Die kalte Braut. Stefan Bouxsein

Die kalte Braut - Stefan  Bouxsein


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die Bilder wieder in den Umschlag und den Umschlag in seine Jackentasche. Dann wühlte er weiter in den Schubladen. Müller hatte dort bergeweise Papier gehortet. Falls er ein Ordnungssystem gehabt hatte, hatte er es gut verschlüsselt. Alte Zeitungsausschnitte lagen zwischen Quittungen für Büromaterial und alten Verträgen, die er als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen unterschrieben hatte. Als er alle Schubladen und Schränke in Müllers Arbeitszimmer durchgesehen hatte, nahm er sich auch den Rest der Wohnung vor. Aber er fand nirgendwo auch nur einen Schnipsel Papier, den er mit dem Fraport-Ordner in Verbindung gebracht hätte. Resigniert zog er den Umschlag mit den Fotos wieder aus seiner Tasche und wollte ihn zurück in die Schublade legen. Dann entschied er sich doch anders und steckte die Fotos wieder ein. Er hatte zwar keine Ahnung, wer auf den Bildern zu sehen war, aber er wollte sie wenigstens Siebels zeigen, um nicht ganz ohne Beute zurückzukommen.

      Siebels war von Jeremy Boyle aus zu der Villa von Paulsen in die Frauenlobstraße gefahren. Er stellte seinen Wagen etwa fünfzig Meter von Paulsens Hauseingang entfernt ab und beobachtete das Haus im Seitenspiegel. Er hatte keine Ahnung, worauf er wartete und was es zu beobachten geben könnte, und zündete sich eine Zigarette an. Eigentlich hatte er sich das Rauchen im Auto abgewöhnt, aber es war Februar und kalt und er genoss es, den Rauch in seinen alten BMW zu blasen. Er klappte das Handschuhfach auf, holte das Foto heraus und betrachtete es. Sein privates Glück. Sabine Karlson hielt den neugeborenen Dennis im Arm. Siebels‹ Gedanken schweiften zurück zu dem Fall Tanja Niehaus. Zu dieser Zeit lebte er getrennt von Frau und Kind in Scheidung und hatte sein Gespartes bei riskanten Aktiengeschäften verloren. Da kam plötzlich diese Sabine Karlson von der Sitte in sein Büro marschiert und klärte ihn und Till über die betrügerischen Machenschaften mit 0190er Telefonnummern auf, die in diesem Fall eine wichtige Rolle gespielt hatten. Till hatte sich sofort in die gutaussehende Halbschwedin von der Sitte verknallt, bei Siebels reiften die Gefühle langsam, aber mächtig. Als der Fall geklärt war, kamen sich Siebels und Karlson auch privat näher und wurden ein Paar. Till dagegen verliebte sich in Johanna, die in dem Fall eine zwielichtige Rolle gespielt hatte und als potenzielles Mordopfer in seinen Armen gelandet war. Mittlerweile hatte Johanna ihr Medizinstudium beendet und konnte sich noch nicht recht entscheiden, ob sie Ärztin, Mutter oder beides werden sollte. Seit Siebels mit seiner neuen Liebe zum zweiten Mal Vater geworden war, reifte auch in Till der Gedanke vom trauten Familienglück. Siebels hoffte, dass die beiden das auf die Reihe kriegen würden, und entdeckte im Rückspiegel einen schwarzen Porsche, der vor der Paulsen-Villa anhielt. Jeremy Boyle stieg aus und ging schnellen Schrittes in die Villa. Siebels schaute auf die Uhr. Eine Stunde wollte er noch Dienst schieben. Der Rest des Tages sollte Sabine Karlson und dem kleinen Dennis gehören. Siebels zündete sich noch eine Zigarette an und überlegte sich, ob das Auftauchen von Boyle etwas mit seinen Ermittlungen zu tun hatte. Er legte das Foto wieder ins Handschuhfach zurück und fasste den spontanen Entschluss, seiner Sabine heute Abend endlich den längst überfälligen Heiratsantrag zu machen. Sein Ansinnen wurde durch Babyschreie bestätigt. Das Handy signalisierte ihm einen Anruf von Charly.

      »Hi Charly, was gibt es?«

      »Dein Jeremy Boyle kam heute tatsächlich aus New York zurück. Er war auf einer Lufthansa Maschine gebucht und hatte eine Woche in den Staaten verbracht. In den Staaten hatte er auch noch einen Flug nach Washington gebucht. Da ist er zwei Tage geblieben.«

      »Okay, danke dir.«

      »Ich habe aber noch mehr für dich.«

      »Na dann raus mit der Sprache.«

      »Auf dem Rechner von Sven Müller habe ich etwas Interessantes gefunden. Das gehört bestimmt in deinen Fraport-Ordner.«

      »Jetzt mach es nicht so spannend.«

      »Es sind Daten. Daten von Messungen über Fluglärm in Frankfurt und Umgebung. Es gibt zwei verschiedene Auswertungen und die weichen erheblich voneinander ab. Aber nur eine davon wurde bei dem Mediationsverfahren zum Flughafenausbau berücksichtigt.«

      »Lass mich raten. Es wurden nur die geringeren Messwerte berücksichtigt?«

      »So ist es.«

      »Wurde da manipuliert?«

      »Das kann ich so nicht sagen, aber alles andere würde mich wundern.«

      »Gibt es bei den Daten einen Hinweis auf Sabine Lehmann?«

      »Nein. Jedenfalls nicht direkt. Einige Gutachter sind namentlich aufgeführt. Ob die in Verbindung zu deiner Träumerin stehen, musst du selbst rausfinden.«

      »Ja, das finden wir schon raus. Wann kann Till mit seinem Sicherheitsdienst loslegen?«

      »Theoretisch gesehen kann’s losgehen. Seine Entlassung habe ich vier Wochen rückdatiert. Das sieht dann nicht so überstürzt aus mit seinen Plänen für die Selbstständigkeit.«

      »Und praktisch gesehen?«

      »Die praktischen Dinge überlasse ich euch. Ich habe damit gar nix zu tun. Ich will meinen Kopf nämlich behalten, wenn Jensen eure rollen lässt.«

      »Feigling.«

      »Vergiss nicht, dass ich Invalide bin. Die Unterlagen habe ich auf den Schreibtisch von Till gelegt. Ich muss jetzt Schluss machen, habe hier noch einen Haufen Arbeit.«

      »Bis morgen, du alter Veteran.«

      Siebels vergaß tatsächlich immer wieder, dass Charly früher als Kommissar auf der Straße gearbeitet hatte, bis er bei einem Einsatz eine Kugel ins Knie geschossen bekam. Seitdem war er leicht gehbehindert, was man aber im täglichen Leben kaum bemerkte. Aber rennen konnte Charly nicht mehr und war deswegen in den Innendienst versetzt worden. Er machte mehrere Weiterbildungen im EDV-Bereich und entdeckte schnell seine Liebe zu Computern. Mittlerweile war er auch in Hackerkreisen eine bekannte Größe und im Präsidium unverzichtbar.

      Der schwarze Porsche mit Boyle am Steuer fuhr an Siebels vorbei. Siebels überlegte einen Moment, ob er ihn verfolgen oder ob er besser noch mal bei Paulsen reinschauen sollte. Er entschied sich für Letzteres.

      Astrid Lotz empfing Siebels mit einem kühlen Blick, führte ihn aber direkt in das Büro von Paulsen. Heute trug sie ein graues Kostüm und Schuhe mit noch höheren Absätzen als beim letzten Besuch von Siebels.

      »Sie schon wieder?«, begrüßte Paulsen seinen Gast.

      »Ja, ich schon wieder. Schlimm?«

      »Die Polizei im Haus ist nicht gerade gut für das Image. Und in meiner Branche ist ein tadelloses Image unerlässlich. Wie kann ich Ihnen noch behilflich sein?«

      »Frau Lehmann wurde heute in Untersuchungshaft überführt. Das wollte ich Ihnen eigentlich nur mitteilen.«

      »Vielen Dank für die Information. Den Partnervertrag mit ihr habe ich bereits gekündigt. Ich wusste nur nicht, wo ich die Kündigung hinschicken soll. Hat sie eine Anschrift im Gefängnis?«

      »Ist das nicht ein wenig voreilig? Noch ist die Schuld von Frau Lehmann nicht bewiesen.«

      Paulsen lächelte gequält. »Das spielt keine Rolle. Unser Image ist mit dieser Geschichte beschädigt worden. Ich muss mich wohl nicht wiederholen?«

      Siebels nickte und schrieb die Adresse des Untersuchungsgefängnisses auf einen Zettel. »Bitte schön.«

      Paulsen nahm den Zettel entgegen.

      »Werden Sie jemand Neues anstellen, um die Lücke zu füllen, die Frau Lehmann hinterlässt?«

      »Vielleicht sogar zwei Leute. Die Geschäfte in Frankfurt laufen ganz gut. Sind Ihre Fragen damit beantwortet?«

      Siebels vermutete, dass Paulsen den Vertrag mit Bockelmann gleich mit gekündigt hatte, behielt seine Vermutung aber für sich. Der Name Jochen Trutz lag Siebels noch auf der Zunge. Aber er erwähnte ihn nicht. Trutz wollte er lieber überraschend in dieser Kronberger Akademie aufsuchen.

      »Meine drängendste Frage ist leider noch nicht beantwortet. Hat Sabine Lehmann ihren Freund erschlagen oder nicht. Und wenn ja, warum?«

      »Die Antworten auf diese Fragen werden Sie bei mir und meinen


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