Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Generalen und Damen, die so wunderschön rochen. Es störte ihn gar nicht, dass er weder elegant noch wohlriechend war und dass seine Mitreisenden keine freundlichen Blicke auf ihn warfen. Barkhausen war es gewohnt, unfreundlich angesehen zu werden. Kaum je in seinem jämmerlichen Leben hatte ein Mitmensch einen freundlichen Blick für ihn übriggehabt.
Barkhausen genoss sein kurzes Glück mit vollen Zügen, denn kurz war es nur. Es musste nicht bis München währen, dieses Glück, nicht einmal bis Leipzig, wie er zuerst gefürchtet hatte, sondern nur bis Lichterfelde, denn dieser Zug hielt noch einmal in Lichterfelde. Das war der Fehler in Frau Hetes Berechnung gewesen: man musste, hatte man Geld in München zu bekommen, nicht gleich dorthin fahren. Man konnte es später tun, wenn man die dringendsten Geschäfte in der Stadt Berlin erledigt hatte. Und das dringendste Geschäft war jetzt, den Enno dem Escherich zu melden und fünfhundert Mark zu kassieren. Übrigens brauchte man vielleicht überhaupt nicht nach München zu fahren, man brauchte der Post nur zu schreiben, dass sie das Geld hierher nach Berlin zur Auszahlung senden sollte. Jedenfalls kam eine sofortige Reise nach München nicht in Frage.
Also stieg – nicht ohne leises Bedauern – Emil Barkhausen in Lichterfelde aus. Er hatte noch eine kleine, lebhafte Debatte mit dem Fahrdienstleiter, der nicht einsehen wollte, dass man sich im Zuge zwischen Anhalter Bahnhof und Lichterfelde noch einmal eine Reise nach München anders überlegen kann. Überhaupt kam diesem Manne der ganze Barkhausen höchst verdächtig vor.
Barkhausen aber blieb unerschütterlich: »Rufen Sie nur auf der Gestapo an, Kommissar Escherich, und Sie werden sehen, wer recht hat, Herr Stationsvorsteher! Aber die Läuse, die Sie sich dann in den Pelz gesetzt haben! Ich bin nämlich dienstlich!«
Schließlich ließ ihm der Rotmützige achselzuckend sein Fahrgeld zurückzahlen, ihm war es egal. Möglich war alles heute, möglich war es schon, dass solche fragwürdigen Gestalten im Auftrage der Gestapo herumliefen. Umso schlimmer!
Emil Barkhausen aber machte sich auf die Suche nach seinem Sohn.
Aber vor der Tierhandlung von Hete Häberle fand er ihn nicht, obwohl das Geschäft geöffnet war und Kunden aus und ein gingen. Hinter einer Anschlagsäule verborgen, überlegte Barkhausen, immer die Augen auf die Ladentür gerichtet, was geschehen sein konnte. Hatte Kuno-Dieter einfach aus Langeweile seinen Posten verlassen? Oder war Enno weggegangen – vielleicht wieder nach »Ferner liefen«? Oder war der kleine Mann ganz fortgezogen, und die Frau wirkte nun allein im Laden?
Emil Barkhausen erwog es grade bei sich, ob er noch einmal ganz schamlos vor die überlistete Häberle treten und Auskünfte von ihr verlangen sollte, als ein vielleicht neunjähriger Bengel ihn anquatschte: »Hören Se ma! Sind Sie der Vata von den Kuno?«
»Bin ich! Was ist denn?«
»’ne Mark solln Se mir jebn!«
»Wozu soll ich dir denn ’ne Mark geben?«
»Det ich Sie sare, wat ick weeß!«
Barkhausen tat einen raschen Griff nach dem Jungen. »Erst Ware, dann Geld!«, sagte er.
Aber der Junge war schneller als er, war ihm unter dem Arm durchgeschlüpft und rief: »Na, denn nich! Behalten Se man Ihre Mark!« Und er gesellte sich wieder zu seinen Spielgefährten, die auf der Fahrbahn direkt vor dem Laden tobten.
Dorthin konnte Barkhausen ihm nicht folgen, er wollte sich doch lieber nicht sehen lassen. Er rief und pfiff nach dem Jungen, den er zugleich mit seiner eigenen, hier so unangebrachten Sparsamkeit verfluchte. Aber der Junge ließ sich nicht so leicht listen und locken; erst eine gute Viertelstunde später tauchte er wieder bei Barkhausen auf, stellte sich vorsichtig in einiger Entfernung von dem zornigen Mann auf und verkündete frech: »Jetzt kost det zwee Märker!«
Barkhausen hätte sich den Bengel wiederum lieber gegriffen und nach Noten durchgeprügelt, aber was sollte er tun? Er war in seiner Hand, denn er konnte ihm nicht nachlaufen. »Ick wer dir ’ne Mark jebn«, sagte er finster.
»Nee! Zwee Mark!«
»Jut, du sollst zwee Mark haben!«
Barkhausen nahm einen Packen Scheine aus der Tasche, fand einen Zweimärker, stopfte die anderen Scheine zurück und hielt dem Jungen das Geld hin.
Der schüttelte den Kopf. »Ihnen kenn ick doch!«, sagte er. »Wenn ick det Jeld nehme, langen Se nach mir. Nee, legen Se’s da uff ’t Pflaster!«
Finster, ohne ein Wort, tat Barkhausen, was der Junge ihn geheißen. »Na?«, sagte er dann, richtete sich wieder auf und trat einen Schritt zurück.
Der Junge pirschte sich langsam an den Schein heran, stets wachsam das Auge auf den Mann geheftet. Als er sich nach dem Gelde bückte, konnte Barkhausen kaum der Versuchung widerstehen, sich dieses kleine Aas zu langen und abzuwackeln. Er hätte ihn fassen können, aber er widerstand dieser Versuchung, vielleicht bekam er dann überhaupt keine Auskunft, und der Bengel würde so schreien, dass die ganze Straße zusammenlief.
»Na?«, fragte er noch einmal und diesmal drohend.
Der Junge antwortete: »Ick könnte ja jetzt ooch ’n Aas sind und nochma Jeld von Sie valangen und nochma und immer wieda. Aba ick bin nich so. Ick weeß jut, Sie wollten mir ebent wieda uff de Pelle, aba ick, ick bin nich so ’n Aas!« Dann, nachdem er seine moralische Überlegenheit über Barkhausen so gebührend ans Licht gestellt hatte, sagte er rasch: »Se solln in Ihre Wohnung uff Bescheid von Kunon warten!« Und der Junge war weg.
Die guten zwei Stunden, die Barkhausen in seiner Kellerwohnung auf den Bescheid von Kuno warten musste, verminderten seinen Zorn nicht, nein, sie vermehrten ihn noch. Die Gören plärrten, Otti war im Wege, sie sparte nicht an spitzen Bemerkungen über solche faulen Schweine, die den ganzen Tag rumsitzen, nischt tun wie Zigaretten qualmen und der Frau die ganze Arbeit lassen.
Er hätte einen Zehn- oder Fünfzigmarkschein hervorziehen und dadurch Ottis Stinklaune in das schönste Mützenwetter verwandeln können, aber er wollte nicht. Er wollte nicht schon wieder Geld verschenken, eben erst hatte er zwei Mark für eine dusslige Nachricht verschenkt, auf die er auch von allein hätte kommen können. Eine Wut erfüllte ihn auf den Kuno-Dieter, der ihm solch ein kleines Aas auf den Hals geschickt, der sicher was verbockt hatte! Der Kuno-Dieter sollte, dazu war Barkhausen fest entschlossen, nun die Keile beziehen, um die der Kleine sich gedrückt hatte.
Dann klopfte es gegen die Tür, und statt des erwarteten Boten von Kuno-Dieter stand dort eine Zivilfigur, der man den ehemaligen Feldwebel noch deutlich genug ansah.
»Sind Sie der Barkhausen?«
»Ja,