Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Weibergeschichten ist mir bei meinem nichts bekannt. Wo ich den gesehen habe, da verkehren keine Weiber.«
»Kleiner Pferdewetter –«
»Stimmt, Herr Kommissar.«
»Lokale: ›Ferner liefen‹ und ›Vor dem Start‹?«
»Derselbe, Herr Kommissar. Ihr Enno Kluge, das ist mein Enno!«
»Den müssen Sie mir finden, Barkhausen! Hängen Sie den ganzen blöden Persicke-Rummel an den Nagel, der trägt Ihnen bloß noch KZ ein! Kriegen Sie mir lieber raus, wo der Enno Kluge steckt!«
»Aber das ist doch kein Fisch für Sie, Herr Kommissar!«, rief Barkhausen abwehrend. »Das ist doch ein ganz kleiner Pinkel! Ein reiner Nebbich ist das! Was wollen Sie denn mit solchem Idioten, Herr Kommissar?«
»Das lassen Sie nur meine Sache sein, Barkhausen! Wenn ich durch Sie den Enno Kluge kriege, sollen Sie fünfhundert Mark verdient haben!«
»Fünfhundert Mark, Herr Kommissar? Fünfhundert Mark sind zehn von meinen Ennos noch nicht wert! Da muss ein Irrtum vorliegen.«
»Vielleicht liegt da sogar wirklich ein Irrtum vor, aber das geht Sie nichts an, Barkhausen. Sie kriegen Ihre fünfhundert Eier – so und so!«
»Na denn! Wenn Sie’s sagen, Herr Kommissar, dann will ich mal sehen, dass ich den Enno fasse. Aber ich zeige Ihnen den Mann bloß, ich bringe ihn nicht her. Mit so einem rede ich ja gar nicht …«
»Was habt ihr beide denn miteinander gehabt? Sonst bist du doch nicht so empfindlich, Barkhausen! Sicher habt ihr irgendeinen Mist zusammen vergraben. Aber ich will nicht in eure zarten Geheimnisse dringen, schwimm ab, Barkhausen, und stell mir den Kluge!«
»Ich möchte noch um einen kleinen Vorschuss gebeten haben, Herr Kommissar. Nein, um keinen Vorschuss«, verbesserte er sich, »sondern um Geld für meine Spesen.«
»Was hast du denn für Spesen, Barkhausen? Das würde mich doch interessieren.«
»Ich muss doch mit der Bahn fahren, in allen möglichen Kneipen muss ich rumstehen, hier eine Molle, da eine Runde ausgeben, das läuft doch ins Geld, Herr Kommissar! Aber ich denke, fünfzig Mark werden genügen.«
»Ja, wenn der großmächtige Barkhausen ausgeht, da warten alle schon, dass er was ausgibt! Na, ich will dir zehn Mark geben, und nun hau wirklich ab. Glaubst du, ich habe nichts anderes zu tun, als mit dir rumzuquatschen?«
Barkhausen war tatsächlich der Ansicht, dass so ein Kommissar nichts anderes zu tun hatte, als den Leuten die Würmer aus der Nase zu ziehen und andere für sich arbeiten zu lassen. Aber er hütete sich wohl, das auszusprechen. Er ging nun wirklich zur Tür, wobei er sagte: »Aber wenn ich Ihnen den Kluge schaffe, müssen Sie mir auch bei den Persickes helfen. Die Brüder haben mich zu sehr in Rage gebracht …«
Mit einem Satz war Escherich hinter ihm drein, packte ihn an der Schulter und hielt ihm die Faust unter die Nase.
»Siehst du die?«, schrie er wütend. »Willste mal riechen an der Knospe, du dämlicher Hund? Noch ein Wort von den Persickes, und ich schicke dich in den Bunker, und wenn auch alle Enno Kluges von der Welt frei rumlaufen!«
Damit gab er dem Überraschten einen Stoß mit dem Knie in den Hintern, dass er wie eine Kanonenkugel in den Gang schoss. Er war aber grade auf eine SS-Ordonnanz abgeschossen, die ihm einen weiteren kräftigen Tritt versetzte …
Der Lärm, den diese zwei Abschüsse verursachten, hatte zwei SS-Posten am Treppenpodest aufmerken lassen. Sie nahmen den noch taumelnden Barkhausen in Empfang und warfen ihn die Treppe hinab, genau wie einen Kartoffelsack, drunter und drüber, ganz egal, wie’s grade kam.
Und als Barkhausen unten ächzend und ein wenig blutend liegen blieb, aber nur wenig, noch ganz betäubt von dem Sturz, fasste ihn der nächste Posten beim Kragen, schrie: »Willst du Schwein uns hier den schönen Fußboden vollsauen?«, schleppte ihn zum Ausgang und warf ihn auf die Straße.
Der Kommissar Escherich hatte den Anfang dieses Sturzes, bis die Treppe ihn seinen Blicken entzog, mit Behagen angesehen.
Die Vorübergehenden auf der Prinz-Albrecht-Straße vermieden es ängstlich, den im Dreck liegenden Unglücklichen anzusehen, denn sie wussten es ja, aus welchem gefährlichen Hause er hinausgeworfen war. Es war vielleicht schon ein Verbrechen, solchen Verunglückten mitleidig anzusehen, helfen durfte man ihm schon gar nicht. Der Posten aber, der mit schweren Schritten jetzt wieder am Ausgang auftauchte, sagte: »Wenn du Schwein in drei Minuten noch unsere Fassade schändest, dann mache ich dir Beine, und das nicht zu knapp!«
Das half. Barkhausen raffte sich auf und taumelte mit schweren, schmerzenden Gliedern nach Hause. Innerlich aber brannte er mal wieder vor hilflosem Hass und Zorn, und dieser Hass brannte ihn stärker, als seine Verletzungen weh taten. Er war fest entschlossen, für diesen Schurken von Kommissar keine Hand zu rühren, der sollte sich seinen Enno Kluge allein suchen!
Aber am nächsten Tage, als der Zorn etwas gelinder geworden war und die Stimme der Vernunft wieder zu sprechen anfing, sagte er sich, dass er erstens vom Kommissar Escherich zehn Mark bekommen hatte, und für die musste er arbeiten, sonst bekam er unweigerlich eine Betrugsanzeige. Und zweitens war es überhaupt nicht gut, es mit so hohen Herren ganz zu verderben. Die hatten nun mal die Macht, und wer klein war, der musste sich fügen. Das mit dem Rausschmiss gestern, das hatte sich schließlich ganz von selbst ergeben. Wäre er nicht gegen die Ordonnanz geprallt, wäre es ganz gelinde abgegangen. Sie sahen es wohl als einen Witz an, und wenn Barkhausen gesehen hätte, dass man einen anderen so behandelt, hätte er auch herzlich gelacht, zum Beispiel über einen gleicherweise abgefeuerten Enno Kluge.
Ja, das war der dritte Grund, warum Barkhausen den Auftrag doch lieber ausführte: er konnte damit dem Enno Kluge eins auswischen, der ihm durch seine blöde Sauferei das ganze schöne Geschäft vermasselt hatte.
So begab sich Barkhausen also, wenn auch mit schmerzenden Knochen, so doch guten Willens voll, in jene beiden Lokale, die auch der Kommissar Escherich aufgesucht hatte, und in einige weitere noch. Er fragte nicht nach Enno bei den Wirten, er stand nur da und lümmelte sich, er trank langsam, über eine Stunde, an einer Molle, redete auch ein bisschen von Pferden, über die er durch das ewige Zuhören sogar etwas wusste (war aber gänzlich von jeder Wettleidenschaft frei) – und ging dann in das nächste Lokal, um es dort genauso zu machen. Er hatte Geduld, der Barkhausen, er konnte es so ganze Tage treiben, ihm kam es nicht darauf an.
Aber er brauchte gar nicht viel Geduld zu haben, denn schon am zweiten Tag sah er den Enno im Lokal »Ferner liefen«. Er erlebte den Adebar-Triumph des Schmächtigen und empfand einen heftigen Neid wegen des Massels,