Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Sie hatte sich ganz in seine Hände gelegt. »Da hast du mich, mache etwas Glückliches daraus.« Dieser Augenblick im Leben eines Jünglings ist immer erhebend, und Ambrosius verstand ihn voll zu würdigen.
Nachlässig in dem großen Sorgenstuhl der Jüdin hingegossen, nahm er die schlaffe, melancholische Haltung eines müden Herzenskönigs an und träumte von den schönen Kleidern, die er Rosa kaufen, von den prächtigen Sachen, die er ihr zeigen wollte. Sie sollte die Welt sehen; aber die Welt sollte auch Rosa sehen, sollte sie und ihn bewundern. Wie wird das kleinstädtische Mädchen über all die Pracht staunen, wie wird es zu ihm aufblicken, wenn er sich elegant und sicher in der Großstadt zurechtfindet – wie wird es ihn dann lieben! Also nach Wien, das stand fest.
Eine lustige Zeit in einer großen Stadt mit Rosa zubringen, seine Liebe in die Zimmer eines ersten Hotels einquartieren, sie mit dem Luxus eleganter Läden schmücken, mit ihr in Theaterlogen paradieren – eine Weile den reichen jungen Ehemann auf der Hochzeitsreise spielen – das war jetzt der Kuchen, den Ambrosius um jeden Preis haben musste. Der Gedanke einer Heirat tauchte auch mitunter in seinen Phantasien auf – aber unklar und verschwommen. O ja, warum nicht? Man würde ja sehen! Heute erschien ihm alles möglich, nur ging er diesen Bewegungen gern aus dem Wege – fertigte sie kurz ab. Ein anderer Gedanke aber ließ sich nicht so ohne weiteres abweisen und machte Ambrosius Sorge. Er hatte Geld nötig, viel Geld; genug, um einige Wochen auf großem Fuß leben zu können. Merkwürdig war es, wie sich Ambrosius’ Vorsorge nur immer auf einige Wochen erstreckte. Später? Ach was, das wird sich finden. Die Eltern taten ihm ja alles zu Willen; er würde sie schon zu etwas Geeignetem bestimmen. Aber woher das Geld für den Augenblick nehmen? Ambrosius hatte zwar gestern Geld von den Eltern erhalten; das reichte jedoch nicht hin. Nur einer konnte helfen – der Trödler. Er war reich und Wucherer, kannte außerdem die Verhältnisse der Tellerats und hatte somit keinen Grund, das Geld nicht herzugeben. Seufzend erhob sich Ambrosius. Galt es ein Vergnügen zu erjagen, das er sich in den Kopf gesetzt hatte, so konnte er zur Not auch eine Unannehmlichkeit mit in den Kauf nehmen; sie durfte nur nicht zu groß sein. Er ging in den Trödlerladen hinaus.
Von der Decke hing eine Petroleumlampe nieder, deren trübgelbe Flamme unruhig flackerte. Die Türe zur Straße hin stand offen, laut klatschend schlugen die Regentropfen auf die Steinschwelle, und der enge Raum war voll des kühlen, feuchten Duftes, den ein Sommerregen zu verbreiten pflegt. Wulf saß hinter seinem Ladentisch, eine Brille auf der Nase, und schrieb. Ida kauerte auf der Türschwelle, sah, die Hände um die Knie schlingend, in den Regen hinaus und sang. Bei Ambrosius’ Eintreten schaute Wulf auf, lächelte und fragte: »Der Vogel schon ausgeflogen?«
Ida hielt im Singen inne, um Ambrosius mit blanken, neugierigen Augen zu betrachten. – »Ja – hm«, erwiderte Ambrosius und lachte diskret: »Was machen Sie denn da, Wulf? Rechnen, immer rechnen. Ja, wenn man so reich ist –«
»Reich – gerechter Gott!« rief der Trödler und schlug sein Buch zu. »Wenn Sie, junger Herr, so reich wären wie ich, dann wär es aus mit dem hübschen Leben. Immer Spaß – feine Kleider – hübsche Fräuleins – das kann ich nicht.«
»Ach was! Sie haben genug«, scherzte Ambrosius und drohte mit dem Finger. Dann griff er nach dem wackeligen Rohrstuhl, der in der Ecke stand, und setzte sich. Es machte ihm Vergnügen, selbst vor Wulf den Mann zu spielen, der matt von Liebestriumphen ist. Langsam strich er sich mit der Hand über die Stirn und bat Ida um ein Glas Wasser.
Als Ida fort war, schwieg Ambrosius; er konnte sich nicht entschließen, mit seinem Anliegen herauszurücken, er beugte sich über den Tisch, musterte die Glasringe, nahm einen heraus und hielt ihn gegen das Licht: »Für die Leute vom Lande«, erklärte Wulf.
»Hm – nicht übel«, bemerkte Ambrosius, kniff ein Auge zu und schaute durch das bunte Glas. »Wulf«, sagte er plötzlich, immer noch den Ring am Auge haltend, »ich brauche Geld.« Der Jude antwortete nicht sogleich, blickte auch nicht auf, sondern tat, als wär das eine unwichtige Mitteilung, die nicht ernstgenommen sein wollte.
Erst nach einer Weile sagte er – so obenhin: »Ja – Geld, das braucht einer bald.«
»Nein, im Ernst, Wulf«, versetzte Ambrosius lebhaft, »ich brauche viel Geld, und Sie sollen’s mir geben.«
»Ich?« Wulf lachte. Herr von Tellerat spaßte wohl. Wo sollte er – Wulf – Geld hernehmen? Er brauchte selbst welches.
»Seien Sie kein Narr. Sie wissen doch, dass es ein sicheres Geschäft ist, Sie verdienen ja dabei.«
»Freilich, wer das hätte, würde was verdienen – aber ich…«
»Keine Flausen, Wulf. Sie haben genug im Kasten liegen. Ich stelle Ihnen einen Wechsel aus. Morgen brauche ich das Geld.«
»Es ist keines da, lieber junger Herr. Wieviel soll es denn sein?«
»Achthundert.«
»Das ist hübsch viel. Auf wie lange denn?«
»Auf kurze Zeit – ein – zwei – oder drei Monate.«
»Wer das hätte, könnte das Geschäft machen«, meinte Wulf und ließ seinen dünnen, abgetragenen Bart nachdenklich durch die Finger gleiten. »Ich habe nichts – Ehrenwort. – Wer kaviert denn auf dem Wechsel?«
»Wozu ist denn ein Kavent nötig?« fuhr Ambrosius auf. »Bin ich Ihnen nicht sicher genug?«
»Ich sage nicht nein, Gott bewahre!« besänftigte ihn der Trödler: »Sicher ist schon ein Papier, wo Sie daraufstehen; das ist wie bares Geld. Wer das Geld hat, gibt es auf Ihre Unterschrift allein.«
»Sie haben’s doch, sagen Sie doch nicht solche Dinge.«
»O Gott, nein! Und dann – ich würde Ihnen das Geld von Herzen gern geben, aber meine Alte erlaubt es nicht, sie hat es. Ja, wenn ich es hätte!«
»Wieder etwas Neues!«
»Werden Sie nicht böse, junger Herr. Wir sprechen ja nur über die Sache. Wenn die Alte will, so ist’s gut, reden Sie morgen mit ihr.«
»Abgemacht. Morgen hole ich das Geld.«
Der Jude sah den jungen Mann aus seinen kleinen gelben Augen misstrauisch an: »Zwei sind immer sicherer als einer«, bemerkte er.
»Sie immer mit Ihrem Zweiten«, rief Ambrosius entrüstet. »Es ist wirklich unverschämt. Wo soll ich denn einen Zweiten hernehmen!«
»Gott, wenn Sie nur wollten«, meinte Wulf lächelnd.
Ärgerlich und nervös nagte Ambrosius an seiner Unterlippe; es war zu widerwärtig, so in den alten Schelm dringen zu müssen. Ida