Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
lebte, aber etwas anderes war es, ihr Handlangerdienste zu tun. Nein, so weit ging es auf der anderen Seite auch nicht, dass Enno Kluge gewarnt wurde, aber jedenfalls wurde er nicht verraten.
Übrigens vergaß der Kommissar Escherich nicht diesen unterlassenen Anruf. Er gab einer bestimmten Abteilung darüber Nachricht, worauf dort über den Kneipier eine Kartothekkarte angelegt wurde, auf der das Wort »Unzuverlässig« stand. Eines Tages, früher oder später, würde es der Kneipier schon zu spüren bekommen, was das hieß, bei der Gestapo für unzuverlässig zu gelten.
Von den beiden Herren verließ Barkhausen zuerst das Lokal. Er ging aber nicht weit, sondern baute sich hinter einer Litfasssäule auf, wo er in heiterer Ruhe den Abgang des Kleinen erwartete. Barkhausen war ein Beschatter, der sein Opfer so leicht nicht aus dem Auge verlor, und dieses Opfer schon gar nicht. Er brachte es sogar fertig, sich auf der U-Bahn in den gleichen Wagen mit ihm zu quetschen, und obwohl Barkhausen lang war, sah ihn Enno Kluge doch nicht.
Enno Kluge dachte nur an seinen Triumph mit Adebar, an das Geld, das endlich wieder einmal reichlich in seiner Tasche knisterte, und dann dachte er an Hete, bei der er es doch eigentlich sehr gut hatte. Mit Liebe und Rührung dachte er an die gute, ältliche Zerfließende, aber er dachte nicht daran, dass er sie vor ein paar Stunden belogen und bestohlen hatte.
Freilich, als er dann vor dem Laden ankam und sah, der Rollladen war hochgezogen, und sie wirkte schon wieder im Geschäft, und sie hatte ihm sein Weglaufen bestimmt übelgenommen, da sank seine gute Stimmung wieder. Aber mit dem Fatalismus, mit dem sich Leute seines Schlages auch in das Widrigste fügen, betrat er den Laden und ging seiner Abreibung entgegen. Dass er aber, mit solchen Gedanken beschäftigt, nicht grade sehr genau darauf achtete, wer ihm auf den Fersen saß, das kann niemanden wundernehmen.
Der Barkhausen hatte den Kluge im Laden verschwinden sehen. Er stand etwas ab in einem Torweg, denn er nahm natürlich an, Kluge wolle dort etwas kaufen und werde gleich wieder herauskommen. Aber die Kunden gingen und kamen, gingen und kamen, und Barkhausen wurde schon ganz nervös. Wenn er Kluges Herauskommen übersehen hatte – er hatte die fünfhundert Eier schon ganz sicher in seiner Tasche gefühlt, diesen Abend noch.
Nun ging laut der Rollladen herunter, und jetzt war es sicher: der Enno hatte sich irgendwie verdrückt. Vielleicht hatte er doch Witterung von seinem Beschatter gehabt, war unter irgendeinem Vorwand durch den Laden in das Haus gegangen und durch die Haustür wieder heraus. Barkhausen verfluchte sich ob seiner Dummheit, nicht auch die Haustür im Auge behalten zu haben. Immer hatte er nur auf die Ladentür geglotzt, Kamel, das er war!
Nun, es gab ja die Möglichkeit, Enno morgen oder übermorgen wieder in dem Lokal zu treffen. Jetzt, wo er durch Adebar so einen Reibach gemacht hatte, würde sein Wettfimmel ihm schon keine Ruhe lassen. Er würde jeden Tag kommen und so lange wetten, bis das Geld alle war. Ein Außenseiter wie Adebar lief nicht alle Wochen, und wenn er lief, hatte man nicht auf ihn gesetzt. Der Enno würde sein Geld schon rasch loswerden.
Der Barkhausen schob auf seinem Heimweg noch nahe an dem kleinen Tierladen vorbei. Da sah er plötzlich durch die Schaufensterscheibe (nur die Ladentür war durch den Rollladen versperrt), dass ein einsames Licht im Laden brannte, und wie er nun die Nase an der Scheibe plattdrückte und über die Aquarien durch die Vogelkäfige linste, da sah er, dass noch zwei Gestalten im Laden wirkten: ein aufgegangener Pudding von einer Alten im gefährlichsten Alter, wie er gleich richtig schätzte, und dazu sein Freund Enno. Enno in Hemdsärmeln und einer blauen Schürze, Enno, der fleißig Futternäpfe füllte, Wasser eingoss, einen Scotch putzte.
Was für einen Dusel solch ein Idiot wie der Enno doch hatte! Was die Weiber an dem nur sahen? Er, der Barkhausen, saß fest mit der Otti und fünf Blagen, und so ein oller Knacker, der kam daher und setzte sich gleich in eine ganze Tierhandlung, komplett mit Frau, Fischen und Vögeln.
Verächtlich spuckte Barkhausen aus. Was für eine saublöde Welt das war, die dem Barkhausen alles Gute vorenthielt, um es einem solchen Idioten in den Schoß zu werfen!
Aber je länger Barkhausen guckte, umso klarer wurde ihm, dass um das Paar da drinnen kein Liebeszauber blühte. Sondern sie redeten kaum miteinander, sie sahen sich fast nie an, und es war sehr möglich, dass der kleine Enno Kluge nichts darstellte als einen Arbeiter, der die Frau da drinnen beim Aufräumen des Ladens unterstützte. Dann musste er in absehbarer Zeit aus dem Haus herauskommen.
Barkhausen zog sich also von neuem auf seinen Beobachtungsposten im Torweg zurück. Da der Rollladen geschlossen war, würde Kluge aus der Haustür kommen, und so behielt Barkhausen die im Auge. Aber das Licht im Laden war erloschen, und Kluge war noch immer nicht gekommen. Da entschloss sich Barkhausen, viel zu wagen. Auf die Gefahr hin, den Enno im Treppenhaus zu treffen, schlich er sich in das Haus, das noch nicht abgeschlossen war. Es war aber solch Mietshaus mit zwei oder gar drei Höfen, das meist überhaupt nicht abgeschlossen wird, weil zu viel Parteien darin wohnen.
Barkhausen notierte zuerst den Namen »H. Häberle« in seinem Hirn und schlich dann auf den Hof hinaus. Und siehe, er hatte Glück, sie hatten noch nicht verdunkelt, trotzdem es jetzt schon nach acht Uhr war, und an einem schief hängenden Store vorbeiblickend, konnte Barkhausen die Stube bestens übersehen. Was er da aber sah, das überraschte ihn derart, dass er fast einen Schreck bekam.
Denn da kniete sein Freund Enno auf der Erde, kniend rutschte er hinter der dicken Frau her, die mit ängstlich angezogenen Röcken Schritt für Schritt vor ihm zurückwich. Ennochen aber hatte die Ärmchen erhoben, er schien zu weinen und Klagelaute auszustoßen.
Ihr lieben Leute!, dachte Barkhausen und trat auf seinem Beobachtungsposten vor Entzücken von einem Bein auf das andere, ihr lieben Leute, wenn ihr euch so Appetit auf die Nacht macht, dann proste Mahlzeit, dann seid ihr ja verdammt ulkige Kruken! Da will ich gerne hier die halbe Nacht stehen und euch zukieken.
Aber da schlug die Tür hinter der Alten zu, und der Enno stand an der Tür, bewegte die Klinke auf und ab und schien weiter zu flennen und zu beschwören.
Vielleicht war’s nicht nur so ’ne kleine Vorfeier für die Nacht, dachte Barkhausen. Vielleicht haben sie sich gestritten, oder Enno hat was von ihr haben wollen, was sie ihm nicht gibt, oder sie will überhaupt von dem verliebten alten Gockel nichts wissen … Was geht es mich an? Jedenfalls bleibt er hier zur Nacht, wozu wäre ihm sonst auf dem Sofa ein so schönes weißes Bettchen zurechtgemacht?
Der Enno Kluge stand grade vor dem Bettchen. Barkhausen konnte das Gesicht seines ehemaligen Kumpels ganz deutlich sehen. Es war zum Verwundern, wie es jetzt ausschaute. Eben noch Weinen und Wehklagen, und nun grinste