Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
sagte er es jetzt dem Herrn Kommissar. Der sollte es zuerst ruhig bei der Schönlein versuchen, und erst, wenn sich herausstellte, dort war der Mann wirklich nicht, könnte man auf den anderen Etagen nachfragen. Aber im Allgemeinen wohnten nur anständige Leute auch hier hinten im Gartenhaus.
»Hier ist es!«, flüstert der Portier.
»Bleiben Sie hier stehen, damit man Sie durchs Guckloch sieht«, flüstert der Kommissar zurück.
»Sagen Sie irgendwas, warum Sie kommen, wegen des Schweinefutters für die NSV1 oder wegen dem WHW.«2
»Ist gemacht!«, sagt der Portier und klingelt.
Eine Weile erfolgt gar nichts, der Portier klingelt ein zweites und ein drittes Mal. Aber in der Wohnung bleibt alles still.
»Nicht zu Hause?«, flüstert der Kommissar.
»Ich weiß doch nicht!«, sagt der Portier. »Ich habe die Schönlein heute noch nicht auf der Straße gesehen.«
Und er klingelt ein viertes Mal.
Ganz plötzlich öffnet sich die Tür, die beiden haben kein Geräusch aus der Wohnung gehört. Eine lange, dürre Frau steht vor ihnen. Sie hat ausgebeutelte, verfärbte Trainingshosen an, und oben trägt sie einen kanariengelben Pullover mit roten Knöpfen. Sie hat ein scharfliniges, mageres Gesicht, das rotfleckig ist, rotfleckig, wie es so oft die Gesichter der Tuberkulösen sind. Auch ihre Augen glänzen wie im Fieber.
»Was ist?«, fragt sie kurz und verrät keinerlei Erschrecken, als der Kommissar sich so dicht in die Tür stellt, dass sie nicht geschlossen werden kann.
»Ich möchte gerne mal ein paar Worte mit Ihnen sprechen, Fräulein Schönlein. Ich bin der Kommissar Escherich von der Geheimen Staatspolizei.«
Wieder nichts von Erschrecken; die Frau sieht ihn nur immer weiter mit ihren glänzenden Augen an. Dann sagt sie rasch: »Kommen Sie!«, und geht ihm voran in die Wohnung.
»Sie bleiben hier an der Tür«, flüstert der Kommissar dem Portier zu. »Und wenn jemand raus- oder reinwill, rufen Sie mich!«
Es ist ein etwas liederliches, verstaubtes Zimmer, in das der Kommissar geführt wird. Uralte Plüschmöbel mit Säulen und Kugeln aus Großvaters Zeiten. Vorhänge aus Samt. Eine Staffelei, auf der das Bild eines vollbärtigen Mannes steht, ein vergrößertes koloriertes Foto. In der Luft hängt Zigarettenrauch, ein paar Stummel liegen im Aschenbecher.
»Was ist?«, fragt Fräulein Schönlein wieder.
Sie ist am Tisch stehen geblieben, hat den Kommissar nicht zum Sitzen aufgefordert.
Aber der Kommissar setzt sich doch, er zieht eine Schachtel mit Zigaretten aus der Tasche und deutet dabei auf das Bild. »Wer ist denn das?«, fragt er.
»Mein Vater«, sagt die Frau. Und fragt noch einmal: »Was ist?«
»Ich wollte Sie Verschiedenes fragen, Fräulein Schönlein«, sagt der Kommissar und hält ihr die Zigaretten hin. »Aber setzen Sie sich doch und nehmen Sie sich eine Zigarette!«
Die Frau sagt rasch: »Ich rauche nie!«
»Eins, zwei, drei, vier«, zählt Escherich die Stummel im Aschenbecher. »Und Tabakrauch im Zimmer. Sie haben Besuch, Fräulein Schönlein?«
Sie sah ihn ohne Schrecken und ohne Angst an. »Ich gebe nie zu, dass ich rauche«, sagt sie dann, »weil mir der Arzt nämlich das Rauchen wegen meiner Lunge verboten hat.«
»Sie haben also keinen Besuch?«
»Ich habe also keinen Besuch.«
»Ich werde mir mal rasch Ihre Wohnung ansehen«, erklärt der Kommissar und steht auf. »Nein, bitte, bemühen Sie sich nicht. Ich finde meinen Weg schon.«
Er ging schnell durch die beiden anderen, mit Sofas, Vertikos, Schränken, Sesseln und Säulen überfüllten Zimmer. Einmal blieb er stehen und lauschte, das Gesicht einem Schrank zugewendet, er lächelte dabei. Dann kehrte er wieder zu Fräulein Schönlein zurück. Sie stand noch, wie er sie verlassen, am Tisch.
»Mir ist gemeldet worden«, sagte er, sich wieder hinsetzend, »dass Sie viel Besuch empfangen, Besuch, der meist über ein paar Nächte bei Ihnen bleibt, der aber nie gemeldet wird. Sie kennen die Bestimmungen über die Meldepflicht?«
»Bei meinen Besuchen handelt es sich fast nur um Neffen und Nichten, die eigentlich nie mehr als höchstens zwei Nächte bei mir bleiben. Ich glaube, die Meldepflicht beginnt erst mit der vierten Übernachtung.«
»Sie müssen eine sehr große Familie haben, Fräulein Schönlein«, sagte der Kommissar gedankenvoll. »Fast jede Nacht kampieren ein, zwei, manchmal auch drei Personen bei Ihnen.«
»Das ist maßlos übertrieben. Übrigens habe ich tatsächlich eine sehr große Familie. Sechs Geschwister, alle kinderreich verheiratet.«
»Und so würdige alte Herren und Damen unter Ihren Neffen und Nichten!«
»Ihre Eltern besuchen mich natürlich auch dann und wann.«
»Eine sehr große, reiselustige Familie … Übrigens, was ich noch fragen wollte: Wo haben Sie eigentlich Ihren Radioapparat zu stehen, Fräulein Schönlein? Ich habe eben keinen gesehen.«
Sie presste die Lippen fest zusammen. »Ich besitze keinen Radioapparat.«
»Sicher!«, sagte der Kommissar. »Sicher. Genau, wie Sie nie zugeben werden, dass Sie Zigaretten rauchen. Aber Radiomusik ist der Lunge nicht schädlich.«
»Aber der politischen Gesinnung«, antwortete sie ein wenig spöttisch. »Nein, ich besitze keinen Radioapparat. Wenn Musik aus meiner Wohnung gehört worden ist, so handelt es sich dabei um ein Koffergrammophon, das dort in Ihrem Rücken auf dem Regal steht.«
»Und das in fremden Sprachen spricht«, ergänzte der Kommissar.
»Ich habe viele ausländische Tanzplatten. Ich halte es für kein Verbrechen, sie auch jetzt im Kriege meinen Besuchern gelegentlich vorzuspielen.«
»Ihren Neffen und Nichten? Nein, das wäre wirklich kein Verbrechen.«
Er stand auf, die Hände in den Taschen. Plötzlich sprach er nicht mehr spöttisch, er sagte brutal: »Was meinen Sie, was wird, wenn ich Sie jetzt hopsnehme, Fräulein Schönlein, und einen kleinen heimlichen Posten hier in Ihrer Wohnung platziere? Der würde dann Ihre Besucher in Empfang nehmen und sich die Papiere Ihrer Neffen und Nichten genauer ansehen. Vielleicht bringt einer der Besucher sogar einen Radioapparat mit! Was meinen Sie?«
»Ich meine«, sagte Fräulein Schönlein unerschrocken, »dass Sie von vornherein