Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
war Frau Hete auch über das Zittern des Körpers hinaus. Sondern sie dachte nur daran, wie es damals mit ihrem Walter gegangen war, und diese Erinnerungen gaben ihr Kraft. Sie wusste, diesen Leuten gegenüber half kein Zittern, Klagen, Anrufen des Mitleids, sie hatten kein Herz, diese Henkerslieferanten von Hitler und Himmler. Sondern wenn eines half, so war es Mut, Nichtfeigesein, Nieangsthaben. Die glaubten, alle Deutschen seien feige, wie es jetzt der Enno war; aber sie war es nicht, Frau Hete, verwitwete Häberle, war es nicht.
Sie erreichte durch ihr ruhiges Auftreten auch, dass die beiden Männer sich ihr widerspruchslos fügten. Im Abgehen zur Stube sagte sie noch: »Und keine Dummheiten, Enno! Kein sinnloses Fortlaufen! Denke daran, dein Mantel hängt in der Stube, und Geld wirst du auch kaum in der Tasche haben.«
»Sie sind ’ne kluge Frau«, sagte Barkhausen, indem er sich an den Tisch niedersetzte und zusah, wie sie ihm eine Kaffeetasse hinstellte. »Und energisch sind Sie auch, hätte ich gar nicht gedacht, wie ich Sie gestern Abend zum ersten Mal sah.«
Ihre Blicke begegneten sich.
»Na ja«, setzte dann Barkhausen schnell hinzu, »eigentlich waren Sie gestern Abend auch energisch, wie er da auf den Knien vor Ihnen rumrutschte, und Sie schlossen ihm die Tür vor der Nase ab. Sie werden sie ja wohl über Nacht nicht wieder aufgeschlossen haben – oder?«
Ein wenig Rot war bei dieser schamlosen Anspielung in Frau Hetes Wangen gestiegen, die beschämende, die ekelhafte Szene von gestern Abend hatte also sogar einen Zeugen gehabt, und solch widerlichen dazu! Aber sie fasste sich rasch und sagte: »Ich nehme an, Sie sind auch ein kluger Mann, Herr Barkhausen, wir wollen doch jetzt gar nicht von Nebensachen reden, sondern nur vom Geschäft. Ich nehme an, es kann ein Geschäft werden?«
»Vielleicht, vielleicht sicher …«, beeilte sich Barkhausen zu versichern, unwillkürlich eingeschüchtert von dem Tempo, das diese Frau vorlegte.
»Sie wollen also«, fuhr Frau Hete fort, »ein Paar Wellensittiche kaufen. Ich nehme an, um sie dann fliegen zu lassen. Denn wenn sie weiter im Käfig bleiben, haben die Sittiche doch nichts davon …«
Barkhausen kratzte sich den Kopf. »Frau Häberle«, sagte er dann, »das mit den Sittichen, das wird mir zu kompliziert. Ich bin bloß ein einfacher Mensch, wahrscheinlich sind Sie viel schlauer als ich. Hoffentlich legen Sie mich nicht rein.«
»Und Sie mich nicht!«
»Keine Ahnung! Ich will ganz offen mit Ihnen reden, nichts von Sittichen und so. Ich sage Ihnen alles, wie es ist, die ganze Wahrheit. Ich habe nämlich von der Gestapo den Auftrag, von dem Kommissar Escherich habe ich ihn, wenn der Ihnen ein Begriff ist?« Frau Hete schüttelte den Kopf. »Also ich hab den Auftrag, zu ermitteln, wo der Enno steckt. Weiter nichts. Warum und wieso, davon habe ich keine Ahnung. Ich will Ihnen was sagen, Frau Häberle, ich bin ein ganz einfacher, offener Mensch …«
Er neigte sich zu ihr hinüber; sie sah ihm in die Augen, die stechend waren. Sein Blick irrte ab, der Blick des einfachen, offenen Menschen.
»Ich hab mich eigentlich über den Auftrag gewundert, Frau Häberle, das will ich Ihnen ehrlich sagen. Denn wir beide wissen doch, was der Enno für ein Mensch ist, nämlich ein Garnichts, nur mit ein bisschen Rennwetten und Weibergeschichten im Kopf. Und nach diesem Enno jagt jetzt die Gestapo, und sogar noch die Politische Abteilung, wo alles Hochverrat und Kohlrübe-ab wird. Ich versteh das nicht – verstehen Sie das?« Er sah sie erwartungsvoll an. Wieder begegneten sich ihre Blicke, und wieder geschah es wie vorhin: er konnte sie nicht ansehen.
»Erzählen Sie ruhig weiter, Herr Barkhausen«, fuhr sie fort. »Ich hör zu …«
»Kluge Frau!«, nickte Barkhausen. »Verdammt kluge Frau und energisch. Das gestern Abend mit der Knierutscherei …«
»Wir wollten nur vom Geschäft reden, Herr Barkhausen!«
»Na gewiss doch! Ich bin nämlich ein braver, richtig offener deutscher Mensch, und da werden Sie sich vielleicht wundern, dass ich bei der Gestapo bin. Das denken Sie vielleicht. Nee, Frau Häberle, ich bin nicht bei der Gestapo, ich arbeite nur manchmal für sie. Der Mensch will leben, nicht wahr, und ich habe fünf Gören zu Haus, der Älteste grade erst dreizehn. Alle muss ich sie ernähren …«
»Das Geschäft, Herr Barkhausen!«
»Nee, Frau Häberle, ich bin nicht bei der Gestapo, ich bin ein ehrlicher Mensch. Und wie ich das da hörte, dass die meinen Freund Enno suchen und sogar hohe Belohnungen auf ihn aussetzen, und ich kenne doch den Enno von früher und bin sein richtiger Freund, wenn wir uns auch mal gestritten haben – da habe ich also gedacht, Frau Häberle: Kieke da, den Enno suchen sie! Den kleinen Garnichts. Wenn ich ihn nur fände, hab ich gedacht, verstehen Sie, Frau Häberle, dann könnte ich ihm vielleicht einen Wink geben, dass er abhaut, solange es noch Zeit ist. Und ich hab zu dem Kommissar Escherich gesagt: ›Wegen dem Enno machen Sie sich man keine Mühe, den schaff ich Ihnen, weil er nämlich ein alter Freund von mir ist.‹ Und da habe ich denn den Auftrag gekriegt und mein Spesengeld, und nun sitze ich hier bei Ihnen, Frau Häberle, und der Enno wirtschaftet im Laden, und es ist alles eigentlich in bester Butter …«
Eine Weile schwiegen beide, Barkhausen abwartend, Frau Häberle nachdenklich.
Dann sagte sie: »Die Gestapo hat also noch keine Nachricht von Ihnen bekommen?«
»I wo, mit denen habe ich es doch nicht eilig, mir das ganze Geschäft zu vermasseln!« Er verbesserte sich: »Erst wollte ich meinem alten Freund Enno doch mal einen Wink geben …«
Und wieder schwiegen sie. Und wieder fragte Frau Hete schließlich: »Und was hat Ihnen denn die Gestapo für eine Belohnung versprochen?«
»Tausend Mark! Ist ’ne Masse Geld für so einen Garnichts, gebe ich zu, Frau Häberle, ich war selbst ganz verblüfft. Aber der Kommissar Escherich hat zu mir gesagt: ›Bringen Sie mir mal den Kluge, und ich zahle Ihnen tausend Mark.‹ Das hat der Escherich gesagt. Und hundert Mark Spesen hat er mir auch bewilligt, die habe ich schon gekriegt, die kämen zu den tausend Mark Belohnung noch dazu.«
Sie saßen lange nachdenklich da.
Dann fing Frau Hete wieder an: »Ich habe das vorhin mit den Wellensittichen nicht ohne Absicht gesagt, Herr Barkhausen. Denn wenn ich Ihnen nun tausend Mark zahle …«
»Zweitausend Mark, Frau Häberle, unter Freunden immer zweitausend Mark. Und dann kämen noch die hundert Mark Spesen dazu …«
»Nun also, selbst wenn ich Ihnen das zahlen würde, und Sie wissen doch, der Herr Kluge hat kein Geld, und mich bindet an ihn nichts …«
»Na, Frau Häberle, na! Sie, ’ne hochanständige Frau! Sie werden doch Ihren Freund, der auf den Knien