Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Der Enno aber war ihm für die­se Nacht erst ein­mal si­cher …

      Ei­gent­lich war mit dem Kom­missar Esche­rich ver­ein­bart wor­den, dass Bark­hau­sen ihn so­fort nach der Ent­de­ckung Enno Klu­ges an­ru­fen soll­te, ei­ner­lei ob Tag oder Nacht. Aber wie Bark­hau­sen da in der Nacht im­mer wei­ter vom Kö­nigs­tor fort­ging, wur­de im­mer zwei­fel­haf­ter, ob ein so­for­ti­ger An­ruf wirk­lich das Rich­ti­ge war, das für Bark­hau­sens Nut­zen rich­tig ist. Ihm war ein­ge­fal­len, dass es in die­ser Sa­che doch zwei Par­tei­en gab, dass er also ei­gent­lich von bei­den Nut­zen zie­hen konn­te.

      Das Geld von Esche­rich war ihm si­cher, warum soll­te er nicht ver­su­chen, auch aus Enno Klu­ge ein biss­chen Geld zu ma­chen? Da hat­te die­ser Bur­sche einen Fünf­zig­mark­schein in der Hand ge­habt, den er durch den Sieg Ade­bars auf über zwei­hun­dert Mark ver­mehrt hat­te – nun, warum soll­te nicht er, Bark­hau­sen, nicht auch die­ses Geld ha­ben? Dem Esche­rich ge­sch­ah kein Scha­den da­durch, der be­kam sei­nen Enno trotz­dem, und Enno ge­sch­ah auch kein Scha­den, denn die auf der Ge­sta­po nah­men ihm doch das Geld ab. Also?

      Und dann war da die­se di­cke Frau, hin­ter der Enno so ko­misch auf den Kni­en ge­rutscht war. Die­se fes­te Rübe hat­te si­cher Geld, viel­leicht so­gar eine gan­ze Men­ge. Das Ge­schäft sah gut aus, hat­te noch viel Ware, und an Kun­den schi­en es ihr auch nicht zu feh­len. Nein, die­se Flen­ne­rei und Rut­sche­rei Klu­ges sah nicht gra­de da­nach aus, dass die bei­den schon in al­len Din­gen ei­nig wa­ren, das nicht, zu­ge­ge­ben, aber wer lie­fert denn gra­de einen Lieb­ha­ber, und sei es auch ein ab­ge­wie­se­ner, der Ge­sta­po aus? Die Tat­sa­che, dass die Alte den Enno trotz der Ab­wei­sung noch bei sich dul­de­te, dass sie ihm ein Nacht­la­ger auf dem Sofa be­rei­tet hat­te, be­wies, dass ihr noch was an Enno lag. Und lag ihr noch was an dem al­ten Grau­kopf, so wür­de sie auch zah­len, viel­leicht nicht viel, aber doch et­was. Und die­ses Et­was woll­te Bark­hau­sen sich kei­nes­falls ent­ge­hen las­sen.

      Wenn Bark­hau­sen so weit mit sei­nen Ge­dan­ken ge­kom­men war – und er kam auf die­sem Heim­weg und in der Nacht, ne­ben sei­ner Otti lie­gend, noch mehr­fach so weit –, so fass­te ihn im­mer ein leich­ter Schreck, denn dann fiel ihm ein, dass er ein ziem­lich ge­fähr­li­ches Spiel vor­hat­te. Die­ser Esche­rich war be­stimmt kein Mann, der Ei­gen­mäch­tig­kei­ten dul­de­te, alle die­se Her­ren bei der Ge­sta­po wa­ren nicht so, und es war die ein­fachs­te Sa­che von der Welt für ihn, einen Mann ins KZ zu schi­cken. Vor dem KZ aber hat­te Bark­hau­sen eine ge­wal­ti­ge Angst.

      Im­mer­hin aber war er so weit von all den Ver­bre­cher­ge­dan­ken und ih­rer Moral an­ge­steckt, dass er sich hart­nä­ckig sag­te, ein Ding, das zu dre­hen war, müs­se auch ge­dreht wer­den, das ge­hör­te sich nun ein­mal so. Und die­ses Ding Enno ließ sich un­zwei­fel­haft dre­hen. Bark­hau­sen wür­de die gan­ze Sa­che erst noch ein­mal be­schla­fen, und wenn es dann Mor­gen war, wür­de er wis­sen, ob er gleich zu Esche­rich ging oder erst bei Klu­ge vor­schau­te. Jetzt woll­te er schla­fen …

      Aber er schlief nicht ein, son­dern er über­leg­te, dass ei­ner in die­ser Sa­che zu we­nig war. Er, Bark­hau­sen, muss­te ein we­nig Be­weg­lich­keit ha­ben. Er muss­te zum Bei­spiel rasch zu Esche­rich, und so lan­ge war der Enno Klu­ge ohne Be­wa­chung. Oder wenn er die Di­cke in die Zan­ge nahm, lief un­ter­des der Enno wo­mög­lich fort. Nein, ei­ner war zu we­nig. Aber es gab kei­nen Zwei­ten, dem er ver­trau­en konn­te, und au­ßer­dem wür­de die­ser Zwei­te sei­nen An­teil an dem Ge­schäft ver­lan­gen. Und für Tei­len war Bark­hau­sen gar nicht.

      Schließ­lich fiel Bark­hau­sen ein, dass un­ter sei­nen fünf Gö­ren doch auch ein Sohn von drei­zehn Jah­ren war, un­ter Um­stän­den so­gar sein Sohn. Er hat­te im­mer das Ge­fühl ge­habt, dass die­ser Ben­gel mit dem piek­fei­nen Na­men Kuno-Die­ter viel­leicht doch von ihm sein kön­ne, trotz­dem die Otti doch stets be­haup­tet hat­te, er sei von ei­nem Gra­fen, ei­nem Groß­grund­be­sit­zer aus Pom­mern. Aber Otti war im­mer eine An­ge­be­rin ge­we­sen, wie schon der Vor­na­me des Jun­gen – nach sei­nem an­geb­li­chen Va­ter – be­wies.

      Mit ei­nem schwe­ren Seuf­zer ent­schloss Bark­hau­sen sich, den Jun­gen als Re­ser­ve­auf­pas­ser mit­zu­neh­men. Das wür­de nicht mehr als ein biss­chen Krach mit der Otti und ein paar Mark für den Jun­gen kos­ten. Dann fin­gen Bark­hau­sens Ge­dan­ken von neu­em an, über al­le­dem zu krei­sen, wur­den lang­sam un­deut­li­cher, und schließ­lich war er doch ein­ge­schla­fen.

      29. Hübsche kleine Erpressung

      Es ist be­reits be­rich­tet wor­den, dass Frau Hete Hä­ber­le und Enno Klu­ge an die­sem Mor­gen fast ohne Wor­te mit­ein­an­der früh­stück­ten und im La­den ar­bei­te­ten, bei­de blass von ei­ner fast durch­wach­ten Nacht und stark mit ih­ren Ge­dan­ken be­schäf­tigt. Frau Hä­ber­le dach­te dar­an, dass Enno mor­gen un­be­dingt aus dem Hau­se müs­se, Enno, dass er sich kei­nes­falls fort­schi­cken las­sen wür­de.

      In die­se Stil­le trat als ers­ter Kun­de ein lan­ger Mann und sag­te zu Frau Hä­ber­le: »Hö­ren Se mal, Sie ha­ben da so ein paar Wel­len­sit­ti­che im Fens­ter. Was soll denn ein Paar von de­nen kos­ten? Es müss­te aber ein Pär­chen sein, ich bin im­mer für Pär­chen ge­we­sen …« Und Bark­hau­sen fuhr her­um, in ge­spiel­tem Er­stau­nen, in ab­sicht­lich schlecht ge­spiel­tem Er­stau­nen rief er den Klu­ge an, der sich eben sach­te in die Hin­ter­stu­be des La­dens ver­drücken woll­te: »Aber das bist du doch, Enno! Nanu, ich rede, ich kie­ke, ich den­ke, das kann doch nicht der Enno sein, was soll denn der Enno in so ’nem klei­nen Tier­zoo? Und nu bist du es doch, Kum­pel! Na, was machs­te denn noch so, Kum­pel?«

      Enno war, die Klin­ke in der Hand, wie ge­bannt auf sei­nem Platz ste­hen ge­blie­ben, gleich un­fä­hig, fort­zu­lau­fen und zu ant­wor­ten.

      Frau Hete aber starr­te den lan­gen Mann, der so freund­lich auf Enno ein­re­de­te, mit großen Au­gen an, ihre Lip­pen fin­gen an zu zit­tern, und die Knie wur­den ihr weich. Da war sie also doch, die Ge­fahr, al­les war also nicht ge­lo­gen, was Enno er­zählt hat­te von sei­ner Be­dräng­nis durch die Ge­sta­po. Denn dass die­ser Mann mit dem eben­so fei­gen wie bru­ta­len Ge­sicht ein Spit­zel der Ge­sta­po war, dar­an zwei­fel­te sie kei­nen Au­gen­blick.

      Aber als nun die­se Ge­fahr wirk­lich ge­wor­den war, da zit­ter­te nur der Kör­per von Frau Hete. Ihr Geist war ru­hig, und die­ser Geist sag­te ihr: Jetzt, in die­ser Ge­fahr, kannst du den Enno un­mög­lich im Stich las­sen, er mag sein, wie er will.

      Und Frau Hete sag­te zu die­sem Mann mit dem ste­chen­den Blick, der im­mer wie­der ab­irr­te, sie sag­te zu die­sem Mann, der wie ein rich­ti­ger Acht­gro­schen­jun­ge aus­sah: »Vi­el­leicht trin­ken Sie eine Tas­se Kaf­fee mit uns, Herr – wie ist doch Ihr Name?«

      »Bark­hau­sen. Emil Bark­hau­sen«, stell­te der Spit­zel sich vor. »Bin ein al­ter Freund von dem Enno, Sports­freund. Was sa­gen Sie nun, Frau Hä­ber­le, zu dem groß­ar­ti­gen Coup, den er ges­tern auf Ade­bar ge­lan­det hat? Wir ha­ben uns in der Sport­knei­pe ge­trof­fen – hat er es Ih­nen nicht ge­sagt?«

      Frau Hete warf einen ra­schen Blick auf Enno. Da stand er noch im­mer, die Hand auf der Klin­ke, ge­nau wie ihn die ver­trau­li­che An­spra­che Bark­hau­sens über­rascht hat­te. Ein Bild hilflo­ser Angst. Nein, er hat­te ihr nichts von die­sem Tref­fen mit dem al­ten Be­kann­ten ge­sagt, er hat­te so­gar be­haup­tet, er hät­te nie­man­den Be­kann­tes ge­se­hen. Er hat­te sie also wie­der mal


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