Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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wie? Aber se­hen Sie nur nä­her zu, es ist das ein­zig Rich­ti­ge, das ein­zig Ver­nunft­ge­mä­ße.«

      »Ich weiß doch nicht…« pro­tes­tier­te Herr Herz lei­se.

      »Doch – doch«, un­ter­brach ihn Herr La­nin. »Ist sich auch nicht ein je­der die­ses Ge­set­zes klar be­wusst, dazu be­sitzt nicht ein je­der die ana­ly­ti­sche Übung, so fühlt es doch ein je­der. Ih­nen, lie­ber Herz, wür­de es nicht an­ders ge­hen, wä­ren Sie im be­stän­di­gen Kon­nex mit der hö­he­ren bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft ge­blie­ben. Die­ses Ge­setz ist auch der Grund, warum mein Schwa­ger nie die­ser Ver­bin­dung sei­ne Zu­stim­mung ge­ben wür­de, wenn ihm auch nicht an­der­wei­ti­ge Plä­ne, die er mit Am­bro­si­us hat, im Wege ste­hen wür­den. Nie – nie!« Herr La­nin mach­te mit der Hand einen ver­ti­ka­len Schnitt durch die Luft. »Mein Nef­fe reist mor­gen ab, und da­mit ist für die­se un­an­ge­neh­me Ver­wi­cke­lung die ein­zig ver­nunft­ge­mä­ße, ich möch­te sa­gen – ide­al-ethi­sche Lö­sung ge­fun­den.« Herr La­nin mach­te einen Qu­er­schnitt durch die Luft, und da­mit schi­en die Sa­che wirk­lich voll­kom­men lo­gisch und – hoff­nungs­los er­le­digt zu sein.

      Herr Herz er­hob sich. Lan­ins bun­te Re­dens­ar­ten ver­wirr­ten ihn. »Also – Herr Di­rek­tor – wenn Sie mei­nen…« Er war in so jäm­mer­li­cher Ver­fas­sung, dass er Di­rek­tor statt Bür­ger­meis­ter sag­te und dass es ihm vor­kam, als wäre er wie­der der arme Ko­mö­di­ant, dem der Di­rek­tor sein ma­ge­res Ho­no­rar vor­ent­hielt.

      »Le­ben Sie wohl«, sag­te La­nin herz­lich. »Ich wün­sche Ih­nen und Ih­rer Toch­ter al­les Gute. Der all­mäch­ti­ge Wel­ten­ord­ner wird al­les zum bes­ten wen­den.«

      Herr Herz trock­ne­te sich die Trä­nen aus den Au­gen. Der vä­ter­li­che Ab­schied des Bür­ger­meis­ters rühr­te ihn. »Oh, ich dan­ke – La­nin – ich dan­ke«, da­mit ging er hin­aus.

      Im Sa­lon husch­ten wie­der Fräu­lein Sal­lys wei­ße Rö­cke um die Türflü­gel – wie­der zeig­te sich Frau Lan­ins großes, blei­ches Ge­sicht in der halb­ge­öff­ne­ten Schlaf­kam­mer­tü­re.

      Herr Herz pil­ger­te nun zu Klappe­kahl. Der scharf­sin­ni­ge Apo­the­ker, der Welt­mann, wuss­te be­stimmt Rat.

      Die Apo­the­ke war der­ma­ßen über­füllt, dass Klappe­kahl und Zap­per nicht wuss­ten, wo ih­nen der Kopf stand. »Ah Herz, das ist char­mant. Ich ste­he so­gleich zur Ver­fü­gung«, rief der Apo­the­ker. »Ge­hen Sie, bit­te, ins Wohn­zim­mer hin­über. Sie fin­den dort die Er­nes­ti­ne. Kon­ver­sie­ren Sie mit ihr ein we­nig. Ich muss die­se Leu­te ab­fer­ti­gen. Ich weiß nicht, was das ist, eine Rie­sen­ob­struk­ti­on hat sich auf die Stadt ge­wor­fen. Bit­ter­was­ser und Ri­zi­nus – sonst nichts! Jetzt – zur Zeit der Früch­te! Un­be­greif­lich!« Klappe­kahl flog da­von.

      Herr Herz fand im Wohn­zim­mer al­ler­dings Er­nes­ti­ne; sie er­hob sich je­doch, als er ein­trat, grüß­te steif und ver­ließ das Zim­mer. Es dau­er­te eine ge­rau­me Wei­le, bis der Apo­the­ker Zeit fand, sich sei­nem Freun­de zu wid­men, und als er kam, war er atem­los und er­hitzt. »Es ist fa­bel­haft, wie es heu­te mor­gen hier zu­geht. Al­les schreit nach Ab­füh­run­gen. Es wäre in­ter­essant, die­ser Er­schei­nung auf den Grund zu kom­men.« – Als er die be­trüb­te Mie­ne sei­nes Gas­tes be­merk­te, ward er ru­hi­ger. »Ja so! Ich habe ge­hört. Ar­mer Freund!« Er drück­te Herrn Herz ge­fühl­voll die Hand. »Aber was tun! Man muss sich in al­les schi­cken.«

      »Ich kom­me zu Ih­nen, lie­ber Klappe­kahl«, mein­te Herr Herz, »ich dach­te mir, Sie wer­den viel­leicht et­was wis­sen.«

      »Ja – lie­ber Freund«, er­wi­der­te der Apo­the­ker und strich sin­nend mit der Hand über sein Kinn. »Ein schwie­ri­ger Fall! Nun – aber – aber – – das Schlimms­te ist doch noch nicht ge­sche­hen?«

      »Wie, das Schlimms­te?«

      »Ich mei­ne, nur klei­ne Un­vor­sich­tig­kei­ten lie­gen vor? Ach Gott! In ei­ner Groß­stadt hät­te das nichts auf sich, da lacht man über der­glei­chen; aber in un­se­rem Nes­te wird aus der Mücke ein Ele­fant. Ich – per­sön­lich – habe über sol­che Din­ge mei­ne selb­stän­di­ge, freie­re An­schau­ung; aber schließ­lich muss man sich dem Mi­lieu, in dem man lebt, fü­gen. Se­hen Sie, mei­ne ei­ge­ne Toch­ter weicht von mei­ner Auf­fas­sung ab. ›Dei­ne An­sicht ist eng, Er­nes­ti­ne‹, sag­te ich ihr ges­tern. Was wol­len Sie, das Mäd­chen steht eben auf dem Stand­punkt der Ge­sell­schaft, in der es lebt. Und nä­her be­se­hen – ist denn die gan­ze Af­fä­re ein so großes Un­glück? Ein hüb­sches, in­tel­li­gen­tes Mäd­chen wie Ro­set­te – haha – ich nenn sie im­mer Ro­set­te – das kommt über­all fort. Wie wäre es zum Bei­spiel mit dem Thea­ter? Ha­ben Sie dar­an schon ge­dacht?«

      »Nein!« ent­geg­ne­te Herr Herz er­staunt. Da­ran hat­te er wirk­lich nicht ge­dacht – und jetzt mach­te die­ser Ge­dan­ke auf ihn nur einen pein­li­chen Ein­druck. Sein müh­sa­mes, ärm­li­ches Ko­mö­di­an­ten­le­ben schweb­te ihm vor, und es er­schi­en ihm wie ein Hin­ab­stei­gen, wie ein Ver­lust an Wür­de, wenn aus der so­li­den Schank­schen Schü­le­rin eine Thea­ter­prin­zes­sin wer­den soll­te.

      »Das wäre doch so un­güns­tig nicht«, fuhr der Apo­the­ker fort und lä­chel­te schalk­haft. »Was wür­de Ro­set­te dazu sa­gen?«

      »Sie! Mein Gott! Sie sagt, sie will ihn hei­ra­ten.«

      Klappe­kahl ließ ein lei­ses Pfei­fen hö­ren und kratz­te sich mit dem klei­nen Fin­ger den Schei­tel. »Das ist et­was an­de­res. Aber – of­fen ge­sagt – wenn die El­tern des jun­gen Man­nes ihr Veto ein­le­gen, wenn er selbst nicht dar­an will, was kön­nen Sie tun? Zum Hei­ra­ten kann nie­mand ge­zwun­gen wer­den.«

      »Er hat es ihr ver­spro­chen«, wand­te Herr Herz kläg­lich ein.

      »Baba! So et­was tut man im Ju­gend­ei­fer. Wer von uns hat das nicht ge­tan? Hand aufs Herz! Sie – und ich – als wir jung wa­ren, in ei­ner Welt­stadt leb­ten, ha­ben wir da ge­glaubt, dass wir durch sol­che klei­ne Galan­te­ri­en ir­gend­wel­che Ver­bind­lich­keit über­neh­men? Nein – also! Sei­en wir ge­recht. Wie wol­len Sie nun den jun­gen Mann zwin­gen? Ein Duell? Ja, in ei­ner großen Stadt, da wäre auch das mög­lich; ich selbst wür­de mich Ih­nen ohne wei­te­res zum Se­kun­dan­ten an­bie­ten; ich weiß, wie sol­che Af­fä­ren aus­ge­tra­gen wer­den. Aber hier? Un­mög­lich!«

      »Un­mög­lich!« wie­der­hol­te Herr Herz ton­los. »Sie mei­nen also auch, das Kind soll fort?«

      »Es wird nicht an­ders ge­hen, mein ar­mer Freund.« Klappe­kahl reich­te dem Bal­let­tän­zer bei­de Hän­de. »Un­se­re Freund­schaft bleibt un­ge­trübt. Wir bei­de ha­ben ein Stück Welt ge­se­hen und wis­sen, was wir von den klein­städ­ti­schen Vor­ur­tei­len zu hal­ten ha­ben.« Zap­per un­ter­brach das Ge­spräch. »Herr Prin­zi­pal, es muss Gum­mi ara­bi­cum aus dem Ma­ga­zin ge­holt wer­den.«

      »Mein Gott! Jetzt tritt die Re­ak­ti­on ein. Die Stadt ist wie be­hext. Ich muss fort. Sie ent­schul­di­gen. Kann ich Ih­nen sonst hel­fen – Sie wis­sen – mit dem größ­ten Ver­gnü­gen. Mor­gen gebe ich eine klei­ne Soirée, so et­was zer­streut. Ich rech­ne auf Sie. Nur äl­te­re Leu­te, Sie ver­ste­hen – sonst wäre es mir ein Ver­gnü­gen ge­we­sen, Ro­set­te bei mir zu se­hen. Grü­ßen Sie das lie­be Kind von mir. Ar­ri­ve­der­ci!


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