Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
war sie noch immer nicht zufrieden. Sie war ganz überzeugt, er plante eine neue Gemeinheit. Sie musste rauskriegen, welche …
»Ja, wir gehen gleich«, sagte sie noch einmal. »Das heißt: erst muss ich mich ein bisschen zurechtmachen und den Laden schließen.«
Er sagte rasch: »Wozu wollen Sie denn den Laden zumachen, Frau Häberle? Der Enno ist doch hier!«
»Der Enno geht mit uns«, sagte sie.
»Wozu denn das nu wieder? Der Enno hat doch mit dem ganzen Geschäft nichts zu tun!«
»Weil ich es so haben will. Es könnte sonst nämlich sein«, setzte sie hinzu, »dass der Enno grade in dem Augenblick verhaftet wird, wenn ich das Geld an Sie einzahle. Solche Versehen können vorkommen, Herr Barkhausen.«
»Aber wer soll ihn denn verhaften?«
»Na, zum Beispiel der Spitzel vor der Tür …«
»Ist ja gar kein Spitzel vor der Tür!« Sie lächelte. »Sie können sich überzeugen, Frau Häberle. Gehen Sie doch rum, sehen Sie sich alle Leute an. Ich habe keinen Spitzel vor der Tür! Ich bin ein ehrlicher Mensch …«
Sie sagte beharrlich: »Ich will den Enno bei mir haben. Es ist schon sicherer.«
»Sie sind hartmäulig wie ein oller Maulesel!«, entfuhr es ihm wütend. »Na, also schön, soll der Enno auch mitgehn. Aber nun machen Sie auch ein bisschen fix!«
»So große Eile haben wir nicht«, sagte sie. »Der Münchner Zug geht erst um zwölf herum. Wir haben alle Zeit. Und nun entschuldigen Sie mich für eine Viertelstunde, ich möchte mich ein bisschen zurechtmachen.« Sie sah ihn, wie er da am Tisch saß, immer das Auge aufmerksam auf die Glasscheibe gerichtet, durch die er den Laden beobachten konnte, prüfend an. »Und eine Bitte noch, Herr Barkhausen. Reden Sie jetzt nicht mit dem Enno, er hat reichlich im Laden zu tun, und überhaupt …«
»Was ich mit dem Idioten wohl reden soll!«, sagte Barkhausen ärgerlich. »Mit so ’nem Quatschkopp rede ich doch überhaupt kein Wort!«
Aber er setzte sich gehorsam anders, sodass er jetzt ihre Stubentür und das Hoffenster vor Augen hatte.
30. Ennos Austreibung
Zwei Stunden später war alles ausgestanden. Der Münchner Schnellzug war mit Barkhausen in einem Abteil zweiter Klasse aus der Halle des Anhalter Bahnhofs gerollt, mit einem lächerlich angeberischen, geschwollenen Barkhausen, der zum ersten Male in seinem Leben ein Abteil zweiter Klasse benutzte. Ja, Frau Häberle, die auch großspurig sein konnte, hatte diesem kleinen Spitzel auf seine Bitte hin im Zuge noch eine Zuschlagkarte Zweiter gelöst, um ihn bei guter Laune zu halten, oder auch, weil sie selbst froh war, diesen Kerl für mindestens zwei Tage los zu sein.
Nun, als sich die anderen Reisebegleiter langsam durch die Sperre drängten, sagte sie leise zu Enno: »Warte einmal, Enno, wir setzen uns einen Augenblick da in den Wartesaal und überlegen, was nun zu tun ist.«
Sie setzten sich so, dass sie die Eingangstür im Auge hatten. Der Wartesaal war nur mäßig besetzt, nach ihnen kam eine lange Zeit keiner mehr herein.
Frau Hete fragte: »Hast du darauf geachtet, Enno, was ich dir gesagt habe? Glaubst du, dass wir beobachtet worden sind?«
Und Enno Kluge mit seinem gewohnten Leichtsinn, kaum war die dringendste Gefahr vorüber: »I wo! Beobachtet? Glaubst du, jemand lässt sich von so ’nem Idioten, wie es Barkhausen ist, schicken? So blau! So dusslig ist keiner!«
Sie hatte es auf der Zunge, ihm zu sagen, dass sie diesen Barkhausen mit seiner argwöhnischen Gerissenheit für erheblich intelligenter hielt als den kleinen, feigen, leichtsinnigen Mann an ihrer Seite. Aber sie sagte es nicht. Sie hatte es sich heute früh beim Umkleiden zugeschworen, dass es mit allen Vorwürfen vorbei sein sollte. Ihre Aufgabe war nur noch, diesen Enno Kluge in Sicherheit zu bringen. War diese Aufgabe erfüllt, wollte sie ihn nie wieder sehen.
Er sagte aus dem immer wieder gleichen Gedanken heraus, der ihn seit einer Stunde quälte, er sagte voll Neid: »Wenn ich du wäre, ich hätte diesem Kerl nie zweitausendeinhundert Mark bezahlt. Und dann noch zweihundertfünfzig Mark Reisespesen. Und dann noch Fahrkarte und Zuschlagkarte. Du hast dem Kerl über zweitausendfünfhundert gegeben, so ’nem Schwein! Ich hätt’s nie getan!«
Sie fragte: »Und was wäre aus dir geworden, wenn ich’s nicht getan hätte?«
»Hättest du mir zweitausendfünfhundert gegeben, du hättest sehen sollen, wie fein ich das Ding gedreht hätte! Das kannst du glauben, der Barkhausen wäre auch mit fünfhundert zufrieden gewesen!«
»Tausend hat ihm ja schon die Gestapo versprochen!«
»Tausend – da muss ich doch lachen! Als wenn die auf der Gestapo mit den Tausendern nur so schmissen! Und dann noch an so einen kleinen Spitzel, wie es der Barkhausen ist! Dem brauchen sie doch nur zu befehlen – und er muss tun, was sie wollen, für fünf Mark Tagegeld! Tausend, zweitausendfünfhundert – der hat dich aber bildschön gerupft, Hete!«
Er lachte spöttisch.
Seine Undankbarkeit verletzte sie. Aber sie hatte keine Lust, sich mit ihm auf Erörterungen einzulassen. Sie sagte nur etwas scharf: »Ich will davon nicht mehr reden! Verstehst du, ich will nicht!« Sie sah ihn so lange fest an, bis seine blassen Augen sich senkten. »Wir wollen jetzt lieber überlegen, was wir nun mit dir tun.«
»Ach, das hat doch noch Zeit«, sagte er. »Vor übermorgen kann er nicht zurück sein. Wir gehen jetzt zum Geschäft zurück, bis übermorgen fällt uns schon was ein.«
»Ich weiß nicht, ich möchte dich eigentlich nicht wieder ins Geschäft mitnehmen, oder höchstens, um deine Sachen zu packen. Ich bin so unruhig – vielleicht sind wir doch bespitzelt worden?«
»Aber ich sage dir doch, wir sind’s nicht! Ich versteh mehr von so was als du! Und der Barkhausen kann sich auch nie einen Spitzel halten, der hat ja nie Geld!«
»Aber die Gestapo kann ihm einen stellen!«
»Und der Spitzel von der Gestapo sieht zu, wie der Barkhausen nach München fährt und ich ihn zur Bahn bringe! So blau, Hete!«
Sie musste zugeben, dass er mit diesem Einwand recht hatte. Aber ihre Unruhe blieb. Sie fragte: »Ist dir das nicht aufgefallen mit den Zigaretten?«
Er erinnerte sich nicht mehr. Sie musste es ihm erst erzählen, wie der Barkhausen, sie waren kaum aus dem Haus, überall nach Zigaretten herumsuchte, er musste durchaus welche haben. Er hatte auch Hete und Enno deswegen angeschnorrt. Aber die hatten auch keine, Enno hatte in der Nacht alle aufgeraucht. Barkhausen war aber dabei geblieben, er müsse welche haben, er hielte das nicht aus,