Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Dachs. Toddels war entrüstet – er stützte die geballten Fäuste auf den Tisch, schlug mit den Füßen aus und fragte, so rau, als es seine Stellung ihm erlaubte: »Sie wünschen?«
Fräulein Katter ging auf diese Frage nicht sogleich ein; freundlich sagte sie: »Guten Abend, Herr Toddels. Sehen Sie doch, wie der Max bei Ihnen herumsucht. Er glaubt, hier muss irgendwo Zucker versteckt sein. Hier ist kein Zucker, Maxchen – mein kleiner, kleiner Hund. Was, Sie hier, Sallychen? Einkaufen – wie?« Sally grüßte in ihrer mädchenhaft zurückhaltenden Weise; Fräulein Katter aber trat nahe zu ihr, legte ihre Hände in den grauen Halbhandschuhen auf Sallys Arm und fragte leise: »Also mit Rosa Herz – ist’s wahr?«
»Ja –« Sally zog die Augenbrauen empor, zum Zeichen, dass die ganze Geschichte sie nichts anging. »Wenigstens wurde es gestern auf der Soirée bei Klappekahl erzählt.«
»Schrecklich!« meinte die alte Dame. »Also fortlaufen wollte sie mit ihm. So weit waren sie schon miteinander? Ist so etwas erhört!« Das weiche, gebogene Kinn wackelte zwischen den violetten Hutbändern vor Erregung. »Aber sagen Sie doch, Sallychen – Sie haben ja die Geschichte entdeckt – hör ich?«
»Ja«, sagte Sally kühl. Sie machte sich nichts aus diesem Ruhm.
»So – so. Nun was sahen Sie«, fuhr Fräulein Katter fort. »Geküsst haben sie sich – natürlich, das hab ich schon gehört. Aber hat er sie auch so – angepackt, wissen Sie?«
Sally wusste es nicht. »Ich kümmere mich um diese Dinge nicht.«
»Selbstverständlich! Ein so gut erzogenes junges Mädchen! Aber entsetzlich ist doch die ganze Geschichte. Was wird nun aus der Armen?«
»Wer kann das wissen!« Sally zuckte die Achseln – es war ihr gleichgültig. Sie schielte nach ihrer Nase, um zu sehen, ob diese nicht rot sei – das war ihr wichtiger.
»Der Schank«, meinte die alte Dame, »wird die Geschichte zu Herzen gehen. Ich bin auf dem Weg zu ihr.«
Da Sally sich ostentativ dem grünen Band zuwandte, musste Fräulein Katter sich zu Toddels bemühen, um von ihm einen Meter Madapolam zu begehren. Sie war sehr genau. Toddels musste immer wieder die Leiter hinansteigen und neue Stücke herabholen. Er war bleich vor Zorn, schlug mit dem Meterstock klatschend auf die Stoffe und bemerkte streng: »Sehr feine Ware. Einen besseren Stoff wird die Dame schwerlich finden.« Die Dame jedoch konnte sich nicht entscheiden; sie wollte wiederkommen. »Sehr wohl«, rief Toddels erleichtert, bog gewandt und gelenkig um die Ecke des Ladentisches und öffnete Fräulein Katter die Türe.
»Komm, Maxchen, mein kleines Tier. Grüßen Sie Ihre liebe Mutter – Sallychen. Guten Abend, Herr Toddels. Das eine Stück hat mir nicht ganz missfallen.« Damit war das alte Fräulein fort. Sally schaute sich nicht um. Sie hörte, wie Toddels mit den Füßen scharrte, die Türe schloss – jetzt knarrten seine Stiefel ganz leise. Er stand neben ihr, das fühlte sie. Nun musste es doch zu etwas kommen. Richtig! Etwas Heißes, Feuchtes berührte ihren Nacken. Das war also ein Kuss – gut! Toddels legte seinen Arm um Sallys schlanke Taille und drückte sie so fest, dass das Mieder krachte. »Ich habe schon oft an die Ehe gedacht. Sie nicht auch?« flüsterte er mit vor Aufregung rauer Stimme.
»An so etwas!« erwiderte Sally, das Gesicht tiefer in die Schachtel steckend.
»Warum nicht?« fuhr Toddels fort, leidenschaftlich in Sallys Halskragen hineinsprechend. »Eine Heirat aus Neigung war immer mein Traum. Was – Fräulein Sally?«
»Ich glaube eben an die Liebe«, sagte Sally fest. Sie hatte es sich längst vorgenommen, im großen Moment ihres Lebens diesen Satz recht häufig anzubringen. Toddels fasste ihn als Ermutigung auf, er berührte mit dem Mittelfinger zart Sallys Hals und hauchte: »Mein holdes Weibchen.«
»Noch nicht!« wandte Sally schelmisch ein. Sie lehnte ihr erhitztes Gesicht an die Brust des Geliebten und blickte ernst zu den Wollenstoffen auf.
»Ha – ha? Noch nicht!« lachte Toddels gepresst, denn Sally drückte ihm mit ihrem Kopf einen Hemdknopf tief ins Fleisch. »Allerdings! Aber bald. Nicht wahr, mein – mein?«
»Sprechen Sie mit meinem Papa«, die feuchten Blicke aufwärts gerichtet, den Kopf fest an Toddels’ Hemdknopf gedrückt, sprach Sally diese Worte langsam und feierlich. Ach, wie hatte sie sich gesehnt, sie sprechen zu dürfen.
»Ja, Fräulein Sally«, meinte Toddels zögernd. »Ich fürchte nur, Herr Lanin wird böse werden. Er ist zuweilen ein wenig kurz mit mir. Vielleicht könnten Sie…«
»Wir werden alle Hindernisse überwinden. Ich glaube, wie gesagt, an die Liebe.«
»Gewiss – gewiss! Ich auch, mein Herzchen. Gut also! Du wirst es deiner Mutter sagen. Wir bleiben uns jedenfalls treu. Schön – abgemacht.« Und nun empfingen Sallys dünne, jungfräuliche Lippen den ersten Liebeskuss, einen sehr lauten Kuss, der süß nach Rosenpomade duftete. »Lebe wohl, meine Braut«, sagte Toddels. »Die Leute gehen schon in den Stadtgarten. Heute ist dort zum letzten Mal im Jahre Musik«, mit diesen Worten schlüpfte er hinter den Ladentisch.
Sally stand mit klopfendem Herzen da und konnte sich nicht entschließen, ihre erste Liebesstunde für geschlossen zu erklären. Sie glaubte noch etwas Schönes, Tiefempfundenes sagen zu müssen, es fiel ihr jedoch nur immer wieder ein, dass sie an die Liebe glaube. Das mochte sie nicht mehr wiederholen,
Toddels hatte unterdessen ein Stück des grünen Bandes abgeschnitten und reichte es seiner Geliebten. »Das Band, das uns verbindet«, fügte er hinzu.
»Und kostet?« fragte Sally lächelnd.
»Einen Kuss«, erwiderte der Kommis mit gespitzten Lippen. Da ward Sally wieder der kleine, neckische Brausewind.
»Setzen Sie den auf die Rechnung«, rief sie und lief mit ganz kleinen Schritten zur Türe.
»Behalte nur das Band, ich zahl es schon«, meinte Toddels. »Grün ist ja die Farbe der Hoffnung.«
»Da haben Sie recht«, erwiderte Sally ernst. Sie fand dieses Abschiedswort wirklich tief. Dann noch eine Kusshand – und sie war fort.
Die Scharen, die zum Stadtgarten strömten, belebten die Straßen. Die scharfe Luft machte alle Mädchenwangen rot und beschleunigte die Schritte. In den geöffneten Ladentüren lehnten Kommis, damit auch etwas von dem heiteren Leben draußen zu ihnen in den dumpfen Ladenraum dringe. Die Fleischerburschen – dort an der Ecke – wickelten ihre nackten Arme in die blutigen Schürzen, pfiffen und stießen sich mit den Schultern.
Sally ging schnell und leichtfüßig dahin. Sie brauchte niemanden mehr zu