Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Psycholog.«
»Wirklich?«
»Gewiss! Leidenschaftlich! Wussten Sie das nicht? So ein Blickchen in ein Menschenherz – delicieux. Darüber geht mir nichts; ob Sie’s mir nun glauben oder nicht! Sie verstehen also? Obgleich ich hundert solcher Verwicklungen schon mit angesehen habe. Eine jede bringt doch etwas neues – für den Kenner. Darin bin ich Gourmand. Was? Sie finden diesen Sport grausam?«
»Nein, das kann ich nicht sagen.«
»Nun hören Sie, Sekretärchen, etwas grausam ist er doch«, meinte Klappekahl bittend. »Aber – nehmen Sie eine Menschenseele – nehmen Sie einen Schmerz – bon! Ich untersuche.« – – –
Der Sekretär ward unruhig. Sein ohnehin laues Interesse schien ganz zu erkalten. Er blickte auf die Straße – machte einige Schritte – blieb plötzlich stehen – rückte sein Augenglas zurecht. »Wer kommt denn da?« äußerte er.
Klappekahl sah auf. »Bei Gott, lupus in fabula – oder hier mehr luna! Sie geht sonst nie aus.«
»Da können Sie ihre Mission gleich beginnen.«
Rosa ging an den Herren vorüber, sah sie jedoch nicht, weil sie den Kopf gesenkt hielt und eilig einherschritt.
»Nun«, flüsterte Feiergroschen und stieß den Apotheker mit dem Ellenbogen.
»Ob ich?« Der Apotheker zögerte. »Fatale Geschichte!« Er ging Rosa aber doch nach. »Guten Abend, Rosette«, sagte er, als er sie eingeholt hatte, und zog den Hut vor ihr. Rosa schaute Klappekahl erschrocken an, und dieser ward befangen. »Wollen Sie weitergehen?« schlug er vor.
Gehorsam ging Rosa weiter. »Ich wollte eben zu Ihnen hinauf«, begann Klappekahl, »da fasste mich der Sekretär dort an der Ecke, und wir verplauderten uns, aber, wie gesagt, ich war auf dem Wege zu Ihnen.«
»Es wäre Papa gewiss sehr angenehm gewesen«, entgegnete Rosa leise. Der Apotheker mit seinen Redensarten schüchterte sie heute ein. Was wollte er? Wäre er doch schon fort!
»Ihren Papa habe ich lange nicht gesehen«, fuhr Klappekahl fort – die Hände in den Paletottaschen – mit gleichmäßigen Schritten neben dem Mädchen einherschreitend. »Wann doch zuletzt? Warten Sie. Vorgestern? – Nein – gleichviel! Heute aber wollte ich nicht eigentlich Ihren Papa aufsuchen – sondern Sie, Rosettchen. Ja, ja! Zu Ihnen wollte ich, um mit Ihnen von Geschäften zu reden.« Er schlug einen neckischen Ton an; da Rosa aber zu Boden blickte, konnte er nicht entscheiden, wie dieser Ton aufgenommen wurde, drum ward er wieder ernst und väterlich. »Das Geschäft ist eben nicht angenehm; ich habe es übernommen, denn wir beide sind ja immer gute Freunde gewesen, nicht?« Rosa schwieg. »Ich war von jeher Ihr alter Bewunderer, darum glaubte ich, wir beide würden das Geschäft am besten abmachen, ohne dass ein Dritter sich da hineinmischt. Ich sagte, Rosette und ich werden alles ordnen. Rosette ist das gescheiteste Mädchen ihres Jahrhunderts, sie hat Verstand für drei. Auf Ehr! Das sagte ich.« Er wartete wieder auf eine Antwort. Rosa jedoch sagte nichts. Sie waren in den Stadtgarten gelangt und gingen über die hartgefrorenen Kieswege hin, auf denen das Herbstlaub raschelte, während die Finsternis immer dichter durch das braune Gezweige der entlaubten Bäume herabsank. Ein heftiger Wind wehte hier. Klappekahl fröstelte und schlug den Kragen seines Überrockes auf. »Die Sache ist nun die«, nahm er seine Auseinandersetzung mit sanfter Stimme wieder auf. »Der Kommerzienrat Tellerat schreibt mir – oder eigentlich Lanin, der mir dann den Brief gegeben hat; er sieht ein, dass das Verhältnis mit seinem Sohn – der arme Junge soll zu Hause untröstlich gewesen sein, er hat es schwer verwunden, das können Sie glauben. Gleichviel! Der Kommerzienrat sieht also ein, dass das Verhältnis mit seinem Sohne Ihnen möglicherweise geschadet haben könnte – in Ihren Plänen, Ihrer Stellung – Ihrer Karriere. Ganz unrecht hat er wohl nicht; das heißt, ich urteile über diese Dinge anders, aber in unserem Nest – Sie wissen das ja ebenso gut wie ich. Der Kommerzienrat geht mit seinem Sohne nach Italien, schließlich ist eine Heirat in Aussicht genommen und so weiter.« Klappekahl hielt inne, um seine psychologischen Beobachtungen anzustellen, aber die Mädchengestalt im schwarzen Mantel kämpfte schweigend mit dem Winde, und nichts verriet, was in ihr vorging. Der Apotheker ärgerte sich darüber und beschloss, in seiner Rede trockener und kürzer zu sein. »Vordem dieses unternommen wird«, fuhr er fort, »wünschen der Kommerzienrat und sein Sohn ihre Schuld an Sie – Fräulein Rosa – abzutragen. Sie sind bereit, Ihnen eine Reise ins Ausland, die Equipierung für eine Gouvernantenstelle, oder was Sie sonst vorhaben, zu erleichtern, das heißt, sie wünschen etwas dazu beizutragen, dass Sie Ihren Lebensweg unbehindert weiter wandeln können.« Dieser Satz gefiel dem Apotheker, er wiederholte ihn laut in den Wind hinein und streckte die fünf Finger aus; da sie ihm jedoch froren, steckte er sie wieder in die Tasche und fügte, weniger pathetisch, hinzu: »Ich finde dieses Anerbieten billig. Nach meiner Auffassung sind Tellerats Ihnen das schuldig, auch sehe ich keinen Grund, dieses Anerbieten nicht zu akzeptieren. Wie gesagt, von Ihrer Seite ist es nur das Einkassieren einer Schuld. Das Geld soll bei mir eingezahlt werden. Das ist ganz einfach, nicht wahr? Wieviel und so weiter wollen wir besprechen, wenn Sie sich im Prinzip entschieden haben werden. Was?« Rosa schwieg und ging hastig vorwärts. »Ich will Sie natürlich nicht drängen«, meinte Klappekahl. »Aber die Sache ist durchaus einfach. Geld kommt immer gelegen.« Er wusste wirklich nicht, was er mit dem stillen Mädchen beginnen sollte. Will sie das Geld? Will sie es nicht? Ist sie beleidigt? Ist sie froh? Kein Teufel konnte daraus klug werden! Dazu noch dieses verdammte Wetter!
Sie verließen jetzt den Garten und traten an den Fluss heran. Der Mond breitete eine große Helligkeit über den Himmel und das Land und ließ diese weit und leer erscheinen.
»Nun, mein liebes Kind«, begann Klappekahl hier wieder zu sprechen. »Ich habe Ihnen diese Affäre so gut ich konnte auseinandergesetzt. Sagen Sie mir nur, wie Sie darüber denken. Schütten Sie vor mir Ihr ganzes Herzchen aus.« Das freundliche Gesicht, mit dem er diese Worte begleiten wollte, fiel ein wenig verzerrt aus, denn Lippen und Wangen waren steif vor Kälte.
Rosa lehnte sich mit dem Rücken gegen das Flussgeländer, ließ ihre Arme erschöpft sinken und hob zu Klappekahl ihr bleiches, kummervolles Antlitz auf, aus dem die Augen angstvoll hervorschauten. Mit leiser, tiefer Stimme sagte sie: »Bitte – sagen Sie Ambrosius Tellerat, dass ich nichts von ihm mag.« – Der Apotheker räusperte sich. Er hatte nicht erwartet, einem so großen Schmerz gegenüberzustehen. »Nun – warum denn? Ich finde, wenn man die Sache vom richtigen Standpunkte aus betrachtet« – er brach ab, denn er fühlte, dass seine gewöhnliche Beredsamkeit diesem bitterernsten