Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow

Die bekanntesten Werke von Tschechow - Anton Pawlowitsch Tschechow


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mir ja auch, gewissermaßen ... Und außerdem geht's ohne das unter Kollegen mal überhaupt nicht ab. Sie haben mich ja auch geschimpft und ... und sind mit den Fäusten auf mich los, aber ich, ich hab' Sie gern! Bei Gott, ich hab' Sie gern! Ich schätze Sie sehr und hab' Sie gern! Na, sagen Sie doch selbst, warum ich Sie so gern habe? Sie sind mit mir weder verwandt, noch verschwägert oder verheiratet, aber wie ich hörte, Sie wären unwohl, ist es mir durch und durch gegangen, wie ein Messer.«

      Schukow erklärte ausführlich seine Zuneigung, dann küßte er ihn, und schließlich ging sein Gefühl ganz mit ihm durch, so daß er hysterisch zu lachen anfing und sogar beabsichtigte, in Ohnmacht zu fallen. Aber es fiel ihm wohl ein, daß er weder bei sich zu Hause noch im Theater war, und so verschob er die Ohnmacht auf eine passendere Gelegenheit und fuhr ab.

      Bald nach ihm erschien der erste Held, Adabaschew, ein finsterer, halbblinder Mensch, der durch die Nase sprach ... Er schaute Tschipzow lange an, dachte lange nach und machte dann plötzlich folgende Entdeckung:

      »Weißt du was, Misa,« er sagte Misa statt Mischa und gab seinem Gesicht einen geheimnisvollen Ausdruck. »Weißt du was?! Du mußt Rizinusöl einnehmen!!«

      Tschipzow schwieg. Er schwieg auch, als ihm der erste Held bald darauf das widerliche Oel in den Mund goß. Zwei Stunden nach Adabaschew trat der Theaterfriseur Jewlampij ins Zimmer, oder, wie ihn die Schauspieler, Gott weiß, weshalb, nannten: Rigoletto. Wie der erste Held schaute er Tschipzow lange an, dann seufzte er wie eine Lokomotive, und begann langsam und bedächtig das Bündel aufzuknoten, das er mitgebracht hatte. In dem Bündel befanden sich etwa zwei Dutzend Schröpfköpfe und einige Fläschchen.

      »Hätten Sie mich doch rufen lassen, dann hätte ich Sie längst geschröpft!« sagte er zärtlich und entblößte Tschipzows Brust. »Man darf die Krankheit nicht einreißen lassen!«

      Hierauf strich Rigoletto mit der flachen Hand über die breite Brust des Heldenvaters und besäte sie von oben bis unten mit blutsaugenden Schröpfköpfen.

      »Ja,« sagte er, während er nach dieser Operation seine von Tschipzows Blute befleckten Instrumente wieder in das Bündel packte. »Hätten Sie nur nach mir geschickt, ich wäre schon gekommen ... Wegen der Bezahlung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen ... Ich tu's aus Menschlichkeit ... Wo sollen Sie's hernehmen, wenn dieses Ungeheuer keine Gagen zahlen will? Jetzt seien Sie so gut und nehmen Sie diese Tropfen. Sie schmecken sehr gut! Und jetzt trinken Sie, bitte, ein bißchen Oel. Das allerreinste Rizinusöl. So! Prost! Und jetzt, leben Sie wohl ...«

      Rigoletto nahm sein Bündel und entfernte sich, zufrieden mit dem Werk seiner Nächstenliebe.

      Am Morgen des nächsten Tages kam der Komiker Sigajew zu Tschipzow und traf ihn im schrecklichsten Zustande. Er lag, mit seinem Paletot zugedeckt, atmete schwer und ließ seine irren Augen über die Decke schweifen. In den Händen knutschte er krampfhaft die zusammengeknüllte Bettdecke.

      »Nach Wjasma!« flüsterte er, als er den Komiker erblickte: »Nach Wjasma!«

       »Freundchen, ich muß wirklich sagen, das gefällt mir nicht,« sagte der Komiker, lebhaft mit den Händen gestikulierend, »sieh mal ... sieh mal ... sieh mal, Freundchen, das ist nicht gut! Entschuldige, aber ... wahrhaftig, das ist sogar dumm ...«

      »Nach Wjasma will ich! Bei Gott, nach Wjasma!«

      »Ich ... Das hätte ich nicht von dir erwartet!« knurrte der Komiker ganz fassungslos. »Weiß der Teufel! Was hat dich so kaputt gemacht! Aeh ... äh ... äh ... das ist nicht gut! Ein Riese, lang wie ein Leuchtturm, und heult. Kann ein Komödienspieler überhaupt weinen?«

      »Keine Frau, keine Kinder,« murmelte Tschipzow, »wär' ich doch nie zum Theater gegangen, wär' ich in Wjasma geblieben! Das Leben ist hin, Ssemjon! Ach, ich möchte nach Wjasma!«

      »Aeh ... äh ... äh ... das ist nicht gut! Das ist sogar dumm ... ja, es ist ekelhaft!«

      Sigajew beruhigte sich dann, brachte Ordnung in seine Gefühle und begann Tschipzow zu trösten. Er log ihm vor, die Kollegen wollten ihn auf gemeinsame Kosten in die Krim schicken, und so weiter. Aber der andere hörte nicht zu und murmelte immer wieder was von Wjasma ... Endlich machte der Komiker eine wegwerfende Handbewegung und fing selbst an, von Wjasma zu sprechen, um den Kranken zu beruhigen.

      »Eine schöne Stadt!« begütigte er: »Eine herrliche Stadt, alter Freund! Berühmt durch ihre Pfefferkuchen. Die Pfefferkuchen sind klassisch, aber mit Respekt zu sagen – ich habe gewissermaßen – – – zu viel davon gegessen. Nachher war mir eine ganze Woche so gewissermaßen ... Aber was da gut war, das war der Kaufmann. Das ist der Kaufmann aller Kaufleute. Wenn der einen freihält, hält er einen auch frei!«

      Der Komiker sprach, und Tschipzow schwieg, lauschte ihm und nickte zustimmend mit dem Kopf.

      Gegen Abend starb er.

      Im Alter

       Inhaltsverzeichnis

       Übersetzt von Wladimir Czumikow

      Der Architekt Staatsrat Uselkow war in seine Vaterstadt gekommen, wohin man ihn zur Restaurierung der Friedhofskirche berufen hatte. In dieser Stadt war er geboren, hatte dort die Schule besucht und endlich sich verheiratet, aber als er aus dem Waggon gestiegen war, erkannte er die Stadt kaum. Alles hatte sich verändert... Vor achtzehn Jahren, als er nach Petersburg übersiedelte, da fingen z.B. auf dem Platz, wo jetzt der Bahnhof steht, die Knaben Hamster; jetzt erhebt sich an der Einfahrt zur Hauptstraße das »Grand-Hotel Vienne«, und früher stand an dieser Stelle ein häßlicher, grauer Zaun. Aber nichts, weder der Zaun noch die Häuser, hatte sich so verändert, als die Menschen. Eine Ausfrage des Hotelkellners belehrte ihn, daß die Hälfte der Menschen, die er gekannt hatte, gestorben, verarmt und vergessen war.

      »Erinnerst du dich Uselkows?« fragte er den alten Kellner nach sich selbst. »Uselkows, des Architekten, der sich von seiner Frau scheiden ließ ... Er hatte noch ein Haus in der Swirejebewstraße ... Du erinnerst dich doch ...«

      »Nein ...«

      »Ach, wieso denn! Es war doch eine Geschichte, von der alle Droschkenkutscher sprachen. Denk' mal nach! Den Prozeß führte der Anwalt Schapkin, ein Spitzbube ... ein bekannter Falschspieler, derselbe, der einmal im Klub durchgeprügelt wurde...«

      »Iwan Nikolajewitsch?«

       »Nun natürlich ... Lebt er noch? Ist er tot?«

      »Der Herr lebt gottlob noch ... Ist jetzt Notar, hat ein Bureau ... Führt ein schönes Leben ... Zwei Häuser in der Kirpitschnajastraße ... Hat kürzlich seine Tochter verheiratet ...«

      Uselkow ging einigemal im Zimmer auf und ab, überlegte sich's und beschloß aus Langweile, Schapkin aufzusuchen. Es war gegen Mittag, als er das Gasthaus verließ und seine Schritte in die Kirpitschnaja lenkte. Schapkin traf er am Bureau und erkannte ihn kaum. Aus einem schlanken, gewandten Anwalt, mit einer beweglichen, frechen, ewig betrunkenen Physiognomie, hatte Schapkin sich in einen bescheidenen, sllberhaarigen, gebrechlichen Greis verwandelt.

      »Sie erkennen mich wohl nicht ...« begann Uselkow. »Ich bin Ihr ehemaliger Klient, Uselkow ...«

      »Uselkow? Was für ein Uselkow? Ah!«

      Schapkin erkannte ihn und war vor Freude ganz hin. Ausrufe, Fragen, Erinnerungen wechselten miteinander.

      »Das hätt' ich nie erwartet! Nie geglaubt!« gackerte Schapkin. »Was soll ich Ihnen denn vorsetzen? Wünschen Sie Sekt? Austern vielleicht? Mein Bester, ich habe Ihnen seinerzeit viel Geld abgenommen, daß ich gar nicht weiß, womit ich Sie bewirten soll ...«

      »Bitte, beunruhigen Sie sich nicht,« sagte Uselkow »Ich habe Eile ... Ich muß gleich auf den Friedhof fahren, um die Kirche in Augenschein zu nehmen ... Ich habe einen Auftrag erhalten ...«

      »Vorzüglich. Wir frühstücken, trinken ein Schnäpschen und fahren dann zusammen! Ich habe vortreffliche Pferde! Ich werde Sie hinbringen und mit dem Vorsteher


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