Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
zahlen würde, wer garantiert mir denn dafür, dass die Wellensittiche nicht doch im Käfig bleiben?« Sie entschloss sich, da sie sah, wie er schon wieder den Kopf verwirrt kratzte, auch ganz schamlos zu werden: »Also, wer garantiert mir dafür, dass Sie nicht meine zweitausendeinhundert nehmen und gehen dann doch zu dem Escherich und nehmen auch noch seine tausend?«
»Aber ich garantiere Ihnen dafür, Frau Häberle! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf; ich bin ein einfacher, offener Mensch, und wenn ich was verspreche, dann halte ich das auch. Sie haben’s ja gesehen, ich bin gleich zu dem Enno gelaufen und habe ihn gewarnt, auf die Gefahr hin, dass er aus dem Laden einen Flitzer macht. Und dann ist das ganze Geschäft doch Essig.«
Frau Hete sah ihn mit einem schwachen Lächeln an. »Das ist ja alles schön und gut, Herr Barkhausen«, sagte sie dann. »Aber grade weil Sie ein so guter Freund von dem Enno sind, werden Sie verstehen, dass ich jede Sicherheit für ihn haben muss. Wenn ich das Geld überhaupt auftreiben kann.«
Barkhausen machte eine beschwichtigende Bewegung, die sagen sollte, dass es daran bei einer Frau, wie sie war, nie fehlen könnte.
»Nein, Herr Barkhausen«, fuhr Frau Hete fort, denn sie sah ja, für Ironie war er nicht empfänglich, sie musste schon ganz offen mit ihm reden, »wer steht mir denn dafür, dass Sie mein Geld jetzt nicht nehmen …«
Barkhausen wurde ganz aufgeregt bei dem Gedanken, er könne die schwindelnde, die nie gesehene Summe von zweitausend Mark jetzt gleich bekommen …
»… und vor der Tür steht ein Gestapoagent und nimmt den Enno fest? Da muss ich schon andere Garantien von Ihnen haben!«
»Es steht aber keiner vor der Tür, das schwöre ich Ihnen, Frau Häberle! Ich bin doch ein ehrlicher Mensch, wozu soll ich Sie denn belügen?! Ich komme direkt von Haus, da können Sie auch meine Otti danach fragen!«
Sie unterbrach den Aufgeregten: »Also überlegen Sie mal, was für eine Garantie Sie mir sonst noch geben können – außer Ihrem Wort?«
»Aber da gibt’s doch gar keine! Das ist doch so ’n Geschäft, das beruht ganz allein auf Vertrauen. Und Vertrauen werden Sie doch zu mir haben, Frau Häberle, jetzt, wo ich so offen mit Ihnen gesprochen habe?«
»Ja, das Vertrauen …«, antwortete Frau Häberle gedankenlos, und dann versanken sie beide in ein langes Schweigen, er einfach abwartend, was sie wohl beschließen würde, sie sich den Kopf zergrübelnd, wie sie wenigstens ein Minimum von Sicherheit erreichen könnte.
Im Laden wirtschaftete unterdes der Enno Kluge. Er bediente die nun schon reichlicher strömende Kundschaft rasch und nicht ungeschickt, sogar zu Witzchen verstieg er sich schon wieder. Der erste Schreck, den er bei Barkhausens Anblick empfunden, war schon wieder verflogen. Die Hete saß in der Stube und sprach mit Barkhausen, sie würde die Sache schon in Ordnung bringen. Aber dass sie die Sache in Ordnung brachte, das bewies, dass es ihr gar nicht ernst gewesen war mit der Drohung, ihn fortzuschicken. So war er nur erleichtert jetzt, und darum reichte es auch schon wieder zu Witzchen.
Hinten in der Stube brach Frau Häberle das lange Schweigen. Sie sagte entschlossen: »Also, Herr Barkhausen, ich habe mir das so überlegt. Ich will das Geschäft unter folgenden Bedingungen mit Ihnen abschließen …«
»Ja …? Sagen Sie doch!«, drängte gierig Barkhausen. Er sah seinen Lohn jetzt schon nahe.
»Ich gebe Ihnen zweitausend Mark, aber ich gebe sie Ihnen nicht hier. Ich gebe sie Ihnen in München.«
»In München?« Er glotzte dämlich. »Ich komm doch nie nach München! Was soll ich denn in München?«
»Wir gehen«, fuhr sie fort, »jetzt zusammen auf das Postamt, und ich zahle eine Postanweisung auf zweitausend Mark an Sie ein: hauptpostlagernd München. Und dann bringe ich Sie auf die Bahn, und Sie fahren mit dem nächsten Zug nach München weiter und holen sich dort das Geld. Auf dem Anhalter Bahnhof werde ich Ihnen noch zweihundert Mark für die Reise geben außer der Fahrkarte …«
»Nee!«, rief Barkhausen erbittert. »So was mache ich nicht! Auf so was lasse ich mich nicht ein! Nachher fahre ich runter nach München, und Sie haben sich Ihre Anweisung von der Post zurückgeholt!«
»Ich werde Ihnen bei der Abfahrt die Einzahlungsquittung geben, dann kann ich das nicht tun.«
»Und München?«, rief er wieder. »Wozu denn München? Wir sind doch ehrliche Menschen! Warum denn nicht hier, gleich jetzt hier im Laden, und es hat geschnappt! Nach München und zurück, da brauche ich doch mindestens zwei Tage und eine Nacht, und unterdes ist der Enno hier natürlich getürmt!«
»Aber, Herr Barkhausen, das hatten wir doch abgemacht, deswegen gebe ich Ihnen doch das Geld! Der Wellensittich sollte doch nicht in seinem Käfig bleiben. Ich meine, der Enno soll sich doch verstecken können, dafür zahle ich Ihnen doch die zweitausend Mark!«
Mürrisch sagte Barkhausen, der darauf nichts Rechtes zu entgegnen hatte: »Und hundert Mark Spesen kriege ich auch noch!«
»Die kriegen Sie auch noch. In bar. Auf dem Anhalter.«
Aber auch diese Zusage konnte Barkhausens Stimmung nicht verbessern. Er blieb mürrisch. »München, ich hab noch nie so ’n Quatsch gehört! Es wäre alles so schön einfach gewesen – und nun München! Ausgerechnet München! Warum sagen Sie nicht gleich London – da kann ich ja dann nach dem Kriege hinfahren! Und alles vermasselt! Es ginge so schön einfach, aber nee, es muss kompliziert sein! Und warum? Weil Sie kein Vertrauen zu Ihren Mitmenschen haben, weil Sie ein misstrauischer Mensch sind, Frau Häberle! Ich bin so ehrlich zu Ihnen gewesen …«
»Und ich bin ehrlich zu Ihnen! So mache ich dies Geschäft und anders nicht!«
»Na denn!«, sagte er. »Denn kann ich ja gehen.« Er stand auf, nahm seine Schiebermütze. Aber er ging nicht. »München kommt für mich gar nicht in Frage …«
»Es wird eine ganz interessante kleine Reise für Sie sein«, redete ihm Frau Häberle zu. »Die Fahrt ist hübsch, und in München soll es noch sehr gut zu essen und zu trinken geben. Sehr viel stärkeres Bier als hier bei uns, Herr Barkhausen!«
»Ich mach mir nichts aus Trinken«, sagte er wieder, aber nicht so sehr mürrisch wie gedankenvoll.
Frau Hete sah es ihm an, dass er seinen Kopf zergrübelte nach einem Ausweg, wie er das Geld nehmen und den Enno trotzdem ausliefern könnte. Sie prüfte nochmals ihren Vorschlag. Er schien ihr gut. Er schaffte den Barkhausen für mindestens zwei Tage aus dem Wege, und wenn das Haus wirklich nicht unter Bewachung stand (wovon sie sich schnell genug überzeugen würde), so war das Zeit genug, den Enno unterdes fortzuschaffen.
»Na ja«, sagte Barkhausen schließlich und sah sie an. »Sie tun’s nicht anders, Frau Häberle?«