Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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Er hielt inne, da Rosa aber schwieg, fuhr er müh­sam und ein we­nig un­zu­sam­men­hän­gend zu spre­chen fort. »Sie hat mir da al­ler­hand er­zählt – – Din­ge, die mir ganz, ganz fremd wa­ren, und die mich – ei­ni­ger­ma­ßen – al­te­riert ha­ben. So sagt sie un­ter an­de­rem, die gan­ze Stadt spricht von – von – wie sie sagt – von heim­li­chen Zu­sam­men­künf­ten zwi­schen dir und dem jun­gen Tel­le­r­at. – Du hast mir nichts da­von ge­sagt, lie­bes Kind. An der gan­zen Ge­schich­te ist viel­leicht nichts dar­an?«

      »Doch«, sag­te Rosa, und ihre Stim­me nahm eine er­zwun­ge­ne Fes­tig­keit und Ruhe an. »Ich kom­me mit Am­bro­si­us Tel­le­r­at zu­sam­men, weil ich mit ihm ver­lobt bin.« Tie­fe Stil­le folg­te die­ser Er­klä­rung; nur die alte Wand­uhr ließ ihr asth­ma­ti­sches Tik­tak ver­neh­men.

      »Da­von habe ich nichts ge­wusst«, er­griff Herr Herz end­lich klein­laut wie­der das Wort.

      »Ich woll­te es dir heu­te sa­gen«, ant­wor­te­te Rosa, und nun – den Kopf auf die So­fa­leh­ne zu­rück­ge­wor­fen, die Füße von sich ge­streckt – be­gann sie, dem gan­zen Un­wil­len, al­lem Är­ger, all der Angst, die sie den gan­zen Tag über mit sich her­um­ge­tra­gen hat­te, in der un­lo­gi­schen, über­spru­deln­den Wei­se weib­li­cher Be­red­sam­keit Luft zu ma­chen. Na­tür­lich! Der Va­ter hat­te es sich auch von der Schank ein­re­den las­sen, dass sie mit Am­bro­si­us weiß Gott was für Sa­chen trieb, dass sie ein schlech­tes, leicht­sin­ni­ges Mäd­chen sei. Wenn alle auch übel von ihr dach­ten, so hat­te sie doch we­nigs­tens ge­hofft, von ih­rem Va­ter ver­stan­den zu wer­den. Hun­der­te von Mäd­chen ver­lob­ten sich je­des Jahr, nur sie – Rosa – durf­te es nicht; bei ihr war es ein Ver­bre­chen. Und warum? Weil Sal­ly Am­bro­si­us hei­ra­ten woll­te. Aber wel­ches Recht hat­te Sal­ly auf Am­bro­si­us? Hat­te sie ihn viel­leicht ge­pach­tet? Konn­te sie ihn zwin­gen, ein wi­der­li­ches schie­len­des Mäd­chen zu lie­ben? Nein! Am­bro­si­us lieb­te Rosa – und Rosa lieb­te Am­bro­si­us, das war doch ein­fach ge­nug. Oder war es viel­leicht et­was so Un­ge­heu­er­li­ches, dass je­mand Rosa Herz hei­ra­ten woll­te? Gleich­viel! Ge­sche­hen wür­de es doch. Als Rosa auf den Hö­he­punkt ih­rer Rede ge­langt war, brach sie in Trä­nen aus, schluchz­te laut und ei­gen­sin­nig, wie ein un­ge­zo­ge­nes Kind.

      »Rosa – Kind, wei­ne nicht!« ver­such­te Herr Herz sie zu be­ru­hi­gen. »Ich sage ja nichts! Ich be­rich­te dir nur, was die Schank mir er­zählt hat. Aber du ge­rätst gleich in Feu­er – und nun die­ses Wei­nen! Was hab ich denn ge­sagt? Ich habe es nicht ge­wusst, dass ihr mit­ein­an­der ver­lobt seid. Wenn das so ist, wie du sagst, wer­de ich mich dar­über freu­en.«

      »Du glaubst doch nicht an die Hei­rat!« warf Rosa ein und wein­te fort.

      »O ja! Wa­rum nicht! Wir wer­den ja se­hen! Nur müs­sen die­se An­ge­le­gen­hei­ten be­spro­chen und be­dacht wer­den. Mit dem un­ver­stän­di­gen Wei­nen rich­ten wir nichts aus. Wei­ne nicht, sei ver­nünf­tig! Wenn man hei­ra­ten will, muss man ge­scheit sein. Komm!«

      Rosa rich­te­te sich auf. »Was sagt denn ei­gent­lich die alte Schank?« frag­te sie.

      »So ge­fällst du mir!« Herr Herz ver­such­te es, sei­ner Stim­me einen mun­te­ren Klang zu ge­ben. »Nun – sie er­zählt, heu­te mor­gen ist La­nin bei ihr ge­we­sen, um ihr mit­zu­tei­len, man habe dich und den jun­gen Tel­le­r­at zu­sam­men ge­se­hen – beim Tröd­ler, glau­be ich – und dann noch beim al­ten Rau­te. Al­ler­hand böse Din­ge spricht man in der Stadt von euch. Kurz: La­nin ver­langt, die Schank soll dich aus der Schu­le aus­schlie­ßen, sonst nimmt er sei­ne Toch­ter fort, und vie­le an­de­re tun es auch.«

      »Die Schank hat es ihm na­tür­lich zu­ge­sagt«, schal­te­te Rosa bit­ter ein. »Oh, sie kann un­be­sorgt sein! Ich gehe oh­ne­hin nicht mehr zu ihr.«

      »Erei­fre dich nicht, Kind! Wir woll­ten die Sa­che ja ru­hig be­spre­chen. Der Schank ge­hen die­se Ge­schich­ten sehr nah; sie liebt dich wie ihr Kind. Aber was kann sie tun? Sie hat mit La­nin auch über die mög­li­che Hei­rat ge­spro­chen. Nun er – hat sich un­güns­tig dar­über aus­ge­spro­chen, hat nichts da­von wis­sen wol­len und hat – wie die Schank sagt – be­haup­tet, der jun­ge Mann habe ihm – La­nin – ver­spro­chen, dich nicht zu hei­ra­ten.«

      »Das ist nicht wahr!«

      Herr Herz hat­te den letz­ten Teil sei­nes Be­rich­tes un­si­cher und lei­se vor­ge­bracht, jetzt fuhr er has­tig fort, um die böse Sa­che schnell ab­zu­ma­chen: »Hör mich nur bis zu Ende. Ich hof­fe auch, es wird nicht so sein, wie die Schank es dar­stellt. La­nin hat fer­ner ge­sagt, sein Nef­fe rei­se mor­gen oder über­mor­gen ab, und da­mit – so meint La­nin näm­lich – soll die Af­fä­re ih­ren Ab­schluss fin­den. War­te, un­ter­brich mich nicht. Die Schank sagt nun, du sei­est nicht ganz vor­sich­tig ge­we­sen, und dar­in hat sie recht, du bist ge­wiss nicht vor­sich­tig ge­we­sen«, wie­der­hol­te Herr Herz mit ei­nem An­flug vä­ter­li­cher Stren­ge. »Sie meint also, du sollst fort – für ei­ni­ge Zeit we­nigs­tens. Hier in der Stadt wer­den die Leu­te dir Unan­nehm­lich­kei­ten be­rei­ten. Sie hat er­fah­ren, dass ein jun­ges Mäd­chen als Bon­ne für eine rus­si­sche Kauf­manns­fa­mi­lie ge­sucht wird. Da hat die Schank gleich an dich ge­dacht.« Dem ar­men al­ten Mann kos­te­te es Mühe, sei­ne Be­we­gung zu ver­ber­gen, und ob­gleich ihm die Trä­nen über die Wan­gen lie­fen, füg­te er doch mun­ter hin­zu: »Was meinst du, Kind? Rei­sen. – Die Welt se­hen?«

      »Ich – eine Bon­ne!« fuhr Rosa auf. »So et­was kann sich auch nur die­se Alte aus­den­ken.«

      »Wa­rum? Eine Bon­ne ist doch nichts Schlech­tes. Oder nen­ne es Gou­ver­nan­te, Ge­sell­schaf­te­rin – wie du willst.«

      »Ich dan­ke schön.«

      Herr Herz war in Verzweif­lung. Der kur­z­en, mit tiefer Stim­me ge­spro­che­nen Ant­wort hör­te er es wohl an, wie sehr er sei­ne Toch­ter ver­letzt hat­te. Nun soll­te er sie noch zu die­sem Plan über­re­den, der ihm selbst fast das Herz brach. Was konn­te er tun? Ro­sas Leicht­sinn, all das Schlim­me, was die Leu­te ihr nach­sa­gen und an­tun wür­den, be­rei­te­te ihm arge Pein. Gera­de weil er sich den größ­ten Teil sei­nes Le­bens in ei­ner Welt be­wegt hat­te, in der es mit der weib­li­chen Tu­gend so we­nig ge­nau ge­nom­men wur­de, ge­ra­de des­halb er­füll­ten ihn die stren­gen Grund­sät­ze der so­lid bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft mit um so grö­ße­rer Ach­tung, je­ner Ge­sell­schaft, in die auf­ge­nom­men wor­den zu sein der Tri­umph sei­nes Le­bens war. Nun woll­te die­se be­wun­der­te Ge­sell­schaft sei­ne Rosa ver­sto­ßen. Sein Kind soll­te die­ser Ge­sell­schaft un­wür­dig sein. Hat­te Rosa sich nicht ganz an die Re­geln der Sitt­sam­keit ge­hal­ten, wie ein gu­tes Bür­ger­mäd­chen es muss, fiel nicht der größ­te Teil der Schuld auf ihn zu­rück? Der alte Bal­let­tän­zer, des­sen höchs­tes Ide­al es war, ein ta­del­lo­ser Spieß­bür­ger zu sein, glaub­te zu se­hen, wie in Rosa et­was von sei­ner un­ge­ord­ne­ten Ver­gan­gen­heit er­wach­te, und er sag­te sich: »Wird die­ses Kind kein bra­ves, ge­ach­te­tes Bür­ger­mäd­chen wie Sal­ly La­nin und Er­nes­ti­ne Klappe­kahl, so bist du dar­an schuld, denn du ver­moch­test ihr kei­nen bra­ven, ge­ach­te­ten Bür­ger zum Va­ter zu ge­ben.« Aber wie al­len schwa­chen Ge­mü­tern mit re­ger Ein­bil­dungs­kraft ge­lang es Herrn Herz, bald über die­se trau­ri­gen Ge­dan­ken hin­weg­zu­kom­men. Wa­rum soll­te Am­bro­si­us Rosa nicht hei­ra­ten? Ein ver­nünf­ti­ger Grund war da­ge­gen nicht vor­zu­brin­gen. Und kam die Hei­rat zu­stan­de, dann war ja al­les


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