Die kalte Braut. Stefan Bouxsein

Die kalte Braut - Stefan  Bouxsein


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erste Salve Munition auf den Schiedsrichter schieße. Ein letzter Pfiff aus seiner Trillerpfeife, dann fällt er um und bleibt auf dem Anstoßpunkt liegen. Der Rappe galoppiert elegant um die verdutzten Spieler herum. Ich richte mein Maschinengewehr auf die Abwehrspieler mit den roten Trikots. Das Knattern meines Maschinengewehres übertönt die jubelnden Schreie der Zuschauer. Zwei Spieler fallen um, drei andere versuchen über die Bande zu entkommen. Aber dort stehen die Ordner und treiben sie zurück auf den Rasen. Mein Rappe wiehert und galoppiert buckelnd über das Spielfeld. Es ist nicht einfach, auf diesem wilden Pferd zielsicher zu schießen. Die nächste Salve erwischt ein paar Spieler mit grünen Trikots. Der Jubel auf den Rängen wird lauter. Ich ramme meine Fersen in den Bauch des Rappen und jage auf den Torwart zu. Das Maschinengewehr knattert und rattert und der Torwart bricht so durchlöchert wie das Netz seines Tores auf dem Rasen zusammen. Die Massen auf den Rängen wollen auch den anderen Torwart fallen sehen. Ich suche ihn auf dem Rasen und finde ihn am anderen Ende des Spielfeldes. Im Oval der Arena begleitet mich die La-Ola-Welle der begeisterten Fans. Mein Brautkleid weht im Wind, mein Maschinengewehr feuert und Blitze zucken aus der Mündung. Auf dem Weg zum verbliebenen Torwart erschieße ich weitere Spieler beider Mannschaften. Der stinkende Schweiß in ihren Trikots vermischt sich mit frischem Blut. Der Torwart rennt angsterfüllt über das Spielfeld und springt über die Leichen seiner Mitspieler. Ich ziele dicht hinter seine Fersen. Eine Kugel nach der anderen bohrt sich zwischen seinen fliehenden Füßen in den Rasen. Ich reite schießend hinter ihm her, treibe ihn direkt in sein Tor. Als er sich dort in den Maschen des Netzes verfängt, durchsiebe ich ihn wie zuvor seinen Kollegen aus der anderen Mannschaft. Auf der Anzeigentafel erscheint ein 9:9. Zwei Spieler aus jedem Team sind noch am Leben. Sie wollen fliehen, doch meine Kugeln sind schneller. Endlich ist das Spiel vorbei. 11:11 steht auf der Anzeige. Die Zuschauer begleiten mich mit stehenden Ovationen auf meiner Ehrenrunde durch die Arena.

      

      Auf dem Weg vom Krankenhaus ins Präsidium dachte Siebels unentwegt an den Traum von der Arena. Er stellte sich vor, wie die Mannschaft der Eintracht von Sabine Lehmann abgeknallt wurde. In ihrem Traum hatte sie den Trainer vergessen, dachte er und lächelte gequält. Als er das Büro betrat, fand er Till mit einem dicken Schal umwickelt an seinem Schreibtisch sitzen. Tief versunken in der Traumakte.

      »Na, Kollege. Wieder im Dienst?«

      »Ja. Ich lese mich gerade in den neuen Fall ein. Ein ausgerottetes Altenheim hatten wir ja auch noch nicht.« Die Stimme von Till klang noch heißer, aber er konnte schon ganze Sätze sprechen, ohne von Hustenanfällen heimgesucht zu werden.

      »Jetzt kommen noch zwei niedergemetzelte Fußballmannschaften hinzu.« Siebels stellte seinem Kollegen das Diktiergerät vor die Nase. »Das kannst du gleich mal abschreiben, dann bist du auf dem Laufenden.«

      »Eigentlich habe ich mich zum Ermitteln hergeschleppt, nicht zum Abtippen.«

      »Wenn du damit fertig bist, bringe ich dich auf den neuesten Stand. Von da aus kannst du dann weiter ermitteln. Bis jetzt hat Charly dich hervorragend vertreten.«

      »Charly? Mich vertreten? Dann müsste der Fall aber schon gelöst sein.« Till wollte den letzten Satz besonders betonen, brachte ihn aber nur mühsam heraus, weil der Hustenreiz ihn doch wieder in seine Schranken wies. Mit einem Bonbon versuchte er seinen rauen Hals zu besänftigen.

      »Stecke mich bloß nicht an mit deinem elenden Virus.«

      »Apropos, wo ist Jensen? Den muss ich anstecken.«

      »Jetzt halt die Klappe, schone deine Stimme und leg los. Ich muss mich jetzt erst mal um eine Zelle für Sabine Lehmann kümmern. Die verlegen wir morgen vom Krankenhaus in die Untersuchungshaft.«

      Till hätte gern widersprochen, spürte aber schon wieder seinen Hustenreiz. Er ließ stattdessen das Diktiergerät laufen und gab stumm den Arena-Traum in die Tastatur ein. Siebels telefonierte in der Zeit mit Staatsanwalt Jensen und besprach mit ihm die Details über die Einlieferung von Sabine Lehmann in das Untersuchungsgefängnis. Als das geklärt war, wurde Jensen plötzlich ärgerlich. »Sagen Sie mal, Herr Siebels, was treiben Sie da eigentlich?«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Ich meine Ihren Auftritt bei Herrn Paulsen. Der Mann hat hervorragende Beziehungen und wird wohl kaum den Müller erschlagen haben.«

      »Ich mache meine Arbeit, Herr Jensen. Und der Fall stinkt.«

      »Der Fall stinkt? Warum stinkt der Fall? Weil Ihnen Typen wie Paulsen stinken? Mensch, Siebels, machen Sie sich das Leben nicht so schwer, besorgen Sie ein Geständnis von der Lehmann und schließen Sie die Akte.«

      »Ich werde mein Bestes tun«, kam die zähneknirschende Antwort. Jensen beendete daraufhin das Gespräch.

      Siebels zündete sich eine Zigarette an und blies ärgerlich den Rauch aus. Nach seinem ersten Zug bekam Till einen fürchterlichen Hustenanfall. »Willst du mich umbringen? Mach die Kippe aus.«

      »Dich und dein Leiden habe ich ganz vergessen«, entschuldigte sich Siebels und ging zum Rauchen in ein Raucherzimmer am anderen Ende des Flures. Als er wiederkam, hatte Till den Traum abgetippt und einen Ausdruck in die Traumakte geheftet. Siebels gab ihm eine Kurzfassung von seinen Gesprächen mit Wurmbach, Paulsen und Meier. Die Fahrt mit dem Porsche ließ er dabei unerwähnt.

      »Warum reißt sie sich im ersten Traum eigentlich ihr Brautkleid vom Leib? In den folgenden Träumen trägt sie es wieder. Gibt es eine Reihenfolge in den Träumen?«, fragte Till, der mit seinen Gedanken wieder bei der Traumakte war.

      »Gute Frage. Keine Ahnung.«

      »Frag sie doch mal, vor dir scheint sie ja keine Geheimnisse zu haben.«

      »Das mach ich. Gleich morgen, wenn sie in der U-Haft sitzt.«

      »Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte Till.

      »Wenn du wieder richtig fit bist, könntest du Undercover aktiv werden.«

      Till hob den Kopf und schaute neugierig seinen Kollegen an. »Sprich weiter, du hast meine vollste Aufmerksamkeit.«

      Siebels berichtete von dem Plan, den er mit Charly ausgetüftelt hatte. »Im Frankfurter Raum gibt es neben Sabine Lehmann noch vier weitere Partner von Paulsen. Zwei Damen und zwei Herren. Bei einer der Damen wirst du als Kunde vorstellig. Wenn Charly genug Informationen über die entsprechenden Damen gesammelt hat, suchen wir eine für dich aus und basteln dir eine entsprechende Legende. Parallel zu deinen Aktivitäten werde ich bei den Herren vorstellig. Allerdings ganz offiziell.«

      »Klingt nach einem guten Plan«, stimmte Till zu. »Da fühle ich mich doch gleich wieder viel besser.« Kaum hatte er es ausgesprochen, hustete er wieder.

      »Der größte Kunde von Sabine Lehmann war anscheinend Fraport, der Flughafenbetreiber«, erzählte Siebels weiter. »Die Akte befand sich aber nicht im Büro von Sabine Lehmann, sondern im Auto von Sven Müller. Die werde ich mir mal genauer anschauen.«

      »Eine Akte vom Flughafen im Auto eines Enthüllungsjournalisten. Wenn du da drin Hinweise auf schmutzige Geschäfte findest, wird Jensen bestimmt sehr nervös werden.«

      »Bis jetzt haben wir jedenfalls noch kein Motiv. Falls du Recht hast mit den schmutzigen Geschäften, haben wir vielleicht eins.«

      »Sabine Lehmann erschlägt ihren Freund, den Journalisten, der alles herausgefunden hat«, formulierte Till die neue Theorie. »Mir fehlt da aber die Verbindung zu der Traumakte.«

      »Dann mach dir mal Gedanken darüber und sag mir Bescheid, wenn dir was einfällt.«

      »Schau dir erst mal diese Akte an, vielleicht steht ja gar nichts Schlimmes drin.«

      »Wo steht nichts Schlimmes drin?« Die Frage kam von Charly, der gerade durch die offenstehende Bürotür kam.

      »Jetzt steht jedenfalls was Schlimmes in unserem Büro«, feixte Till, hustete und deutete auf Charly.

      »Dir geht’s anscheinend wieder blendend. Der schlimme Charly hat dir auch was mitgebracht.« Charly wedelte mit ein paar Papierblättern. »Weiß er schon Bescheid?«,


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