Griechische Mythologie. Ludwig Preller
zur Hochzeit der Hera hat wachsen lassen310. Und ein epischer Nachklang dieser alten Poesieen ist auch die eben so reizende als bedeutungsvolle Erzählung der Ilias (14, 152–353) von dem Beilager auf dem Gipfel des Idagebirges, wo die große Göttin im vollen Schmucke der Liebe und ihrer himmlischen Schönheit den Göttervater mit gleichem Verlangen entzündet wie bei dem ersten Genusse ihrer Liebe, so daß er Troer und Griechen vergessend nur von ihr wissen will, die er in dichtem goldnen Gewölke verlangend umfängt, während die Erde blühende Kräuter und duftende Blumen zum bräutlichen Lager wachsen läßt. Die argivische Legende erzählte, Zeus sei mit Sturm und Regenschauer und in Gestalt eines Kukuks, weil dieser Vogel Frühling und belebenden Regen bringt, auf einem Berge zur Hera gekommen311, und im Culte feierte man das göttliche Paar mit Blumen und Kränzen, führte Hera im bräutlichen Schmucke umher, flocht ihr ein Brautbette aus zarten Weidenzweigen des Frühlings und beging die ganze Cerimonie wie eine menschliche Hochzeit, für deren Vorbild und Stiftung diese göttliche galt312. Aehnliche Gebräuche und Legenden gab es zu Plataeae und in der Umgegend, wo Zeus und Hera als höchstes Götterpaar auf dem Kithaeron verehrt wurden313, auf Euboea wo der Gipfel des Ocha für die Stätte der Vermählung galt314, in Athen wo man das Fest den ἱερὸς γάμος des Zeus und der Hera nannte, auf Kreta wo man dasselbe Fest in der Nähe von Knosos feierte315, endlich auf Samos wo man gleichfalls sowohl von der Jugend als von der Hochzeit der Hera erzählte, diese jährlich mit einem glänzenden Feste feierte und sich auch wegen der volkstümlichen Sitte einer ehelichen Vertraulichkeit vor der Vermählung auf Zeus und Hera zu berufen pflegte316.
Indessen erzählte man sich bekanntlich noch häufiger von den Streitigkeiten des Zeus und der Hera als von ihrer Liebe, ein Thema welches freilich vornehmlich durch die epische Sage und im Sinne ihrer Motive ausgebildet worden ist. Der tiefere Grund wird aber auch hier in der Naturbedeutung beider Gottheiten zu suchen sein, und in der That finden wir in einigen alten Culten, aber noch mehr in mehreren sehr altertümlichen Naturbildern die beste Anleitung zur richtigen Auffassung dieser Zänkereien. So wurde Hera zu Stymphalos in Arkadien unter drei Gestalten verehrt, als Jungfrau d. h. vor der Verbindung mit Zeus, als seine Vermählte und endlich als Wittwe d. h. als eine solche die mit Zeus zerfallen war und eine Zuflucht in Stymphalos gefunden hatte317 : von welchen Bildern dieses letzte so aufzufassen ist wie Demeter Erinys, der leidende Dionysos, der grollende und alternde oder gar gestorbene Zeus, nehmlich vom Winter, in welchem auch Hera als das Gegentheil von dem gedacht wurde was sie im Frühlinge war. Daß aber für Heras Characteristik sich aus solchen Anschauungen die Vorstellung des Haderns und des ehelichen Widerspruches entwickelte, war eine natürliche Folge sowohl davon daß ihre Bedeutung wesentlich auf ihrem ehelichen Verhältnisse zum Zeus beruht als der Eigenthümlichkeiten des griechischen Himmels, wie er sich in allen Uebergangs- und stürmischen Jahreszeiten darzustellen pflegt. Denn wie das Land meist sehr gebirgig ist, die Thäler eng, das Meer überall nahe, die Luft weit feiner und durchdringender als bei uns, so entwickeln sich dort auch alle Erscheinungen der Atmosphäre und des Wolkenhimmels, Regen Sturm u. s. w. mit einer so heftigen und plötzlichen Gewaltsamkeit und so durchdringender Kraft, daß das Bild eines ehelichen Zanks der herrschenden Mächte ein außerordentlich natürliches und ausdrucksvolles ist. In diesem Sinne wird man nun namentlich auch die bekannten Erzählungen der Ilias aufzufassen haben, die sich theils an die kosmogonische theils an die Heraklessage anlehnen, in welcher letzteren überhaupt dieser Antagonismus der beiden Himmelsmächte zuerst in jenen großartigen Allegorien einen Ausdruck gefunden zu haben scheint, wie sie später in den übrigen Kreisen der epischen Dichtung in milderen Wendungen wiederholt wurden. So die bekannte Mahnung der Ilias 1, 586 ff., wie Zeus die Hera einst im Grimme gepeitscht und ihren Sohn Hephaestos vom Olymp heruntergeschleudert habe, was gewiß ursprünglich nichts Anderes als die Aufregungen des Himmels ausdrücken sollte, wenn Ζ. μαιμάκτης, wie er in wüthenden Stürmen und Wetterwolken daherfährt, die Luft gleichsam geißelt und mit Feuerstrahlen um sich wirft. Desgleichen jene andere (Il. 15, 18 ff.), wo Zeus in der Wuth über die Nachstellungen welche Hera dem Herakles bereitet, die Göttin am Himmel aufhängt und ihre Füße mit zwei Ambossen (Erde und Meer) beschwert, die sie in der Luft schwebend erhalten, während ihre Arme mit goldnen Fesseln gebunden werden: wieder ein Bild von der Gewalt des höchsten Himmelsgottes, der die Luft und alle sichtbaren Erscheinungen in der Schwebe trägt318, im Epos zu einer Strafe der Hera geworden. Ein andermal (Il. 1, 396 ff.) verbündet sich Hera mit Poseidon und Athena um Zeus zu fesseln, und sie hätten es gethan wenn Thetis nicht den gewaltigen Meeresriesen Aegaeon zu Hülfe gerufen hätte: nach der wahrscheinlichsten Erklärung gleichfalls das allegorische Gemälde eines furchtbaren Aufruhrs der Natur, in welchem Zeus durch die vereinigten Mächte des Himmels und des Meeres Gewalt zu leiden scheint319. Nach derselben Analogie sind aber nothwendig auch jene Fabeln zu erklären, wo Hera sich mit den finstern Mächten der Tiefe verbindet um weltverderbliche Mächte zu erzeugen, wie sie denn in diesem Sinne schon in der Ilias (8, 478 ff.) in ein nahes Verhältniß zu den Titanen gesetzt wird und nach Stesichoros (Etym. M. 772, 49) und dem Hymnus auf den Pythischen Apoll 127 ff. im Zorne gegen Zeus sogar den Typhon von diesen Mächten der Tiefe empfangen und geboren hat. Ein Bild von der unheilsschwangeren, in dichten Nebeln über der Erde gelagerten und wie auch wir bildlich zu sagen pflegen brütenden Luft, die im Bunde mit jenen urweltlichen Mächten also auch für eine Ursache vulkanischer Eruptionen angesehen wurde320.
Als Sturmgöttin ist Hera überhaupt eine sehr strenge und eifrige Göttin (κυδρή, κυδίστη), die Mutter des Ares und selbst dem Kriege und dem Spiele der Waffen nicht fremd, in dem Kriege vor Troja die eifrige Gesellin der Athena und von solcher Wuth gegen Priamos und alle Trojaner erfüllt, daß sie sie am liebsten alle, wie Zeus sich gelegentlich ausdrückt, mit Haut und Haaren auffräße321. Eben deshalb kommen in ihrem Culte, obgleich er vorzugsweise die Frauen anging und von priesterlichen Frauen besorgt wurde, doch auch viele kriegerische Spiele der Männer vor. So namentlich bei den argivischen Heraeen, einem der glänzendsten Feste der peloponnesischen Griechen322, wo auf die durch Kleobis und Biton bekannte Procession und die Darbringung einer Hekatombe das ritterliche Spiel mit dem Preise des heiligen Schildes (ἡ ἐν Ἄργει ἀσπίς) folgte, für dessen Stifter Lynkeus galt, während Trochilos (τροχός das Rad) nach der Sage des argivischen Heradienstes in gleichem Sinne für den Erfinder des Wagens galt wie Erichthonios in der des attischen Pallasdienstes323. Und ähnliche Spiele und kriegerische Aufzüge gab es auch zu Aegina324 und im samischen Heradienste. Auch gehört dahin die Hera ὁπλοσμία in Elis und in dem Culte des Lakinischen Vorgebirges325, wie sie denn auch zu Olympia unter den ritterlichen Gottheiten verehrt wurde, obwohl die ihr hier und zu Elis eigenthümliche Festfeier ein Wettlauf der Jungfrauen und alle vier Jahre die Darbringung eines von den Frauen gewebten Peplos war326.
Ihre eigentlichste Bedeutung blieb aber doch immer die himmlische Herrschaft neben Zeus und das weibliche und eheliche Leben.
Die erste zeigt sich besonders darin daß trotz aller Schalkhaftigkeit, die sich das Epos wo von Zeus und Hera die Rede ist angewöhnt hat, doch bei allen Gelegenheiten wo das vielbeliebte Motiv ihrer Zwistigkeiten