Gesammelte Werke. Franziska Gräfin zu Reventlow

Gesammelte Werke - Franziska Gräfin zu Reventlow


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mit Editha, die ja leider ganz unter deinem Einfluß steht, lachend über alle Regeln hinweggesetzt hast, nur das eine will ich dir sagen: für ehrlich wenigstens habe ich dich bis jetzt gehalten, bis zu dem Augenblick, wo ich erfuhr, auf was für Schleichwegen du dir dieses Buch verschafft hast. Jetzt weiß ich, daß du selbst vor einem gemeinen Betrug nicht zurückschreckst – du, ein Mädchen aus guter, hochgeachteter Familie – eine Konfirmandin. – Und ich sage dir noch einmal, zum letztenmal: halt ein auf der abschüssigen Bahn, die du wandelst. Geh in dich, ehe es zu spät ist, sonst wirst du dermaleinst mit bittrer Reue an meine Worte zurückdenken.«

      Dann wandte sie sich zu den anderen: »Ellen Olestjerne hat sich eines gemeinen Betruges schuldig gemacht – sie hat den Namen einer Mitschülerin mißbraucht, um sich ein Buch zu verschaffen, das sie nicht bezahlen konnte, und noch zwei andre veranlaßt, ihr Geld zu borgen, um ihre Schuld wenigstens für den Augenblick zu decken. Ihr habt sie von jetzt an als ehrlos zu betrachten und ich warne jede, die noch mit ihr verkehrt.«

      Damit verließ sie das Zimmer und die schwarze Seidenschlange raschelte ihr nach.

      Ellen wanderte auf drei Tage in Arrest. Da saß sie in der dämmerigen Turmstube, machte lange Gedichte auf Editha und wartete, wie ihr Schicksal sich entscheiden würde. Als sie am nächsten Sonntag der Reihe nach zur Pröpstin hineinkamen, um ihre Zeugnisse vorzulegen, sagte die verhaßte Stimme:

      »Ellen Olestjerne, deine Eltern sind von dem Vorgefallenen benachrichtigt. Du kannst noch bis Ostern hierbleiben, weil ich ihnen nicht die Schande antun will, dich vor der Einsegnung fortzuschicken.«

      Es war doch ein arger Schrecken, als die kalte, unerbittliche Tatsache plötzlich vor ihr stand: fortgejagt – und die Eltern. – Wie in einem bösen Traum ging Ellen hinaus, an den andern vorbei, ohne irgend etwas zu sehen, die Treppe hinauf, oben am letzten Gangfenster blieb sie stehen und legte das Gesicht an die Scheiben. Sie hatte Todesangst vor zu Hause – heute wußten sie es vielleicht schon. Es war nicht auszudenken, wie eine erdrückende Last wälzte es sich von allen Seiten über sie her. Dazwischen glänzte wohl auch etwas Helles, Freudiges auf: heimkommen – fort aus diesen dumpfen Schulstuben, aus der moderigen Kerkerluft. Heimatsvisionen kamen, das Schloß, die sonnigen großen Zimmer, wo abends die Spatzen vor den Fenstern in den Ulmen schwätzten, der sommerliche Garten mit seinem starken Fliederduft – Detlev, die Geschwister alle – und nun schluchzte sie vor Heimweh. Ja sie wollte nach Hause, nur nach Hause, wie schlimm es auch werden mochte.

      Am Montagmorgen kam Ellen noch halb verschlafen hinunter. Vor ihrem Schrank stand Fräulein Blumener, die Wirtschaftsdame, mit der turbanartigen, punktierten Haube und räumte die Sachen auf.

      »Was soll das?«

      »Fragen Sie nicht so unverschämt – Sie bekommen Ihren Schrank jetzt da oben auf der Treppe, damit die andern nicht mehr wie nötig mit Ihnen in Berührung kommen. Wer so lügt und trügt wie Sie, muß sich auch darauf gefaßt machen, daß man ihn danach behandelt.«

      Ellen lachte, um ihre Wut zu verbergen, und machte ihr hochmütiges Gesicht. Nachher schrieb sie mit Riesenbuchstaben auf die Innenseite der Schranktür:

      Ich habe nie das Knie gebogen – den stolzen Nacken nie gebeugt.

       17. Februar 1885

      Das brachte ihr wieder einen Tag Arrest ein. Und so ging es nun mit allem; sie war in Acht und Bann getan, jede von den andern, die sich noch mit ihr sehen ließ, fiel in Ungnade. Aber sie nahm den Fehdehandschuh auf, beging bei jedem Anlaß die größtmöglichen Ungezogenheiten, nahm die Strafe lachend hin und überbot sie durch noch ärgeres Benehmen. Im Schlafsaal gab es fast jeden Tag Skandal. Wenn Ellen sich Wasser holte, balancierte sie die blecherne Waschschüssel auf dem Kopf und behauptete, sie könnte kein Blech anfassen. Beim Mundspülen gurgelte sie nur in Melodien und sagte, es käme ganz von selber, sie könnte es nicht lassen. Und wenn alle im Bett lagen, fing sie an zu heulen wie ein wildes Tier in langgezogenen Tönen die halbe Nacht hindurch, so daß niemand schlafen konnte.

      »Ellen, sei ruhig«, schrie die Erste, die Aufsicht führen mußte.

      »Mein Gott, ich bin so traurig, du kannst mir doch nicht verbieten, zu weinen«, und sie heulte weiter. Die andern kamen um vor Lachen, und die Erste war machtlos dagegen. Sie konnte nur anzeigen, immer wieder anzeigen, und das war Ellen jetzt ganz gleichgültig, sie lebte in einem förmlichen Rausch von Auflehnung. Ein paarmal ging sie zur Pröpstin, um sich selbst anzuzeigen, wenn sie fand, daß man zu nachsichtig gegen sie war.

      »Miß Collins hat wohl vergessen zu melden, daß ich gestern in der Stunde gelacht habe.«

      Die Pröpstin geriet außer sich vor Zorn und verbot ihr schließlich, das Zimmer überhaupt noch zu betreten.

      Aber manchmal fühlte Ellen sich auch todunglücklich – sie stand jetzt wirklich ganz allein, selbst Editha wollte nichts mehr von ihr wissen, hatte sich immer mehr von ihr zurückgezogen und ging nur noch mit einer früheren Freundin, die Ellen nicht leiden konnte. Sie ballte heimlich die Hände, wenn sie die beiden zusammen sah, und ihre Dichtungen wurden immer verzweifelter: draußen heulte der Sturm, Eulen schrien in finstrer Nacht – alle schliefen, nur sie allein wachte mit ihrem zerrissenen Herzen, in dem die Leidenschaft wütete und die verratene Liebe. Manchmal wurden es auch Rebellengesänge: »Wie lange soll ich diese Schmach noch dulden – wie lange diese Ketten tragen noch!« oder: »Es kreist mein Blut in wildem schnellem Lauf – und alle Pulse hämmern laut. – Mein Stolz, mein Selbstgefühl bäumt, ach, sich auf. – Zuviel, zuviel habt ihr mir zugetraut.«

      Kurz vor Ostern kam noch die letzte Zeugnisverteilung. Das war immer ein feierlicher, öffentlicher Akt, dem viele Ehrenpersonen aus der Stadt beiwohnten und wo die Pröpstin eine Rede hielt. Diesmal ging es wie ein Gewitter über die fünfzig Kinder hin, von denen manche kaum mehr aufzusehen wagten.

      Während ihrer zweiunddreißigjährigen Amtsführung habe sie noch kein Jahr erlebt wie das letzte, – ein Geist des Aufruhrs ist in unsre Anstalt eingedrungen, – unlautre Elemente, die wir leider erst zu spät erkannt haben und die durch Leichtsinn und Gewissenlosigkeit ein schlimmes Beispiel gaben, – und dann erhob sich ihre Stimme immer lauter und strafender. – Derartige Elemente müssen schonungslos ausgemerzt werden – es sind Krebsschäden, die nur durch einen raschen Eingriff beseitigt werden können. –

      Ellen sah wohl, wie viele Blicke sich auf sie richteten, wenn auch nicht ihr Name genannt wurde. Sie wollte die Augen nicht niederschlagen und empfand es beinah wie einen Triumph: »Ja, mit mir seid ihr doch nicht fertig geworden.«

      An demselben Abend wurde sie zum Pfarrer gerufen, er sah sie lange ernst an und sagte dann: »Nein, Ellen, vor mir brauchen Sie sich nicht zu fürchten, ich glaube zu wissen, wie es in Ihrem Innern aussieht und daß Sie die Absicht haben, es von nun an anders werden zu lassen. Denken Sie an das Wort: es wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten. Vor allem lassen Sie den schlimmen Widerspruchsgeist und allen kindischen Trotz fahren, damit kommt man nicht durch die Welt, Ellen. – Ich habe trotz alledem gutes Zutrauen zu Ihnen, denn ich weiß, daß Sie im Grunde nicht schlecht sind. Sie machen es nur sich selbst und andern schwer. Aber Sie waren eine von meinen besten Schülerinnen und ich möchte auch, daß Sie einer von meinen besten Menschen werden. Ich will auch selbst mit Ihrer Mutter sprechen, die wohl einigen Grund hat, ungehalten über Sie zu sein.« – Damit gab er ihr die Hand, und ihr liefen große Tränen übers Gesicht.

      Als am nächsten Tage die Mutter kam, war Ellen weich wie Wachs. Und es ging viel besser ab, als sie gedacht hatte. Mama schien doch nicht ganz mit der Pröpstin einverstanden, sie sprach viel mit dem Pfarrer und war merkwürdig milde.

      Vor der Beichte versöhnten sich die Konfirmandinnen untereinander und suchten auch die Lehrerinnen auf, um in vollem Frieden mit aller Welt das Abendmahl zu nehmen. – Ellen schloß sich von diesem Brauch aus: was haben die mir zu verzeihen, wenn ich mit mir selbst und dem lieben Gott im reinen bin? Dann mußten sie alle einzeln zur Pröpstin hereinkommen, man murmelte auch dort ein paar Worte von Verzeihen und bekam einen Kuß auf die Stirn: – du bist mir eine liebe Schülerin gewesen, gehe hin in Frieden.

      Als Ellen kam, standen sie sich einen Augenblick gegenüber,


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