Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
in der Altmark ist der sogenannte »große See” bei dem Städtchen Arendsee, auch blos der »Arendsee” genannt. Er liegt an der alten Poststraße von Havelberg nach Hamburg. Er hat einen Umfang von einer kleinen deutschen Meile, und ist sehr tief, über 20 bis 30 Klafter. Nach dem Städtchen Arendsee hin hat er hohe Ufer; sonst sind seine Ufer flach und sandig. Sein Wasser ist hell und klar. Schilf und sonstiges Sumpfgewächs findet sich nicht darin, sondern nur hin und wieder etwas Binsengras. Auch wird zuweilen beim Fischen mit den Netzen ein Gras herausgezogen, das über 20 bis 30 Ellen lang ist. Das Wasser des Sees bleibt fast immer in derselben Höhe; es vermehrt sich nicht bei nassem, und vermindert sich nicht bei trockenem Wetter. Doch bemerkt man zu Zeiten, daß es etwas wächst, wenn die, zwei Meilen davon entfernte Elbe bedeutend steigt, weshalb man auch annimmt, daß der See, obwohl zumeist durch unterirdischen Wasserzufluß gebildet, doch durch dergleichen Canäle auch mit der Elbe in Verbindung stehe. Fischerei wird wenig darauf getrieben, weil das Wasser zu tief ist; besonders ist es auffallend, daß der Fisch zwischen Michaeli und Mariä Verkündigung sich ganz in die Tiefe hineinzieht.
Der See friert sehr selten zu, gewöhnlich alle 15 Jahre einmal, und immer nur, wenn der Belt zufriert. Wenn er zufrieren soll, welches alsdann gewöhnlich um Heilige Drei Könige geschieht, so fängt er vorher an zu rauchen wie ein Backofen, dabei läßt er ein entsetzliches Geheul und Krachen in seinem Innern, und ein eben solches Getöse über sich in der Luft hören. Das Nämliche hört man auch, wenn ein starkes Ungewitter, oder ein Sturm in der Nähe ist, oder wenn wieder Thauwetter eintritt. Besonders hört man ein Getöse, als ob ein fürchterliches Ungewitter los wäre, wenn das Eis losgehen will.
Früher stand auch eine Windmühle an dem Ufer des Arendsees. Als aber im Jahre 1685, am 25. November auf St. Catharinentag, sich plötzlich von Nordwesten ein starker Sturmwind erhob, und nun um zwei Uhr Nachmittag das Wasser des Sees mit großer Bewegung aufwärts stieg, da wurde diese Mühle mit dem Hügel, worauf sie stand, auf einmal in die Tiefe des Sees hinuntergerissen, so daß der Müller kaum Zeit hatte, mit seiner Magd herunter zu springen und sich zu retten. Die Stelle, wo die Mühle gestanden, bildet noch jetzt eine merkliche Bucht, und hat eine Tiefe von 20 Klaftern. – Der Müller hatte drei Nächte vorher, jede Nacht zweimal, vom See her eine Stimme gehört, die ihm zurief: Müller heraus, nur bald fort! – ohne daß er einen Menschen hatte sehen können. Kurz vor dem Beginn des Sturms aber hat die Mühle einige Male angefangen zu prasseln, als wenn Alles darin in Stücke zergangen wäre, und doch war nichts darin versehrt. Es ist daher auch noch lange Jahre in dem Städtlein Arendsee der 25ste November wie ein Bußtag begangen.
Beckmann histor. Beschr. v. Brandenburg. Th. 1. S. 1075-1080.
53. Der Mehlberg am Arendsee.
Am Arendsee in der Altmark bei dem Dorfe Schrampe, liegt ein Berg, der aus sehr feinem, mit weißen Spathflinkern vermischtem Sande besteht. Er wird von den Bewohnern der Gegend der Mehlberg genannt, und es geht die Sage, daß in ganz theuren Zeiten die armen Leute aus diesem Berge ihr Mehl zu Brod holen können, wie denn dies in früheren Zeiten zum öfteren bereits soll geschehen sein.
Beckmann histor. Beschreibung v. Brandenburg. Th. 1. S. 888.
54. Der gekeilte Dieb.
In dem Dorfe Garzin unweit Arendsee lebte vor Zeiten ein Mann, Namens Johann Heinrich Müller, der wegen Bienendiebstahls sehr verrufen war. Die Gerichte konnten ihm zwar nicht beikommen, aber dafür starb er eines elenden Todes. Denn die Bestohlenen hatten ihn durch Verwünschungen eingekeilt, und auf einmal, ehe er es sich versiehet, überfällt ihn ein Schmerz, als wenn er erbärmlich geprügelt würde. Dieser Schmerz hat gedauert bis an seinen Tod. Als er zum Sterben kam, da fielen ihm große Löcher in seinen Leib, und er mußte sich lange und viel quälen vorher.
Beckmann histor. Beschreibung v. Brandenburg. Th. 5. Buch 1. Cap. 3. S. 727.
55. Der Inspector Krusemark zu Seehausen.
Magister Joachim Krusemark, seit dem Jahre 1625 Diakonus zu Seehausen in der Altmark, wurde im Jahre 1628 geistlicher Inspector daselbst. Derselbe hat die Plünderung der Stadt Anno 1633 mit ausgehalten, und dabei von einem Kroaten einen gefährlichen Hieb über den Kopf bekommen, wovon er bis an seinen Tod große Beschwerung gehabt. Dieser sein Tod erfolgte Anno 1637, und ging ihm eine absonderliche Begebenheit vorher. Wenige Tage vor seinem Ende nämlich, als er in der Kammer, seine Frau und Schwiegermutter aber in der Stube nebenan geschlafen, hörten diese Letzteren, daß Jemand in der Kammer mit ihm redete. Sie verwunderten sich darüber, weil doch Niemand bei ihm in der Kammer sein konnte, und machten deshalb die Kammerthüre auf. Dabei sahen sie einen hellen Schein in der Kammer, der jedoch allsofort verschwunden. Der Inspector aber zeigte sich sehr unwillig, daß man ihn gestöret, und den Tag darauf meldete er, es sei ihm in der Nacht geoffenbaret, daß er bald sterben werde; hat dabei auch den Tag und die Stunde benannt, wann solches geschehen werde, imgleichen mehrere andere Dinge; welches Alles sich auch also zugetragen.
Der Alt Märkischen historischen Sachen II. Sammlung von Jul. Conr. Rüdemann. S. 214. 215.
56. Die Hand auf dem Grabe.
In der Kirche des Dorfes Groß-Redensleben, eine Stunde von Seehausen, befindet sich gleich beim Eingange, links vor der Thüre an einem steinernen Pfeiler, eine hölzerne, schwarz angestrichene Tafel, welche folgende Inschrift hat:
2 Buch Moses XX
Sieh, sieh du böses Kind,
Was man hier merklich findt,
Eine Hand, die nicht verwes‘t,
Weil der, deß sie geweßt,
War ein ungerathenes Kind,
Die man auch jetzt noch findt.
Den Vater schlug der Sohn,
Darum hat er dieß zum Lohn,
Daß hier hängt seine Hand,
Hüt dich für solche Schand
Auf dem Rande der Tafel, rund um jene Inschrift herum, stehen die Worte:
Du sollt deinen Vater und deine Mutter ehren,
auf daß du lange lebest im Lande,
das dir der Herr dein Gott giebt.
Unten an der Tafel befindet sich eine eiserne Kette, ungefähr eine halbe Elle lang, an derselben hängt eine Menschenhand, welche kurz an der Wurzel abgehauen ist; sie ist von aschgrauer Farbe, Haut und Fleisch sind gänzlich daran vertrocknet. Man erzählt hiervon folgende Sage:
Vor dem dreißigjährigen Kriege lebte zu Groß-Redensleben ein frommer Mann, der einen sehr ungerathenen Sohn hatte. Dieser Sohn verlachte nicht nur des Vaters Ermahnungen, sondern ging in seiner Verstocktheit gar so weit, daß er seinen eigenen Vater mißhandelte. Einst hob er auch die Hand gegen ihn auf, als der Vater gerade für ihn zu Gott um Besserung betete. Da geschah es aber, daß der ungerathene Bube plötzlich todt zur Erde niederfiel, zum sichtbaren Zeichen, daß der Himmel seinen Frevel nicht ungestraft lasse. Als er nun aber am Tage nachher begraben war, da begab sich ein noch größeres Wunder. Denn es wuchs plötzlich aus seinem Grabe seine Hand heraus, dieselbe Hand, womit er seinen Vater geschlagen hatte, als wenn sie in der Erde keine Ruhe habe.