Gesammelte Werke. Franziska Gräfin zu Reventlow

Gesammelte Werke - Franziska Gräfin zu Reventlow


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wir sollten uns gefaßt machen, auf eingetrocknete Blutflecken und Leichen von früheren Stiftskindern zu stoßen. Einige wurden so bange, daß sie wieder in ihre Betten krochen.

      Dann kamen wir in lauter alte Bodenräume, voll Gerümpel und Spinneweben, und überall schien der Mond herein. Editha und ich stiegen auf die Leitern in den Turm hinauf, durch die Luke hinaus und rutschten das ganze Kapellendach entlang. Das haben die dummen Gänse nachher, als sie ausgefragt wurden, alles erzählt.

      Nachher stellten wir die Lampe auf den Boden und tanzten einen Indianertanz drum herum. Dabei haben wir so gehopst, daß wir den andern Tag ganz lahm waren.

      Zuletzt liefen wir noch auf den Korridor hinaus und brachten dem vierten Schlafsaal ein Ständchen und warfen ihnen Stiefel ins Bett.

      Die haben uns dann angezeigt – ist das nicht eine Gemeinheit? Die Alte kam selbst in die Klasse, alle sagten, so wütend hätte man sie noch nie gesehen. »Die Sünde ist unter euch wie ein fressender Eiter«, sagte sie einmal – dabei platzte ich heraus, und nun fuhr sie auf mich los: ich wäre die Anstifterin, das wüßte sie ganz genau. Ich hätte die andern verleitet, im Nachthemd auf den Korridor zu gehen, und das wäre unsittlich usw.

      Es ist immer noch große Aufregung im Stift, denn fortwährend kommen neue Schandtaten heraus, auch von dem vierten Schlafsaal, der uns angezeigt hat. Aber es ist nicht recht dahinterzukommen, was die eigentlich gemacht haben, denn das wird alles bei der Pröpstin im Zimmer verhandelt. Sie hat nur die Erste abgesetzt und alle in andre Schlafsäle verteilt.

      Na, Gott sei Dank, Weihnachten sehen wir uns wieder, dann hab' ich Dir noch viel zu erzählen. Aber ich werde dann wohl sehr in Ungnade sein.

      Deine Ellen.

      Ist Fritz H. noch auf der Schule? Seit ich Editha habe, bin ich lange nicht mehr so verliebt in ihn. Hier ist überhaupt niemand in Jungens verliebt, wer keine Flamme hat, schwärmt für den Pfarrer. Aber nun leb wohl.

      Deine Ellen.

      Am Neujahrstage saß Ellen in ihrer Heimatskirche und legte wie in Kinderzeiten glühende Besserungsgelübde zu Gottes Füßen nieder. Ein furchtbares Unwetter von elterlichem Zorn war über sie hingebraust, und der Vater hatte lange und ernst mit ihr gesprochen. »Was soll denn aus dir werden, wenn sie dich nun fortschicken und es immer so weiter geht?«

      Ihr war selbst bange geworden, was aus ihr werden sollte, aber es war ja noch nicht zu spät, sie wollte sich wirklich ändern, sich mehr im Zaume halten.

      Aber sie fühlte sich doch nicht ganz sicher, und dies Gefühl wurde noch stärker, als sie wieder in der Pension war. Die ersten Wochen ging es ganz gut. Unter den jungen Mädchen war jetzt viel von der Konfirmation die Rede. Der Pfarrer hatte damit angefangen, ihnen die Grundlagen und das Wesen des Christentums zu erzählen, dann kamen die einzelnen Gebote und ihre Beziehung auf das Leben – der ganze schwerwiegende Ernst, der in all den Drohungen und Verheißungen lag – Gottes Zorn und Gottes Gnade. Als die Sünde wider den heiligen Geist besprochen wurde – die Sünde des Gläubigen, der mit vollem Bewußtsein die Gnade verscherzt, die furchtbarste, äußerste Sünde, für die keine Vergebung ist, folgten sie angstvoll jedem seiner Worte und zitterten bis in die tiefste Seele hinein unter demselben Gedanken: und wenn nun ich sie begangen hätte?

      Sie sollten nun bald zum erstenmal an den Altar Gottes treten und davor stand das Wort: Wer aber unwürdig isset und trinket, der isset und trinket sich selber das Gericht. Wie ein Schauer lief es durch die Reihe der zwölf jungen Mädchen, die andächtig auf ihrer Schulbank saßen, und zugleich lag ein mächtiger Reiz darin, schuldvoll und niedergeschlagen vor diesem Mann dazustehen, der ihnen bis ins tiefste Innere schauen konnte und wußte, was Sünde war.

      Für Ellen war der Pfarrer von allen Vorgesetzten der einzige, zu dem sie Vertrauen hatte. Er bekam alles zu wissen, was man tat, und wie oft hatte sie ihm schon nach der Stunde in den großen Saal folgen müssen, um eine Vermahnung zu bekommen, aber er schalt nicht, suchte sie nicht zu beschämen oder zu demütigen wie die Pröpstin, er fand jedesmal ein gutes Wort und ein verstehendes Lächeln. Dafür war Ellen auch in seinen Stunden die Aufmerksamkeit selbst und lernte die längsten Psalmen auswendig, um ihm Freude zu machen.

      Mit Editha war sie immer noch viel zusammen und schwärmte sie in namenloser Hingebung an. Sie hatte das Herz voller Anbetung und den Kopf voller Verse, bei Tisch, in den Stunden und abends im Bett, immer fand sie wieder neue Reime zusammen, um die Freundin zu besingen. Editha war die Schönste, die Beste, die Unvergleichliche. Wenn sie abends im Schlafsaal das Haar aufmachte, hing es wie ein dichter Mantel um sie her, die Brauen lagen gleich zwei breiten, schwarzen Strichen über den dunklen, schweren Augen. Und ihre Hände und Füße, die so klein und zierlich waren – man konnte kaum begreifen, daß Editha sie wie andere Menschen gebrauchen konnte.

      Für die alte Vorsteherin gab es viele schwere Stunden. Seit die beiden so eng befreundet waren, schien eine ganze Horde von Teufeln in dem ehrwürdigen alten Gebäude zu spuken. Die ganze erste Klasse war außer Rand und Band, trotz Konfirmationsstunden und quälender Gewissensfragen. Es kam vor, daß den Lehrerinnen Salz ins Bett gestreut wurde, so daß sie die ganze Nacht nicht schlafen konnten, oder dem Kandidaten wurden alle Knöpfe vom Mantel geschnitten und der Hut von oben bis unten mit Kreide bemalt, was dann niemand getan haben wollte. Oder Ellen und Editha wetteten, ob man Tinte trinken und vom höchsten Schrank herunterspringen könnte. Und sie tranken wirklich Tinte und sprangen von den Schränken herunter auf die Fliesen, daß die andern leichenblaß wurden vor Schreck.

      Anfang Februar war Edithas Geburtstag. Ellen träumte eine Zeitlang davon, der Freundin ihre gesammelten Gedichte zu schenken, mit Druckschrift und schön gebunden. Sie schienen ihr aber schließlich doch nicht gut genug, und so wollte sie denn lieber ein Gedichtbuch kaufen. Wer sie gemacht hatte, war ja einerlei, wenn nur recht viel von Liebe drin stand. Es war nicht so einfach, eins zu bekommen, denn das Taschengeld wurde ihr regelmäßig für Strafen abgezogen, und alle Einkäufe gingen durch die Hand der Vorsteherin.

      Ellen zerbrach sich nicht lange den Kopf darüber, sie borgte die kleine Summe zusammen, obgleich Geldleihen streng verboten war, und überredete eine von den letzten Neuen, das Buch auf ihren Namen kommen zu lassen. Es war eine Sammlung von 450 Gedichten.

      Dann lag es eine Nacht unter ihrem Kopfkissen, und sie dachte in fieberhafter Seligkeit daran, wie Editha es morgen an ihrem Platz finden würde.

      Als Ellen vor der ersten Stunde ihre Bücher zusammensuchte, legten sich plötzlich zwei Hände um sie und es ging wie ein Feuerstrom durch ihr Herz; Editha küßte sie auf den Mund. »Das war lieb von dir, kleine Ellen, ich hab' mich so gefreut.«

      In der Arbeitsstunde um Mittag fehlten die beiden Unzertrennlichen. Zufällig kam die Klassenlehrerin herein und fragte nach ihnen, aber niemand hatte sie gesehen. Mademoiselle geriet in Aufregung, suchte und fragte durchs ganze Haus. Um Gottes willen, wo konnten die beiden sein, es war ihnen ja alles zuzutrauen. Die ganze Klasse mußte mitsuchen und es entstand ein förmlicher Tumult. Endlich entdeckte man sie oben im Schlafsaal der Kleinen, auf zwei der entlegensten Betten lagen sie und lasen sich Gedichte vor. Sie machten nicht einmal Miene aufzustehen und wollten sich halb totlachen, als die Mademoiselle wutbleich vor ihnen auftauchte. Dann wurden sie in die Klasse hinuntergeschickt. Das Buch, in dem sie gelesen hatten, nahm die Lehrerin an sich und ging damit zur Pröpstin. Die alte Dame unterzog es einer genauen Prüfung, während sie sich den ganzen Vorfall berichten ließ. Auf dem ersten Blatt stand eine lange Widmung in Versen von Ellens Hand. Wie kam Ellen zu dem Buch, das gestern erst eine andre bestellt hatte? Nun folgte ein Verhör auf das andre, nur Ellen wurde nicht vorgerufen.

      Statt dessen erschien die Vorsteherin nach Tisch selbst in der Klasse, um sie vor allen andern niederzuschmettern. Sie war in großer Toilette, weil sie nachmittags an Hof gehen wollte, die lange Seidenschleppe knisterte wie eine zornige, schwarze Schlange hinter ihr her.

      Ellen stand da, beide Hände in den Schürzenlatz gesteckt und sah ihr gerade in die Augen. Sie wollte zeigen, daß sie sich nicht fürchtete, während die alte Dame mit harten, zischenden Worten auf sie einsprach:

      »Mit dir, Ellen Olestjerne, werde ich von jetzt an nicht mehr unter vier Augen reden, denn du verdienst diese Rücksicht nicht mehr. Du


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