Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
wieder unter die Erde, und es war grausig anzusehen, wie sie so starr und bleich aus dem Grabe hervorragte, kalt und schweigend, aber doch ein so beredter Zeuge, wie der Herr die Sünde strafe. Zuletzt befahl die Obrigkeit, daß man sie mit Ruthen streichen sollte, glaubend, daß eine solche Strafe genug sei und die Erlösung bewirken werde. Der Befehl wurde vollzogen, und die Hand blutete, daß die Erde davon roth wurde; aber in das Grab wollte sie nicht zurück. Da ließ man sie abhauen und mit jener Tafel in der Kirche aufhängen, damit noch späte Zeiten sich ein Beispiel daran nehmen möchten.
(Eine ähnliche Sage ist in Szamaiten und Polen häufig.)
57. Der Kaiserbesuch in Osterburg.
Hochmuth kommt vor dem Fall. Als der Kaiser Lothar, der zweite dieses Namens, einstmals in der Altmark war, und mehrere Städte besuchte, da wollte auch die Stadt Osterburg einer solchen Ehre theilhaftig werden, um nicht gegen die anderen Städte zurückzustehen. Sie ließ daher den Kaiser um einen Besuch bitten. Dem genügte dieser Herr, und er kam mit großem Gefolge und vielen Menschen in die Stadt. Aber das kam den guten Leuten theuer zu stehen. Denn bei den Festlichkeiten, die sie zur Ehre des Kaisers anstellten, geriethen die Bürger mit den kaiserlichen Bedienten in einen Streit, der so arg wurde, daß die meisten Einwohner von Osterburg erschlagen, und die Stadt selbst mit der darin befindlichen Burg zertrümmert wurde.
Ueber die Altmark. II. S. 8.
58. Die Feuersbrunst in Osterburg.
Vor ungefähr hundert Jahren lebte zu Osterburg ein Brauer, dem waren zu einer Zeit seine Bottiche behext, so daß ihm kein Gebräu darin gedeihen wollte. Alle Mittel, die er dagegen gebrauchte, wollten nicht anschlagen, die Behexung wollte nicht weichen. Da hörte er zuletzt, daß in Stendal ein kluger Mann sei, dem keine Behexung widerstehen könne; diesen ließ er zu sich kommen, und der Mann brannte ihm mit vielen Ceremonien seine Bottiche aus. Aber die Zauberei, die einmal darin saß, konnte er nicht verbannen; denn ehe er und der Brauer es sich versahen, fuhr die Flamme aus den Bottichen hervor und ergriff das Haus, in dem sie waren, und es brannten über zwei Drittheile der ganzen Stadt ab. Nach der Chronik ist dieser große Brand im Jahre 1761 gewesen. Es ist dabei auch der Kirchthurm niedergebrannt, welcher der höchste und künstlichste Thurm in der ganzen Altmark gewesen ist.
Vergl. Ueber die Altmark. II. S. 19.
59. Die rothe Erde bei Krumke.
Unweit der Stadt Osterburg liegt das Dorf Krumke, welches dem Herrn von Kahlden zugehört. In der Nähe dieses Dorfes, da wo jetzt die Krumkesche Schäferei liegt, ist vor langen Jahren eine große und mörderische Schlacht vorgefallen, in welcher Huder von Stade und Albrecht von Askanien sich um die Altmark stritten. Es sind in derselben eine große Menge Menschen ums Leben gekommen, also daß die Erde rund umher ganz roth geworden, und ein Bach, der dort fließt, voll Blut gewesen. Zum Wahrzeichen ist noch jetzt die Erde dort roth, als wenn das Blut der Erschlagenen noch immer nicht daraus zu vertilgen wäre. Das Bächlein, welches früher Clia hieß, wird seitdem die rothe Furth genannt.
Ueber die Altmark. II. S. 40. 41.
Enzelt Chronik der Altmark. S. 100.
Nach einer anderen Sage ist an dieser Stelle eine mörderische Schlacht zwischen den Städten Seehausen und Osterburg vorgefallen. Der Anführer der Einwohner von Osterburg hat in derselben auf einem Ochsen geritten. Auf diesen Umstand beziehen sich die zwei letzten Verse des folgenden alten Liedes, welches die sieben Städte der Altmark charakterisirt:
De Stendaler drinken gerne Win,
De Gardeleger wüllen Junker sin,
De Tangermünder hebben den Moth,
De Soltwedler hebben det Goth,
De Seehuser det sind Ebenthür,
De Werbner geben den Weiten dühr,
De Osterborger wollden sich reken,
Und deden den Bullen vör den Bären steken.
Ueber die Altmark. a.a.O.
Ueber diese zwei letzen Verse hat man indeß auch noch eine andere Sage. Vor langen Jahren nämlich sah der Thurmwärter zu Osterburg eines Tages einen großen Haufen Thiere auf die Stadt zukommen. Er hielt sie für Bären, und er eilte voller Schrecken vom Thurm herunter in die Stadt und verkündete den Bürgern, daß eine Menge Bären im Anzuge auf die Stadt wären. Da kam denn die gesammte Bürgerschaft zusammen, mit Spießen, Stangen, Mistforken, und was man sonst in der Eile an Waffen hatte aufgreifen können. Die zogen dem schrecklichen Feinde entgegen. Als sie ihn aber erreicht hatten, da sahen sie, daß es eine Heerde Ochsen waren, die friedlich der Stadt zugetrieben wurden.
Zur Auslegung der übrigen vorstehenden Verse mag folgende Auskunft nicht uninteressant sein. In und bei Stendal wurde im Mittelalter viel Weinbau getrieben, den zuerst die unter Albrecht dem Bären (regierte von 1142 bis 1170) eingewanderten Rheinländer, denen das Bier nicht mundete, eingeführt hatten. Dieser Weinbau war so ausgebreitet, daß Stendal seine Weine selbst nach Pommern, Schweden, Preußen und Liefland ausführte. Gardelegen dagegen war in früheren Zeiten durch seine Bierbrauereien berühmt, deren hier zu einer Zeit an dreihundert waren, und von denen namentlich ein unter dem Namen Garlei berühmtes köstliches Bier gebrauet wurde. Durch dieses Bierbrauen kam nach Gardelegen ein großer Reichthum, und die Gardeleger wurden hochmüthig, als wenn sie Junker wären. Die Stadt Tangermünde zeichnete sich in mehreren Fehden des Mittelalters durch ihren Muth aus, besonders in dem Kampfe für den falschen Waldemar, an dem sie, trotz der Achtserklärung des Kaisers Carl des Vierten, die letzte der Brandenburgischen Städte, in unerschütterlicher Anhänglichkeit festhielt. Die Stadt Salzwedel gehörte zu den vorzüglichsten Städten des Hansebundes, und es floß lange Zeit in ihr der größte Reichthum unter den altmärkischen Städten zusammen. Von den Seehausern sollen ehedem Mehrere große Seereisen gemacht haben, um die Insel der Glückseligen aufzusuchen, die sie aber nicht gefunden haben sollen. Die Stadt Werben, in der Wische, einer sehr fruchtbaren Gegend, belegen, trieb früher einen bedeutenden Handel mit Weitzen, der dort zur Schiffahrt aufgespeichert, und erst, wenn er sehr theuer geworden, losgeschlagen wurde.
60. Der letzte Pfarrer in Krumke.
Das Dorf Krumke hatte früher seinen eigenen Pfarrer. Jetzt ist es ein Filial von Lossen. Der letzte Pfarrer lebte zur Zeit des dreißigjährigen Krieges. Er hatte eine sehr kärgliche Einnahme, und war ein alter, schwächlicher Mann. Wenn er in seiner Gemeine herumreisen mußte, so saß er auf einem alten zweirädrigen Karren, der mit Brettern benagelt und mit zwei Kühen bespannt war, denn ein Pferd hatte er nicht. Auch einen Knecht konnte er sich nicht halten, und darum mußte seine Tochter ihn fahren. Eines Tages, als er so von dem Dorfe Däsedau zurückkam, begegneten ihm schwedische Reiter. Die hielten ihn und sein Fuhrwerk an, und verlangten, daß seine Tochter ihnen zu Willen sein solle. Das Mädchen und der Pfarrer geriethen darüber in großen Schrecken. Er kletterte von seinem Karren herunter und fiel den Soldaten zu Füßen, ihr Mitleid anflehend. Anfangs half das nichts. Zuletzt aber sagten sie, wenn er ihnen sein ganzes Verdienst von heute abgebe, so wollten sie seine Tochter fahren lassen. Da reichte er ihnen mit Zittern hin alles was er hatte. Es waren zwei Schillinge.Die Schweden wollten ihr Wort nicht brechen, sie nahmen das Geld und jagten lachend davon.
Ueber die Altmark.