Die kalte Braut. Stefan Bouxsein

Die kalte Braut - Stefan  Bouxsein


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      Zurück im Büro fand Siebels Till brütend über der Fraport-Akte. Er stellte ihm das Diktiergerät vor die Nase. »Abtippen.«

      »Hä?«

      »Nachschub für die Traumakte. Tipp Tipp.«

      »Ich dachte, wir wären uns einig gewesen. Ich bin Undercoveragent und keine Tippse.«

      »Du hörst dich schon viel besser an. Was macht der Husten?«

      »Hat sich ausgehustet. Ich bin fit und kann loslegen mit meinem Sicherheitsdienst. Oder wollen wir doch lieber Escort machen?«

      »Nein, wollen wir nicht. Ganz sicher nicht.«

      »Du bist der Boss. Willst du gar nicht wissen, ob ich in dem Fraport-Ordner was gefunden habe?«

      »Doch. Sowie du das Band abgetippt hast. Oder interessieren dich die Träume gar nicht mehr?«

      »Ein neuer Traum im Brautkleid?«

      »In diesem Traum kommt sie zu ihrem Brautkleid.«

      Till betrachtete sich das Diktiergerät, nahm es in die Hand und strich sanft mit der Fingerspitze darüber. »Okay, ich muss es wissen, du hast gewonnen.« Er steckte die Kopfhörer ein, ließ das Band laufen und gab die Erzählung von Sabine Lehmann in seinen Computer ein.

      Siebels rief die Nummer von Günther Lehmann an. Der wusste noch gar nichts von der Lage, in der sich seine Tochter befand. Es dauerte eine kleine Weile, bis er seinen ersten Schock überwunden hatte und sich mit Siebels unterhalten konnte. Günther Lehmann war Witwer. Seine Frau, die Mutter von Sabine Lehmann, war vor zehn Jahren nach einer schweren Krankheit verstorben. Günther Lehmann wollte sofort nach Frankfurt kommen und sich in einem Hotel einquartieren. Siebels gab ihm seine Nummer, er wollte sich mit ihm baldmöglichst treffen. Dann klopfte er dem tippenden Till auf die Schulter. »Kann ich rauchen?«

      »Nein.« Allein schon der Gedanke an den Qualm weckte in Tills Atemwegen den Hustenreiz.

      »Dann gehe ich zu Charly und schaue, was der so macht.«

      Charlys Büro befand sich ein Stockwerk unter dem von Siebels und Till. Die Tür stand wie immer offen. Charly telefonierte gerade, als Siebels eintrat. Siebels suchte einen Aschenbecher, fand aber keinen. Als Charly auflegte, fragte er danach.

      »Hat dir eigentlich noch niemand verraten, dass im ganzen Präsidium Rauchverbot ist?«

      »Du klaust einen Porsche und willst mir das Rauchen verbieten?«

      Charly schaute ihn verblüfft an. »Jetzt fährst du aber schweres Geschütz auf.«

      »Was soll ich machen? Till fängt an zu husten, wenn ich qualme.«

      »Wolltest du damit nicht ganz aufhören?«

      »Ja. Nein. Weiß nicht. Später. Wo ist denn jetzt der Ascher?«

      Charly holte schmunzelnd den begehrten Aschenbecher aus seiner Schublade. »Hier, bitte schön. Ich habe übrigens ein paar Dokumente, die müsste noch jemand unterschreiben.«

      »Was für Dokumente?«, fragte Siebels und paffte Rauch in die Luft.

      »Die Entlassungsurkunde von Till, sein polizeiliches Führungszeugnis, seinen neuen Kontostand und ein paar andere Kleinigkeiten.«

      »Wie hoch ist denn sein Kontostand jetzt?«

      »Er hat 300.000 Euro geerbt. Die gehen auf ein Konto bei der Commerzbank. Mit denen haben wir bei so Geschichten schon öfter zusammengearbeitet.«

      »Soll ich das alles unterschreiben?«

      »Kannst du machen. Aber dann muss Jensen unterschreiben, dass du das alles unterschreiben darfst.«

      »Das ist ganz schlecht. Gibt es noch eine andere Möglichkeit?«

      »Vielleicht der Polizeipräsident?«

      »Noch schlechter. Kannst du das mit Jensen klären?«

      »Klar. Aber der steht fünf Minuten später auf deiner Schwelle.«

      Siebels drückte seine Zigarette aus. »Meinst du, der kann das auch nachträglich absegnen?«

      »Können tut er das, aber ich vermute, der unterschreibt dann deine Entlassungsurkunde gleich mit.«

      »Dann machen wir das erst mal unter uns. Wenn wir später Ermittlungsergebnisse haben, ist der Staatsanwalt bestimmt umgänglicher.«

      »Du riskierst ganz schön viel. Die Träumerin hat es dir angetan, habe ich Recht?«

      »Die Träumerin hat was zu erzählen und sie tut es mit ihren Träumen. Mein Bauch sagt mir, dass bei dieser Sache noch viel ans Licht kommen wird.«

      »Und mein Bauch sagt Hunger. Kommst du mit in die Kantine?«

      »Gehe schon mal vor, ich hole Till ab.«

      Till hatte die Traumakte mitgebracht und gab sie Charly. Als der den Traum vom Kaufhaus gelesen hatte, lehnte er sich vergnügt zurück. »Das ist doch total sinnlos, die Frau hält euch zum Narren. Die versucht einen auf unzurechnungsfähig zu machen und ihr fallt auch noch drauf rein.«

      Siebels kaute gerade auf seinem Schweinebraten herum und knurrte nur etwas Unverständliches.

      »Die Träume haben einen ganz realen Bezug zu ihrem Leben«, warf Till ein. »Beim Träumen meldet sich ihr Unterbewusstsein zu Wort.«

      Charly und Siebels schauten Till überrascht an, aber der ließ sich nicht beirren. »In ihrem Leben läuft einiges schief, aber das verdrängt sie. Jedenfalls, wenn sie wach ist. Ihr Ehrgeiz ist größer als ihre Vernunft. Sie will sich um jeden Preis als Partnerin bei Paulsen durchsetzen. Dafür bringt sie Opfer. Sie handelt gegen ihre Natur. Ihre Natur wehrt sich aber. Diese Gegenwehr entlädt sich in ihren Träumen.«

      »Klingt gut«, gab Siebels zu. »Geht das auch im Klartext?«

      »Also pass auf. Im Brautkleid macht sie sonderbare Dinge. Sie jagt in der Wüste einen Jeep der UN in die Luft, verfüttert alte Menschen im Zoo an die Raubtiere oder erschießt ganze Fußballmannschaften. Das alles macht sie im Brautkleid, weil sie mit ihrem Job verheiratet ist. Das Brautkleid ist ihre Arbeitskleidung. Sie scheint schlimme Dinge in ihrem Job zu machen. In ihren Träumen verarbeitet sie das, ohne selbst zu erkennen, was überhaupt mir ihr los ist.«

      Charly und Siebels ließen die Worte von Till auf sich wirken und dachten darüber nach.

      »Du bist gar nicht so dumm«, stellte Charly schließlich fest. Dann berichtete Siebels von seinem Gespräch mit Peter Bockelmann.

      »Paulsen lässt seine Leute von einem Persönlichkeitstrainer einer Art Gehirnwäsche unterziehen. Damit sie sich mit Leib und Seele ihrem Job widmen«, resümierte Charly. »Das passt ja zu Tills Überlegungen. Diesen Jochen Trutz solltet ihr euch mal aus der Nähe betrachten.«

      »Der steht schon auf meiner Liste«, bestätigte Siebels. »Nachher will ich aber erst mal mit Jeremy Boyle reden.«

      »Das bringt uns aber alles nicht viel weiter«, schaltete sich Till wieder ein. »Die Frage ist doch, warum sie ihren Freund erschlagen hat. Vielleicht haben die sich einfach nur über etwas ganz Banales gestritten? Sie war wütend und hat ihm eins übergezogen, dummerweise war er dann tot.«

      »Warum gesteht sie dann nicht einfach, sondern erzählt mir nur von diesen Träumen?«

      Till überlegte kurz, bevor er auf Siebels Frage einging. »Müller tot, Karriere futsch. Der ganze berufliche Aufwand der letzten Jahre war für die Füße. Sie steht vor den Scherben ihres Lebens. Partner weg, Job weg. Vielleicht sieht sie in einem längeren Gefängnisaufenthalt eine willkommene Flucht aus ihrem vermasselten Leben?«

      »Die Fraport-Akte dürfen wir nicht vergessen«, warf Siebels ein. »Ich glaube, darin finden wir den Schlüssel für des Rätsels Lösung. Hast du schon was Nützliches entdeckt?«

      »Nicht wirklich. Sabine Lehmann wurde als


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