Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
gehört. Warum hat er sie nur so angelogen? Als sie sich kennenlernten, lag doch noch gar kein Grund für solche Lügen vor! Hatte er denn damals schon Absichten auf sie gehabt? Dann können es nur schlimme Absichten gewesen sein, wenn sie zu solchen Lügen Anlass wurden.
Ihr Instinkt sagt ihr, dass sie ihn wegschicken muss, dass ein Mann, der fähig ist, eine Frau vom ersten Anfang an so bedenkenlos zu täuschen, auch stets bereit sein wird, sie später zu belügen. Und mit einem Lügner kann sie nicht zusammenleben. Sie hat immer ein sauberes Leben gelebt mit ihrem ersten Mann, und diese paar kleinen Geschichten, die es seit seinem Tode gab, über so etwas lächelt eine erfahrene Frau nur.
Nein, aus ihren Armen noch würde sie ihn gehen lassen – wenn sie ihn nicht grade dem Feind in die Arme jagte, der verhassten Gestapo. Denn sie ist fest überzeugt, dass sie das tut, wenn sie ihn jetzt gehen heißt. Diese ganze Verfolgung durch die Gestapo, die nimmt sie seit seiner Erzählung am Abend für bare Münze. Sie kommt nicht einmal auf den Gedanken, an ihrer Wahrheit zu zweifeln, obwohl sie ihn doch eben erst als Lügner kennengelernt hat.
Und dann ist da diese Frau … Es ist nicht möglich, dass alles, was er über diese Frau gesagt hat, unwahr ist. So etwas denkt sich kein Mensch aus, da muss etwas Wahres daran sein. Sie glaubt den Mann doch zu kennen an ihrer Seite, ein schwaches Geschöpf, ein Kind, gutartig eigentlich: mit ein paar freundlichen Worten ist er zu leiten. Aber diese Frau, hart, ehrgeizig, diese Nazistin, die durch die Partei hochkommen will, für die war natürlich ein solcher Mann nichts, ein Mann, der die Partei hasste, vielleicht insgeheim gegen sie arbeitete, ein Mann, der sich weigerte, in die Partei einzutreten!
Konnte sie ihn zurückjagen zu solcher Frau? Der Gestapo in die Arme?
Sie konnte es nicht, und so durfte sie es auch nicht.
Das Licht geht an. Da steht er schon neben ihrem Bett, in einem viel zu kurzen blauen Hemdchen, stille Tränen rinnen jetzt über sein blasses Gesicht. Er beugt sich über sie, er flüstert: »Adieu, Hete! Du bist sehr gut zu mir gewesen, aber ich verdiene es nicht, ich bin ein schlechter Mensch. Adieu! Ich gehe jetzt …«
Sie hält ihn fest. Sie flüstert: »Nein, du bleibst bei mir. Ich habe es dir versprochen, und ich halte mein Versprechen. Nein, sag nichts. Geh jetzt bitte auf das Sofa und versuche, noch ein bisschen zu schlafen. Ich will überlegen, wie alles am besten einzurichten ist.«
Er schüttelt langsam und traurig den Kopf. »Hete, du bist zu gut für mich. Ich will alles tun, was du sagst, aber wirklich, Hete, es ist besser, du lässt mich gehen.«
Aber natürlich geht er nicht. Natürlich lässt er sich überreden zu bleiben. Sie wird alles überlegen, alles ordnen. Und natürlich erreicht er auch, dass die Verbannung zum Sofa wieder aufgehoben wird, dass er wieder zurück zu ihr ins Bett darf. Ganz von ihrer mütterlichen Wärme umschlossen, schläft er bald ein, dieses Mal ohne weiteres Weinen.
Sie aber liegt noch lange wach. Eigentlich liegt sie die ganze Nacht wach. Sie hört auf sein Atmen, es ist schön, wieder einen Mann bei sich atmen zu hören, ihn so nahe im Bett zu haben. Sie war so lange sehr allein. Nun hat sie wieder jemand, für den sie sorgen kann. Ihr Leben ist nicht mehr ohne allen Inhalt. O ja, er wird ihr vielleicht mehr Sorgen machen als gut ist. Aber solche Sorgen, Sorgen um einen Menschen, den man liebhat, das sind gute Sorgen.
Frau Hete beschließt, stark für zwei zu sein. Frau Hete beschließt, ihn vor allen von der Gestapo drohenden Gefahren zu behüten. Frau Hete beschließt, ihn zu erziehen und aus ihm einen wahrhaftigen Menschen zu machen. Frau Hete beschließt, das Hänschen, ach nein, nun heißt er ja Enno, Frau Hete beschließt, den Enno von dieser anderen Frau, der Nazistin, freizukämpfen. Frau Hete beschließt, in dieses Leben da, das nun bei ihr liegt, Ordnung und Sauberkeit zu bringen.
Und Frau Hete hat keine Ahnung, dass dieser schwache Mann an ihrer Seite stark genug sein wird, Unordnung, Leid, Selbstvorwürfe, Tränen, Gefahr in ihr Leben zu bringen. Frau Hete hat keine Ahnung, dass all ihre Stärke zu nichts wurde im gleichen Augenblick, als sie beschloss, diesen Enno Kluge bei sich zu behalten und ihn gegen die ganze Welt zu verteidigen. Frau Hete hat keine Ahnung, dass sie sich selbst mit dem ganzen kleinen Reich, das sie sich aufbaute, in höchste Gefahr gebracht hat.
27. Angst und Furcht
Seit jener Nacht sind zwei Wochen vergangen. Frau Hete und Enno Kluge haben in dem engen Beieinanderleben eines das andere besser kennengelernt. Es war ja nun so, dass der Mann wegen der Furcht vor der Gestapo nicht aus dem Hause durfte. Sie lebten wie auf einer Insel, nur sie zwei. Sie konnten sich nicht aus dem Wege gehen, sich bei anderen Menschen ein wenig frischen Wind um die Nase wehen lassen. Sie waren ganz aufeinander angewiesen.
In den ersten Tagen hatte sie es dem Enno nicht einmal erlaubt, ihr im Laden zu helfen, in diesen ersten Tagen, da sie noch nicht ganz sicher war, ob nicht doch ein Agent der Gestapo ums Haus schlich. Sie hatte ihm gesagt, dass er ganz still in der Stube bleiben müsse. Von niemandem dürfe er sich sehen lassen. Ein wenig überrascht war sie, mit welcher Gelassenheit er diese Eröffnung aufnahm; ihr wäre es schrecklich gewesen, zu solchem untätigen Sitzen in der engen Stube verurteilt zu sein. Aber er hatte nur gesagt: »Nun gut, da werde ich mich ein bisschen pflegen!«
»Und was wirst du tun, Enno?«, hatte sie gefragt. »So ein Tag ist lang, und ich kann mich nicht viel um dich kümmern, und Grübeln trägt nichts ein.«
»Tun?«, hatte er ganz erstaunt gefragt. »Wieso tun? Ach, du meinst arbeiten?« Er hatte es schon auf der Zunge, dass er seiner Ansicht nach eigentlich genug gearbeitet hatte für eine lange Zeit, aber er war noch sehr vorsichtig bei ihr und sagte darum: »Natürlich würde ich gerne was arbeiten. Aber was kann ich denn hier im Zimmer arbeiten? Ja, wenn da ’ne Drehbank stünde!« Und er lachte.
»Aber ich weiß eine Arbeit für dich! Sieh mal her, Enno!«
Sie trug einen großen Karton herein, ganz gefüllt mit allen möglichen Sämereien. Nun stellte sie ein Brettchen vor ihn hin, eines jener hölzernen Zahlbretter mit Rand, wie sie auf vielen Ladentischen stehen. Und sie nahm einen Federhalter zur Hand, in dem die Feder verkehrt herum steckte. Diesen Halter wie eine Schaufel benutzend, fing sie an, eine Handvoll Sämereien, die sie auf das Zahlbrett geschüttet hatte, aufzuteilen in die verschiedenen Sorten. Rasch und geschickt ging die Feder hin und her, teilte, schob in eine Ecke, sonderte wieder, und dabei erklärte sie: »Das sind alles Futterreste, aus den Ecken zusammengefegt, aus zerplatzten Tüten, das habe ich alles gesammelt, seit Jahren. Jetzt, da das Futter so knapp ist, kommt es mir zugute. Ich sortiere es …«
»Aber warum sortierst du es? Das ist ja eine Riesenarbeit! Gib’s den Vögeln doch so zu fressen, die sortieren es sich schon selbst!«
»Und veraasen dabei drei Viertel des Futters!