Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
auf die Gestapo. Und schon begann ihre Liebe einen strahlenden Glanz um den Nichtsnutz an ihrer Brust zu weben, sie sagte: »Du hast also das Protokoll unterschrieben und dadurch den eigentlichen Täter gedeckt, Hänschen. Das war sehr mutig von dir, ich bewundere dich. Von zehn Männern hätte das kaum einer gewagt. Aber, das weißt du doch, wenn sie dich kriegen, so bekommst du es schlimm, denn dass sie dich mit diesem Protokoll für immer in der Falle haben, ist doch ganz klar?«
Er sagte, schon halb getröstet: »Oh, wenn du nur zu mir hältst, werden die mich nie kriegen!«
Aber sie schüttelte leise und bedenklich den Kopf. »Ich verstehe nicht, warum sie dich überhaupt wieder losgelassen haben.« Plötzlich fiel es ihr schrecklich ein: »O Gott, wenn sie dir nachspioniert haben, wenn sie nur wissen wollten, wohin du gehst?«
Er schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht, Hete. Ich war erst bei – ich war erst auf einer anderen Stelle, um meine Sachen zu holen. Ich hätte es merken müssen, wenn jemand hinter mir her war. Und warum eigentlich? Da hätten sie mich doch gar nicht erst loszulassen brauchen.«
Aber sie hatte es schon überlegt: »Sie glauben, du kennst den Kartenschreiber und bringst sie auf die Spur. Und vielleicht kennst du ihn wirklich und hast die Karte doch selbst dorthin gelegt. Aber ich will es gar nicht wissen, das sollst du mir nie sagen!« Sie bückte sich zu ihm und flüsterte: »Ich gehe jetzt eine halbe Stunde weg, Hänschen, und beobachte das Haus, ob vielleicht doch irgendwo ein Spitzel herumsteht. Nicht wahr, du wirst hier ganz still im Zimmer bleiben?«
Er sagte ihr, dass dieses Nachsehen ganz unnütz sei, niemand sei ihm gefolgt, bestimmt nicht.
Aber ihr stand es in zu schreckvoller Erinnerung, wie sie ihr schon einmal den Mann aus der Wohnung und damit aus dem Leben holten. Ihre Unruhe litt es nicht, sie musste auf und hinaus, um nachzusehen.
Und während sie langsam um den Block geht – sie hat den Blacky aus dem Laden an einer Leine mitgenommen, einen reizenden Scotch, und durch ihn sieht dieser Abendweg doch ganz unverfänglich aus –, während sie also um seiner Sicherheit willen langsam auf und ab schlendert, anscheinend nur mit dem Hund beschäftigt, aber die wachsamen Augen und Ohren überallhin gerichtet – unterdes nimmt Enno mit vorsichtigen Händen ein rasches erstes Inventar ihrer Stube auf. Es kann nicht mehr als nur ganz flüchtig sein, außerdem hat sie die meisten Möbelstücke verschlossen. Aber schon diese erste Durchsicht verrät ihm, dass er in seinem ganzen Leben so eine Frau noch nicht gehabt hat, eine Frau mit Bankkonto und sogar mit Postscheckkonto, wo ihr Name ganz richtig gedruckt auf allen Formularen steht!
Und Enno Kluge beschließt wiederum bei sich, wirklich ein ganz anderes Leben anzufangen, sich in dieser Wohnung stets korrekt zu benehmen und nicht zu beschlagnahmen, was sie ihm nicht freiwillig gibt.
Sie kommt zurück und sagt: »Nein, ich kann nichts Auffälliges sehen. Aber vielleicht haben sie dich doch hier hereingehen sehen und kommen morgen früh zurück. Ich gehe morgen gleich noch mal, ich werde den Wecker auf sechs stellen.«
»Ist nicht nötig, Hete«, sagt er wieder. »Mir ist bestimmt keiner gefolgt.«
Dann macht sie ihm ein Lager auf dem Sofa und legt sich selbst ins Bett. Aber sie lässt die Tür zwischen den beiden Zimmern offen und horcht darauf, wie er sich hin und her wirft, wie er stöhnt und wie unruhig er schläft, als er endlich wirklich eingeschlafen ist. Dann, sie ist eben grade selbst ein wenig eingedämmert, dann wacht sie wieder davon auf, dass sie ihn weinen hört. Wieder weint er, ob nun im Wachen oder im Schlaf. Frau Hete sieht im Dunkeln sein Gesicht deutlich vor sich, dieses Gesicht, das trotz seiner fünfzig Jahre immer noch etwas Kindliches hat – vielleicht durch das schwache Kinn und den volllippigen, sehr roten Mund.
Eine Weile hört sie still auf dieses Weinen, das durch die Nacht klagelos immer weitergeht, als traure die Nacht selbst über all den Kummer, den es jetzt auf der Welt gibt.
Dann entschließt sich Frau Häberle, sie steht auf und tastet sich im Dunkeln an sein Sofa.
»Weine doch nicht so, Hänschen! Du bist ja in Sicherheit, du bist bei mir. Deine Hete hilft dir …«
So spricht sie ihm tröstend zu, und als das Weinen trotzdem nicht aufhört, beugt sie sich über ihn, sie schiebt ihren Arm unter seine Schultern, sie führt den Weinenden zu ihrem Bett, und dort nimmt sie ihn in ihre Arme, an ihre Brust …
Eine alternde Frau, ein ältlicher Mann, liebebedürftig wie ein Kind, ein bisschen Trost, ein bisschen Leidenschaft, ein klein wenig Glorienschein um das Haupt des Geliebten – und nicht einmal fällt es Frau Hete ein, sich darüber klarzuwerden, wie dieses haltlose, weinerliche Wesen denn zu einem Kämpfer und Helden passt.
»Nun ist alles gut, nicht wahr, Hänschen?«
Aber nein, diese eine Frage lässt den eben erst versiegten Tränenstrom von neuem fließen, es schüttelt ihn in ihren Armen.
»Aber was ist denn, Hänschen? Hast du noch Sorgen, von denen du mir noch nichts gesagt hast?«
Und dies ist nun der Augenblick, auf den dieser alte Frauenjäger seit Stunden hingearbeitet hat, denn er hat bei sich entschieden, dass es doch zu gefährlich und für die Dauer auch unmöglich sei, sie ganz im Unklaren über seinen wirklichen Namen und seine Ehe zu belassen. Er ist nun einmal im Gestehen, nun gut, wird er auch dieses noch gestehen, sie wird es schon hinnehmen, ihn darum nicht weniger lieben. Grade jetzt, da sie ihn eben erst in ihre Arme genommen hat, wird sie ihn schon nicht wieder auf die Straße setzen!
Sie hat das Hänschen gefragt, ob es denn noch Sorgen gebe, von denen er ihr nichts gesagt hat. Nun gesteht er, weinend, verzweifelt, dass er gar nicht Hans Enno heißt, sondern Enno Kluge, und dass er ein verheirateter Mann ist, mit zwei großen Jungen. Ja, er ist ein Lump, er hat sie belügen und betrügen wollen, aber er bringt es nun doch nicht übers Herz, wo sie so gut zu ihm gewesen ist.
Wie stets ist sein Geständnis nur ein Teilgeständnis, ein wenig Wahrheit mit viel Lüge untermischt. Er zeichnet das Bild seiner Frau, dieser harten, bösen Nazistin auf dem Postamt, die den Mann nicht bei sich dulden will, weil er nicht in die Partei eintreten mag. Diese Frau, die seinen ältesten Sohn gezwungen hat, in die SS einzutreten – und er berichtet von den Gräueltaten Karlemanns. Er entwirft ein Bild dieser ungleichen, schlechten Ehe, der stille, geduldige, alles ertragende Mann und die böse, ehrgeizige, nazistische Frau. Sie können ja nicht zusammenleben, sie müssen einander ja hassen. Und nun hat sie ihn aus der Wohnung hinausgetrieben! So hat er seine Hete belogen, aus Feigheit, weil er sie zu sehr liebt, weil er ihr keinen Schmerz bereiten wollte!
Aber nun hat er sich freigesprochen. Nein, jetzt weint er nicht mehr. Er wird aufstehen und seine Sachen packen und von ihr gehen – in die schlimme Welt hinaus. Er wird sich schon irgendwo vor der Gestapo verbergen, und wenn die ihn doch erwischen, so macht das