Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
jebn Se ma den Zwanzijer her, ick wer holn …«
»Und det Wiederkomm vajessn! Nee, ick jeh mit dir. Augenblick mal, Frau Häberle!«
Damit waren die beiden in einem Hause verschwunden. Nach einer Weile war dann Barkhausen allein zurückgekommen und hatte Frau Hete die zwanzig Mark ohne alle Aufforderung zurückgegeben.
»Die hatten keine. Der Rotzjunge hat mich natürlich bloß um die zwanzig Mark beschummeln wollen. Ich hab ihm aber eine geschallert, der liegt noch auf dem Hof!«
Sie waren weitergegangen, zur Post, zum Reisebüro.
»Na, und was findest du da Komisches bei, Hete? Der Barkhausen ist da wie ich: Wenn es den roochert, der ist imstande und quatscht ’nen General auf der Straße an und bittet ihn um die Kippe!«
»Aber er hat hinterher nicht ein Wort mehr von Zigaretten gesagt, trotzdem er doch keine gekriegt hat! Ich finde das komisch. Ob er doch was mit dem Jungen vorgehabt hat?«
»Was soll er denn mit dem Jungen vorgehabt haben, Hete? Dem hat er eine geschallert, das wird schon stimmen.«
»Ob der Bengel vielleicht unser Aufpasser ist?«
Einen Augenblick stutzte selbst Enno Kluge. Aber dann sagte er mit seinem gewohnten Leichtsinn: »Was du dir alles wieder einbildest! Deine Sorgen möchte ich wirklich haben!«
Sie schwieg. Aber die Unruhe saß weiter in ihr, und so bestand sie auch darauf, dass sie jetzt nur kurz in den Laden gingen, um seine Sachen zu holen. Dann wollte sie ihn mit aller erdenklichen Vorsicht bei einer Freundin unterbringen.
Ihm passte das gar nicht. Er fühlte: sie wollte sich von ihm lösen. Und er wollte nicht gehen. Bei ihr war Sicherheit und gutes Essen und nicht mehr Arbeit, als ihm behagte. Und Liebe und Wärme und Trösten. Und dann: sie war so ein gutes Wollschaf, der Barkhausen hatte sie eben um zweitausendfünfhundert geschoren, nun war er dran!
»Deine Freundin!«, sagte er unzufrieden. »Was ist denn das für eine Frau? Ich gehe nicht gern bei fremde Leute.«
Hete hätte ihm sagen können, dass diese Freundin eine alte Mitarbeiterin ihres Mannes war, dass sie jetzt noch in aller Stille weiterwirkte und dass jeder Verfolgte bei ihr Zuflucht fand. Aber sie misstraute jetzt Enno, ein paarmal hatte sie ihn schon feige gesehen, er musste nicht zu viel wissen.
»Meine Freundin?«, sagte sie darum. »Das ist eine Frau wie ich. In meinen Jahren. Vielleicht ein paar Jahre jünger.«
»Und was tut sie? Wovon lebt sie?«, forschte er weiter.
»Weiß ich nicht genau, ist wohl irgendwo Sekretärin. Übrigens ist sie unverheiratet.«
»In deinen Jahren, wenn sie das ist, dann wird’s aber langsam Zeit«, sagte er spöttisch.
Sie zuckte zusammen, antwortete aber nicht.
»Nee, Hete«, sagte er und gab seiner Stimme einen zärtlichen Ton. »Was soll ich denn bei deiner Freundin? Wir beide allein, das ist doch das Schönste. Lass mich bei dir bleiben – der Barkhausen kommt ja erst übermorgen –, wenigstens bis übermorgen!«
»Nein, Enno!«, sagte sie. »Ich möchte jetzt, dass du das tust, was ich dir sage. Ich gehe allein in die Wohnung und packe. Du kannst unterdessen in einer Wirtschaft warten. Dann fahren wir gemeinsam zu meiner Freundin.«
Er hatte noch viele Widerworte, aber schließlich fügte er sich. Er fügte sich, als sie – nicht ohne Berechnung – sagte: »Du wirst auch Geld brauchen. Ich lege dir Geld obenauf in deinen Koffer, genug, dass du für die erste Zeit aus der Not bist.«
Als sie das gesagt hatte, da fügte er sich. Die Aussicht, bald Geld in seinem Koffer zu finden (und sie konnte ihm doch unmöglich weniger geben, als sie dem Barkhausen gegeben hatte!), diese Aussicht lockte ihn, bestimmte ihn. Blieb er bis übermorgen bei ihr, gab es erst übermorgen Geld. Er aber wollte sofort wissen, wie viel sie ihm zugedacht hatte.
Sie sah mit Kummer, was ihn zum Einlenken bestimmte. Er sorgte selbst dafür, dass der letzte Rest von Achtung und Liebe in ihr zerstört wurde. Aber sie fand sich darein ohne Murren. Sie wusste es längst aus ihrem Leben, dass man für alles bezahlen musste, und für das meiste mehr, als es wert war. Die Hauptsache blieb, dass er ihr jetzt den Willen tat.
Als Frau Hete Häberle sich ihrer Wohnung näherte, sah sie wieder den blonden, blauäugigen Jungen von vorhin mit einer Rotte anderer auf der Straße toben. Sie schreckte zusammen. Dann winkte sie ihn zu sich heran: »Was machst du denn hier immer noch?«, fragte sie. »Musst du denn ausgerechnet hier rumtoben?«
»Ick wohn hier doch!«, sagte er. »Wo soll ick denn sonst toben?«
Sie spähte nach den Spuren von einem Schlag in seinem Gesicht, aber sie konnte nichts sehen. Sichtlich hatte der Bengel sie nicht wiedererkannt, bei seinem Gespräch mit Barkhausen hatte er sie wohl gar nicht beachtet. Das würde gegen Spitzelei sprechen.
»Hier wohnst du?«, fragte sie. »Ich hab dich doch noch nie hier auf der Straße gesehen.«
»Kann ick for Ihre Oogen?!«, fragte er frech. Er pfiff durchdringend den Ludenpfiff auf einem Finger. Er schrie an dem Hause hoch: »Mutta, kick mal aus’t Fenster! Da is ’ne Frau, die will nich gloobn, dette schielst! Mutta, schiel ihr mal watt!«
Lachend lief Frau Hete in ihren Laden, jetzt auch völlig überzeugt, dass sie, was diesen Jungen anlangte, Gespenster gesehen hatte.
Aber beim Packen wurde sie wieder ernst. Ihr kamen Bedenken, ob sie auch recht daran tat, den Enno zu ihrer Freundin Anna Schönlein zu bringen. Gewiss, die Änne riskierte alle Tage ihr Leben für jeden Unbekannten, dem sie Obdach gewährte. Aber der Frau Hete war es, als schmuggle sie der Änne doch mit Enno Kluge ein rechtes Kuckucksei ein. Zwar schien der Enno wirklich ein politischer, kein gewöhnlicher Verbrecher, das hatte jetzt sogar der Barkhausen bestätigt, aber …
Er war so leichtsinnig, nicht so sehr aus Unbedachtheit, sondern aus einer völligen Gleichgültigkeit gegen das Schicksal seiner Mitmenschen heraus. Es kam ihm gar nicht darauf an, was mit ihnen geschah. Er dachte immer nur an sich, und er war imstande, jeden Tag zweimal zu ihr, zur Hete, zu laufen, unter dem Vorgeben, er sehne sich nach ihr, und zog so alle Gefahr auf Ännes Kopf. Sie, die Hete, hatte Autorität über ihn, die Änne aber nicht.
Mit einem schweren Seufzer tut Frau Hete Häberle dreihundert Mark in einen Umschlag, den sie oben in den Koffer legt. Heute hat sie mehr Geld ausgegeben, als sie in zwei Jahren gespart hat. Aber sie wird noch ein weiteres Opfer bringen, sie wird dem Enno für jeden Tag, an dem er die Wohnung der Freundin überhaupt nicht verlässt, hundert Mark versprechen. Er ist ja leider so, dass sie ihm einen solchen Vorschlag machen kann. Er wird nicht gekränkt