Griechische Mythologie. Ludwig Preller
πόσις Ἥρης d. h. der lauttosende Gemahl der Hera genannt zu werden, Hera ist aus eben diesem Grunde desselben Geschlechtes wie er und die ehrwürdigste, stattlichste, hochgeehrteste unter allen Göttinnen des Olympos327. Auf goldnem Sessel thront sie neben ihrem königlichen Gemahle (χρυσόϑρονος), wie dieser von allen Göttern durch königliche Ehren ausgezeichnet328, und der Olymp erbebt unter ihr wenn sie zürnt (Il. 8, 198). Wären die beiden einig, so würde kein Gott zu widersprechen wagen (Il. 4, 62), und trotz alles oft sehr gehässigen Widerstrebens der Hera wird sie vom Zeus doch immer am meisten gehört, die βοῶπις πότνια Ἥρα wie das Epos sie zu nennen pflegt. Auch über die himmlischen Erscheinungen gebietet sie wie Zeus. So sendet sie Stürme und dichte Nebel329, gebietet über Donner und Blitz330, leitet die Bahn des Helios und hat die Iris und die Horen d. h. die Wolken und den Regenbogen in ihrem Dienste331. Eben deswegen pflegte sie wie Zeus auf den Bergen und Burgen d. h. als ἀκραία verehrt zu werden332, wo auch sie von den Gläubigen um Regen angefleht wurde und im Sturme toste; daher man sie zu Sparta und Korinth als Ἥρα αἰγοφάγος verehrte, indem ihr die Ziege als Symbol des Regensturmes geweiht und geopfert wurde. Insbesondre schrieb man ihr endlich auch eine Herrschaft über Sonne Mond und Sterne zu. So kann im argivischen Culte die Sage von der Dienstbarkeit des Herakles wie die von der Io und von dem tausendäugigen Argos, in Korinth die von der Medea nicht wohl anders als aus diesem Zusammenhange gedeutet werden, und auch das Symbol des Pfaus, wie es auf Samos und von daher auch in Argos und sonst gewöhnlich war, deutet auf die Pracht des gestirnten Himmels333. Selbst das alte Epithet βοῶπις, obwohl es später gewöhnlich durch großäugig erklärt334 und in diesem Sinne auf andre Frauen übertragen wurde, möchte ursprünglich auf den Mond als das Auge des nächtlichen Himmels gezielt haben, zumal da der Name Εὔβοια d. h. die schöne Kuhtrift sowohl bei Myken als auf der Insel Euboea aus dem Culte der Hera stammt und in demselben zunächst die Trift der Io bedeutete335. Obwohl sonst die Kuh die symbolische Bedeutung der mütterlich nährenden Gattin des Zeus hatte und in diesem Sinne auch das gewöhnliche Opfer der Hera war, wie das des Zeus der junge Stier336.
Die zweite Bedeutung nehmlich ist die der Hera τελεία, wie sie selbst als die bräutliche Gattin des Zeus hieß, aber auch als die Gattin und das eheliche Weib schlechthin, welche als solche zugleich γαμηλία und ζυγία ist337, der göttliche Vorstand des weiblichen Lebens wie es in ehelicher Zucht und Sitte blüht und reift. Daher wird sie selbst als sehr schön und reizend gedacht, so daß sie mit Athena und Aphrodite vor den Paris treten konnte und in ihrem eigenen Culte, wenigstens auf Lesbos, Schönheitswettkämpfe der Frauen angestellt wurden338. Doch ist ihre Schönheit eine keusche, strenge und würdige339, und wie sie selbst in ihrer ersten jungfräulichen Blüthe340 dem Zeus vermählt wurde und von keiner andern Liebe weiß als von der seinigen, so daß es das Aeußerste von Wahnsinn und Lust hieß der Hera zu begehren: so fordert sie gleiche Treue und gleiche Keuschheit von allen Vermählten und ist eben deshalb im Epos zur personificirten ehelichen Eifersucht geworden, in welchem Sinne nicht allein jene alten Naturbilder von den Streitigkeiten des Zeus und der Hera umgedichtet wurden, sondern auch eine Menge von landschaftlichen und religiösen Sagen, namentlich die von der Io, von der Leto, vom Herakles, vom Dionysos. Zu dem weiblichen Leben aber, wie es zur Ehe bestimmt und durch die Ehe befruchtet wird, hat Hera neben anderen Göttinnen z. B. der Demeter Thesmophoros und der Aphrodite besonders das Verhältniß welches sich schon in ihren beiden Töchtern Hebe und Eileithyia ausdrückt341. Sie verleiht blühende Lebenskraft, wie sie selbst als hohe Frauengestalt, von reifer, kräftig blühender Schönheit gedacht wurde, und sie ist eine Hülfe in den kritischen Momenten des weiblichen Lebens d. h. in den Nöthen und Aengsten der Entbindung, wobei der Einfluß der Mondgöttin Hera, der Juno Lucina, wie die Römer sie nannten, wieder mit im Spiele ist. In Argos ward sie selbst als Εἰλήϑυια verehrt (Hesych) und der Bogen und die Fackel des alten Cultusbildes zu Myken und bei anderen alten Bildern andere Attribute haben wahrscheinlich dieselbe Bedeutung342. Weit seltener sind dagegen die Darstellungen der säugenden Hera und erst die spätere Vermischung ausländischer Fabeln siderischen Inhaltes mit den griechischen scheinen derartige Bilder hervorgerufen zu haben343.
Auch im Culte der Hera, sowohl dem argivischen als dem samischen, hatte man sich früher mit der symbolischen Andeutung durch Pfeiler oder Balken begnügt344, bis später mit der menschlichen Bildung die künstlicheren Formen entstanden und daraus endlich in der besten Zeit der griechischen Kunst die ideale Gestalt der himmlischen Frau und Königin hervorging. Gewöhnlich wurde sie thronend dargestellt, wie eine Braut verschleiert oder als Ehefrau prächtig gekleidet, immer mit weitem, die ganze Gestalt verhüllendem Peplos, dazu mit der königlichen Stephane oder mit dem Modius oder dem Polos, welche Kopfzierden auf Fruchtbarkeit, aber auch auf himmlische Herrschaft deuten. Die eheliche Liebe und Fruchtbarkeit bedeutete auch die Granate in ihrer Hand, wie jene Aepfel welche Gaea zu ihrer Hochzeit hatte wachsen lassen. Berühmt vor allen übrigen Bildern war das des Polyklet im Heraeon bei Myken, welches für diese Gottheit dieselbe Bedeutung hatte wie für den Cult des Zeus und der Athena die Bilder des Phidias. Ein colossales Werk der thronenden Hera von Gold und Elfenbein, ihre Krone mit den Chariten und Horen verziert, in der einen Hand die Granate in der andern das Scepter, auf welchem mit Beziehung auf die oben berührte Sage der Kukuk saß. Der Kopf ist durch Münzen und in verschiedenen sehr schönen Büsten erhalten, unter denen die bekannteste die sogenannte Juno Ludovisi ist, eine seltene Verschmelzung großer Schönheit mit hoher Würde und sittlichem Adel. Auch andere Künstler der besten Zeit, Kallimachos Alkamenes und Praxiteles hatten sich an diesem Ideale versucht, namentlich hatte der letztere ein Sitzbild zu Mantinea gearbeitet, neben welchem Athena und Hebe standen, die Göttinnen des kriegerischen Muthes und die des blühenden Jugendreizes, welche Eigenschaften sich ja auch in den Vorstellungen von der Hera durchdrangen; und eine colossale aufrecht stehende Hera τελεία hatte derselbe Praxiteles für Plataeae geliefert345. Für uns geben eine weitere Anleitung die Bilder der Hera in größeren Göttergruppen, die besseren Reliefdarstellungen und Statuen, unter denen sich die Barberinische auszeichnet, die Münzen von Argos Elis Knosos Pandosia und Kroton, endlich verschiedene Vasengemälde und Pompejanische Gemälde, welche Hera in vollem Schmucke und in der ganzen Fülle ihrer stattlichen Erscheinung zeigen. Unter den Vasenbildern diejenigen, welche das Urtheil des Paris darstellen, wie diese Vorstellung namentlich auf apulischen Vasen eine gewöhnliche ist, unter den Pompejanischen ein mit Wahrscheinlichkeit durch die bekannte Liebesscene auf dem Ida erklärtes346.
Fußnote
300 Vgl. skr. svar der Himmel, zend hvar die Sonne, womit auch lat. sôl verwandt ist, Bopp vgl. Gramm. § 127, Bd. 1, 123. So erklären den Namen Ἥρα L. Meyer z. ältest. Gesch.