Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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der jun­ge Herr da?« rief sie Ida zu.

      »Ja, Fräu­lein Rosa; der jun­ge Herr ist drau­ßen im La­den beim Va­ter.«

      »Ruf ihn!«

      Un­ge­dul­dig trom­mel­te Rosa mit den Ab­sät­zen. Wo blieb er nur? Es war sonst nie­mand im Ge­mach, selbst die alte Jü­din fehl­te. Die Fens­ter­vor­hän­ge wa­ren her­ab­ge­las­sen, auf dem Ti­sche stand ein Strauß von As­tern und wohl­rie­chen­den Erb­sen, das Bett in der Ecke war mit fri­schem Lei­nen­zeug über­deckt. Das dunkle, un­rein­li­che Ge­mach schi­en heu­te einen Ver­such ge­macht zu ha­ben, fest­lich aus­zu­se­hen. Lag es nun am Strauß auf dem Ti­sche oder am rei­nen Bett­zeug – es miss­fiel Rosa, sie wuss­te nicht warum.

      Da Am­bro­si­us noch säum­te, zog sie sich ih­ren Man­tel aus, leg­te ih­ren Hut ab, schau­te sich nach ei­nem Spie­gel um – dort auf dem Ti­sche stand ja ei­ner, ein klei­ner al­ter Spie­gel mit ab­ge­rie­be­nem Gol­d­rah­men. Er lehn­te sich an einen Stoß Bü­cher und war mit bun­ten Bon­bon­pa­pie­ren ge­schmückt, wie Ida sie zu sam­meln lieb­te. Vor dem Spie­gel la­gen ein Steck­na­del­pols­ter und ein Kamm, dem die Hälf­te sei­ner Zäh­ne fehl­te. Selt­sam. Wozu die­se Vor­be­rei­tun­gen? Rosa dach­te nach… – End­lich kam Am­bro­si­us in ei­nem neu­en hel­len An­zug, das Haar sorg­fäl­tig ge­brannt, die Wan­gen rot, ein hei­te­res, sorg­lo­ses Lä­cheln auf den Lip­pen. »Nun Schatz! Wir ha­ben uns lan­ge nicht ge­se­hen!« rief er mun­ter und brei­te­te sei­ne Arme aus. Stür­misch warf sich Rosa in die­se Arme. Jetzt hielt sie ihn, jetzt war er wie­der da, mit sei­nem gu­ten, leicht­fer­ti­gen Ge­sicht, mit sei­ner lus­ti­gen Stim­me, die alle Wi­der­wär­tig­kei­ten wie einen Spaß be­sprach, über den man zu­sam­men ki­chert.

      »Hm, Lieb­chen«, sag­te Am­bro­si­us und klopf­te Rosa ver­le­gen auf den Rücken. »Komm, set­zen wir uns. Dir ist es nicht gut er­gan­gen, wie du mir schreibst?«

      »Nein, nicht gut«, er­wi­der­te Rosa und lach­te, wäh­rend die Trä­nen ihr über die Wan­gen lie­fen. Am­bro­si­us führ­te sie rit­ter­lich zum großen Ses­sel. »Setz dich her – er­zäh­le.« Rosa muss­te sich auf sei­ne Knie set­zen, fest an ihn ge­schmiegt, den Arm auf sei­ner Schul­ter. »Was gibt es, Lieb­chen? Sag.« Rosa ward sehr ernst, ja, sie hat­te viel er­dul­den müs­sen. Da war zu­erst der Auf­tritt in der Schu­le mit der tol­len Sal­ly. Am­bro­si­us hat­te gut la­chen, Sal­ly war doch eine schlech­te Per­son. Dann die Schank mit ih­ren Vor­schlä­gen. Eine Bon­ne – so et­was! Nicht wahr? End­lich La­nin und sei­ne Int­ri­gen, der Va­ter, der auf das Ge­schwätz die­ser Leu­te hör­te, dazu noch die De­mü­ti­gun­gen auf der Stra­ße. Es war schreck­lich! Sie er­trug es nicht län­ger; wur­de sie doch ver­folgt und ge­hetzt wie ein Wild. Ein je­der glaub­te ihr et­was an­tun zu dür­fen. Sie war schon krank vor Zorn und Schmerz. »Glau­be mir, Amby – geht das so fort, dann st­er­be ich an ge­bro­che­nem Her­zen.« Am­bro­si­us lä­chel­te. »O nein, la­che nicht! Ge­wiss, ich st­er­be, ich füh­le das. Und dann«, Rosa zog die blon­den Au­gen­brau­en zu­sam­men, dass sie fast grim­mig aus­sah: »Ist es wahr, dass du mor­gen ab­reist?«

      Die­se Fra­ge mach­te Am­bro­si­us ver­le­gen. Er mach­te eine weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung. Gott! Rosa soll­te nicht glau­ben, man lie­ße ihm Ruhe. Den gan­zen Tag mit Lan­ins bei­sam­men zu sein, war eine Höl­le. Üb­ri­gens, wenn der On­kel ihn nicht be­hielt, muss­te er wohl ge­hen – da war nichts zu ma­chen, je­den­falls käme er aber wie­der. Die­se Tren­nung, wenn auch bit­ter, war in ge­wis­ser Be­zie­hung viel­leicht gut…

      »Tren­nung?« un­ter­brach ihn Rosa. »Reist du ab, so rei­se ich auch.«

      »Wie? Du reist auch?«

      »Ja – ge­wiss!«

      Glaub­te Am­bro­si­us viel­leicht, sie hier zu­rück­las­sen zu kön­nen? Er hat­te es ver­spro­chen, sie mit­zu­neh­men. Gut, sie war be­reit. Jetzt war Rosa im Zuge und fuhr eif­rig zu spre­chen fort. Mit der flin­ken, in­stink­ti­ven Men­schen­kennt­nis der Frau­en hat­te sie es bald er­kannt, dass das schwan­ke Ge­müt ih­res Ge­lieb­ten an­fangs vor je­der Tat zu­rück­schreck­te, um schließ­lich – ward es ge­drängt – sich wohl­ge­mut in al­les zu fü­gen. Sie leg­te ihm den Plan der Flucht vor. Sie woll­te den Va­ter über­re­den, mor­gen zu Klappe­kahl zu ge­hen. Ag­nes leg­te sich, wie Rosa sie kann­te, um neun Uhr zur Ruhe. Um neun Uhr also konn­te Rosa fort­ge­hen. Bis zur nächs­ten Ei­sen­bahn­sta­ti­on hat­ten sie drei Stun­den, und dann lag die gan­ze Welt vor ih­nen.

      »Wie im Him­mel wer­den wir le­ben«, rief sie be­geis­tert. »Du wirst mir al­les zei­gen, er­klä­ren, denn du kennst ja al­les, du weißt al­les, du bist doch ein Welt­mann.« Sie lehn­te ihre Stirn an Am­bro­si­us’ Stirn und schau­te ihm in die Au­gen. »Willst du?«

      »Ge­wiss, ge­wiss«, er­wi­der­te er un­si­cher. An­fangs hat­te er mit großem Un­be­ha­gen zu­ge­hört. All das er­schi­en ihm aben­teu­er­lich und un­mög­lich. Aber Rosa war schön, wäh­rend sie sprach. Die Au­gen leuch­te­ten in Er­re­gung und Trä­nen, über der Stirn das wir­re blon­de Haar, eine ener­gi­sche, ei­gen­sin­ni­ge Fal­te zwi­schen den Au­gen­brau­en. Und wenn sie die Stirn kraus­zog, die Zäh­ne auf­ein­an­der­biss, die Lip­pen zu ei­nem bö­sen, un­ge­zo­ge­nen Lä­cheln auf­warf und Sal­ly oder La­nin et­was recht Übles nach­sag­te, dann sah sie wie ein schö­ner wü­ten­der Bube aus; aber, gleich wie­der, wenn sie Am­bro­si­us ge­ra­de und fle­hend in die Au­gen schau­te, wenn sie sich eng – eng an sei­ne Brust schmieg­te und, ihre Lip­pen ganz nah den sei­nen, frag­te, ob er sie mit­neh­men wol­le, da war es wie­der die um­stri­cken­de Mil­de und Sü­ßig­keit der Frau. Je län­ger Am­bro­si­us Rosa an­blick­te, um so mög­li­cher er­schi­en ihm der Plan. Wa­rum auch nicht? Vor sei­nen El­tern fürch­te­te er sich nicht, er war ih­nen schon ein­mal da­von­ge­lau­fen, und sonst? Was konn­te ihn sonst noch hal­ten? Rosa konn­te er nicht ver­las­sen, das wur­de ihm mit je­der Mi­nu­te kla­rer, er hät­te sich ja schä­men müs­sen, die­sem tap­fe­ren Mäd­chen zu sa­gen: »Ich wage es nicht.« Rosa setz­te ein so großes Ver­trau­en in ihn, sie be­wun­der­te ihn und nann­te ihn einen Welt­mann; zeig­te er sich jetzt klein­lich und zag­haft, dann war es viel­leicht vor­bei mit die­ser Be­wun­de­rung und Lie­be, und ihm ent­ging die­ses schö­ne, selt­sa­me We­sen. Zum ers­ten Mal zwei­fel­te er an sei­ner Un­wi­der­steh­lich­keit und lieh un­be­hol­fen die­sem Ge­fühl Wor­te, in­dem er flüs­ter­te: »Bei Gott! Lieb­chen! Ich wuss­te es nicht, dass ich so stark in dich ver­liebt bin.«

      »Also ja, Amby, mor­gen rei­sen wir?«

      »Na­tür­lich! Wo­hin aber?«

      »Ja, wo­hin?« Rosa eil­te zum Tisch. Un­ter den Bü­chern des Tröd­lers be­fand sich auch ein zer­fetz­ter Schul­at­las, und der soll­te ih­nen sa­gen, wo sie ihr Glück fin­den wür­den. Sie steck­ten ihre Köp­fe über dem At­las zu­sam­men. »Nach Pa­ris?« frag­te Rosa.

      »Ja –«, er­wi­der­te Am­bro­si­us ge­dehnt.

      »Oder ist das zu weit? Üb­ri­gens wür­de ich dort im­mer an die fran­zö­si­schen Stun­den der Schank er­in­nert wer­den.« Mit Wol­lust fuhr Ro­sas Fin­ger über die ab­ge­grif­fe­nen, ver­blass­ten Blät­ter hin. »Vi­el­leicht nach Wien?«

      Kann­te Am­bro­si­us Wien? – Ja, er kann­te es; der Ge­dan­ke an Wien mach­te ihn er­rö­ten, denn dort­hin war er sei­ner ers­ten Lie­be, der Kun­strei­te­rin, ge­folgt.

      »Oh, Wien wür­de ich gern se­hen.


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