deutsche übersetzte.

      Hieronymus übertrug den Psalter, Buch Hiob, Sprichwörter, Hohelied und die beiden Bücher der Chronik ins Lateinische. Schließlich wurde das Werk vollendet, so dass eine komplette Fassung von beiden Teilen der Bibel in lateinischer Sprache vorlag. Die lateinische Bibel – heute als »Vulgata« bekannt – mag vom Erschaffer des Gemäldes »Wurzel Jesse« als Vorlage für die Schriftbänder gedient haben.

      Kehren wir zur Person in Blau (Person 2) zurück. Auf ihrem Sprachband steht »Egredietur virga de radice Jesse. Is 11«. Wir schlagen in der »Vulgata« nach und werden rasch fündig. Gleich Vers 1 von Kapitel 11 im »Buch Jesaja« lautet (6): »Et egredietur virga de radice Jesse, et flos de radice ejus ascendet.«

      Ein Teil dieses Verses findet sich – korrekt zitiert – im Schriftband wieder. Die Luther-Bibel – Ausgabe 2017 – übersetzt wie folgt: »Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.«

      Dieser Bibelvers ist heute die wohl bekannteste Prophezeiung des Alten Testaments überhaupt. Keine zweite wird so häufig in Gottesdiensten unserer Tage zitiert. Sie wird dahingehend verstanden, dass der ersehnte Messias ein Nachkomme des Isai alias Jesse sein würde. Isai alias Jesse alias – hebräisch – Jischaj (zu Deutsch »Geschenk Gottes«) war der Vater von König David. Die Voraussetzung für das Messias-Amt schlechthin war, von David abzustammen. Ob Jesus tatsächlich ein Nachkomme Davids war, mag dahingestellt bleiben. Vielleicht wurde ihm sein »Stammbaum« nur angedichtet.

      Fußnoten:

      (1) Metternich, Wolfgang: »Der Dom zu Limburg an der Lahn«, Darmstadt 1994

      (2) Weyres, Willy: »Der Georgsdom zu Limburg. Festschrift zur Siebenhundertjahrfeier«, Limburg 1935, Seite 72

      (3) Grodecki, Louis: »Romanische Glasmalerei«, o.O., 1977, Abb. 195, 196.

      (4) Nickel, Roman: Manuskript ohne Titel, Archiv. Sabine Benecke vom »Diözesanmuseums Limburg«, Abteilung »Kunst und Museen«, Limburg, hat mir dankenswerter Weise eine Kopie des Manuskripts zur Verfügung gestellt.

      (5) Siehe hierzu Aß, Karl J. et al: »Die Kirchen der Pfarrei Prien«, Schnell Kunstführer 49, 4. Auflage, Regensburg 1998.

      von Bibra, Maria Feiin: »Wandmalereien in Oberbayern 1320–1570«, erschienen in »Miscellanea Bavarica Monacensia 25«, München 1970.

      (6) Vulgata

      Gibt es im Dom von Limburg die Darstellung eines UFOs? Teil 2

      Links neben dem Mann in Blau erkennen wir einen grün gekleideten Mann (Person 3). Es fällt uns leicht, ihn als David mit Harfe zu identifizieren. Im Spruchband lesen wir: »In sole posuit tabernaculum suum Ps 18« Ps 18 steht für Psalm 18. Suchen wir den Psalm 18 in der Vulgata auf, so finden wir als Vers 6: »In sole posuit tabernaculum suum; et ipse tamquam sponsus procedens de thalamo suo.« Die aktuelle Luther-Bibel von 2017 übersetzt (1): »Er hat der Sonne ein Zelt am Himmel gemacht; sie geht heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer.«

      Links von David mit seiner Harfe steht ein in Rot gekleideter Mann (Person 4) mit roter Mütze. Auch er verfügt über ein Schriftband, das sich vom Kopf nach unten schlängelt: »Stillabunt montes dulcedinem. Joel«. Hier fehlt ein Hinweis auf das Kapitel, aus dem das kurze Zitat stammt. Roman Nickel, dessen detektivischer Spürsinn nicht genug gelobt werden kann, hat’s gefunden (2):

      Die wenigen Worte sind aus dem Buch Joel entnommen, und zwar aus Kapitel 3, Vers 18. In der Vulgata lesen wir: »Et erit in die illa: stillabunt montes dulcedinem, et colles fluent lacte, et per omnes rivos Juda ibunt aquae; et fons de domo Domini egredietur, et irrigabit torrentem spinarum.«

      In der Luther-Bibel von 2017, wie in allen anderen Bibelausgaben, endet freilich Joel Kapitel 3 mit Vers 5. Die Übersetzung des zitierten lateinischen Verses findet sich in Kapitel 4, Vers 18: »Zur selben Zeit werden die Berge von Most triefen und die Hügel von Milch fließen, und alle Bäche in Juda werden voll Wasser sein. Und es wird eine Quelle ausgehen vom Hause des Herrn, die wird das Tal Schittim bewässern.«

      Am Ende von Joel Kapitel 4, Vers 18 lesen wir im hebräischen Urtext: »nachal haschittim«. Die Bedeutung ist unklar. Es ist von einem »Tal Schittim« die Rede. Schittim deutet, wie die »Gute Nachricht«-Bibel mutmaßt (3), auf Akazien hin, die in Steppe und Wüste wachsen. Das freilich ist spekulativ. Und so lesen wir in der »Gute Nachricht«-Bibel, dass die Quelle aus dem Haus des Herrn »auch noch das trockenste Tal bewässert«. Auch die lateinische Vulgata weiß nicht wirklich, was genau der hebräische Text meint und übersetzt interpretierend: »… et irrigabit torrentem spinarum.« Zu Deutsch: »Und wird bewässern das Tal der Dornen.«

Wurzel_Jesse_1

      Es ist stets interessant, Veränderungen von Texten vom Hebräischen ins Lateinische der Vulgata und schließlich ins Deutsche zu verfolgen. Dabei fällt auf, dass, was wir für eine Übersetzung halten, schon Interpretation ist. So wird immer wieder versucht, vage geographische Angaben zu konkretisieren. Im hebräischen Text von Joel findet sich kein konkreter Hinweis auf die Lokalisation des Tales.

      Wir gehen ein Stück weiter nach links. Da wendet uns ein Mann seinen Rücken zu (Person 5). Er trägt gelbe Kleidung, dazu eine gelbe Mütze. Ein Spruchband scheint seinem Mund zu entweichen: »Femina circumdabit virum.« Wieder bietet das Spruchband keinen Hinweis auf die präzise Bibelstelle. Sie ist per Computer leicht ausfindig zu machen. Man suche sich eine Onlineausgabe der Vulgata im Internet, gebe die drei lateinischen Worte in die Suchmaschine ein, schon stößt man auf Jesaja Kapitel 31, Vers 22: »Usquequo deliciis dissolveris, filia vaga? Quia creavit Dominus novum super terram: femina circumdabit virum.«

      Anno 2017 übersetzt die aktuellste Lutherausgabe: »Wie lang willst du in der Irre gehen, du abtrünnige Tochter? Denn der Herr wird ein Neues im Lande schaffen: Die Frau wird den Mann umgeben.« Rätselhaft ist der Worte Sinn. Angesprochen wird als »Abtrünnige« das Volk Israel. Jahwe, der Herr, wird sein Volk zurückführen. »Hoffnung für alle« versucht zu verdeutlichen:

      »Wie lange willst du noch umherirren, mein Volk, das mir die Treue gebrochen hat? Wenn du wieder in deinem Land bist, lasse ich etwas ganz Neues geschehen: Du wirst bei mir bleiben wie eine Frau bei ihrem Mann.«

      Gehen wir einen Schritt weiter nach links. Von einer im Hintergrund stehenden Person (Person 6) sehen wir nur den Kopf. Auch diesem Mann, er ist in Graublau gehüllt, ist ein Schriftband zugeordnet: »Egressus es in salutem populi tui. Hab« Hab verweist auf den Urheber des Zitats, auf Habakuk. Aber auch ohne diese Angabe werden wir via Suchmaschine rasch in der Vulgata fündig. Das Kurzzitat stammt aus Habakuk Kapitel 3, Vers 13. Die aktuelle Luther-Übersetzung von 2017 gibt diese Worte wieder als: »Du ziehst aus, deinem Volk zu helfen.«

      Übersetzungen alter Texte – ob aus dem alten Indien, dem Reich der Sumerer oder der Bibel – erfordern immer der Interpretation. Können wir uns gedanklich in die Zeit versetzen, als vor langer Zeit mysteriöse Texte entstanden? Wie sah die Welt des Alten Testaments aus? Eine heute nicht nur in Kreisen der Prä-Astronautik weit verbreitete Interpretation sieht in Gott Jahwe einen Außerirdischen.

      Spekulieren wir: Jahwe war ein Außerirdischer, der das Volk Israel warum auch immer auserwählt hat. Von dieser Spekulation ausgehend, entdecken wir bei der Lektüre der Bibel immer


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