Die vergessene Schuld. Stefan Bouxsein

Die vergessene Schuld - Stefan Bouxsein


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nicht verstehst, kannst du mich gerne fragen.«

       »Das ist nett, danke. Aber am besten kann ich lernen, wenn ich mich alleine mit einem Thema beschäftige.«

       Ich setzte mich auf den Stuhl neben Melanie. »Das geht mir ebenso. Aber spätestens nach zwei Stunden an einem Thema muss ich mich mit etwas anderem ablenken. Du sitzt doch bestimmt auch schon bald zwei Stunden hier und brütest, oder?«

       Melanie schaute auf ihre Uhr. »Stimmt. Es sind jetzt fast genau auf die Minute zwei Stunden. Aber ich bin leider noch nicht ganz durch mit dem Kapitel.«

       »Wenn du möchtest, können wir noch einen Kaffee trinken gehen, wenn du mit dem Kapitel fertig bist. Dabei kann ich dein neu gewonnenes Wissen ja mal abfragen.«

       »Das macht normalerweise mein Bruder Max. Der studiert auch Architektur, ist mir aber ein paar Semester voraus. Aber ein Kaffee würde mir bestimmt guttun. Gerne.«

       Melanie lächelte mich verlegen an. Ich bekam bei den Semesterarbeiten immer die besten Noten und Melanie wusste das. Sie erkannte natürlich sofort den Vorteil für sich, wenn sie mit dem Klassenprimus einen Kaffee trinken ging. Dass ich außer den Gesetzen der Statik auch die Kunst des Verführens beherrschte, war ihr anscheinend noch nicht bekannt. Von meinem Techtelmechtel mit Julia schien sie noch nichts zu wissen. Ich legte meine Hand auf ihren Arm und drückte sie leicht. »Ich warte draußen auf dich. Mit dem Kapitel bist du ja schnell durch.«

      Siebels unterhielt sich kurz mit den beiden Beamten, die in der Falkstraße vor dem Haus postiert waren, in dem Jana Mangold wohnte. »Sind euch irgendwelche verdächtigen Personen aufgefallen, die sich vor dem Haus rumgetrieben haben oder reingegangen sind?«

      »Nein, niemand«, antwortete der Beamte, der am Steuer des zivilen Einsatzfahrzeuges saß. »Außer den Bewohnern des Hauses hat sich niemand Zutritt verschafft. Die Frau Mangold ist nicht aufgetaucht, sonst hätten wir ja gleich Meldung gemacht.«

      Siebels ließ sich die Schlüssel zur Haus- und Wohnungstür geben, die der Vermieter der Polizei ausgehändigt hatte. Im Treppenhaus kam ihm eine junge Frau entgegen. Sie hatte Ohrstöpsel in den Ohren und wippte mit dem Kopf im Takt zur Musik, die aus ihrem MP3-Player kam. Siebels versperrte ihr den Weg und zeigte ihr seinen Dienstausweis. Die junge Frau nahm die Stöpsel aus den Ohren.

      »Oh, Kriminalpolizei«, sagte sie eingeschüchtert. »Ist Jana etwas zugestoßen?«

      »Sind Sie mit Frau Mangold befreundet?«

      »Ja, mehr oder weniger. Wir haben uns öfter mal zusammengesetzt und getratscht. Bei ihr oder bei mir bei einem Glas Wein. Aber ausgegangen sind wir nie zusammen. Also eher gute Nachbarn als Freunde. Ihre Kollegen haben ja schon bei mir geklingelt und mich gefragt, ob ich etwas mitbekommen hätte. Habe ich aber nicht. Was ist denn passiert?«

      »Das wüsste ich auch gerne«, sagte Siebels. »Leider ist sie verschwunden. In ihre Wohnung wurde eingebrochen, das wissen Sie ja sicherlich.«

      »Ja, das kaputte Türschloss und das Polizeisiegel sind ja nicht zu übersehen. Sollte ich besser ein zweites Sicherheitsschloss anbringen?«

      »Das kann bestimmt nicht schaden. Eingebrochen wird immer wieder. Aber hier scheint es sich nicht um einen gewöhnlichen Einbruch zu handeln. Wann haben Sie denn das letzte Mal mit Frau Mangold zu einem Tratsch zusammengesessen?«

      »Oh ja, da muss ich überlegen. Das ist jetzt schon ein paar Wochen her. Da war es noch richtig heiß. Das muss Anfang August gewesen sein.«

      »Hat Frau Mangold da irgendwelche Andeutungen gemacht? Fühlte sie sich vielleicht verfolgt oder bedroht?«

      »Nein, ganz im Gegenteil. Sie war ganz gut drauf. Sie hat auch etwas mehr getrunken als üblich. Wir haben bei mir auf dem Balkon gesessen. Als sie dann spätabends rüber in ihre Wohnung gegangen ist, war sie ziemlich beschwipst.«

      »Hatte sie vielleicht einen besonderen Grund, gut drauf zu sein?«

      »Ja, sie hat erzählt, dass sie ihren Job im Seniorenheim bald aufgeben würde und wieder studieren wollte.«

      »Was wollte sie denn studieren?«

      »Architektur. Sie hat schon einmal damit angefangen, musste dann aber aufhören, weil das Geld nicht gereicht hat.«

      »Architektur. Das ist ja interessant. Hat sie Ihnen gegenüber jemals den Namen Silber erwähnt? Robert Silber? Oder Julia Silber?«

      »Silber, ja, da war was. Das war sogar an jenem Abend. Aber nicht Robert und auch nicht Julia. Es ging um ein Architekturbüro. Das hat sie erwähnt, als sie erzählte, dass sie wieder studieren will.«

      »Was hat sie diesbezüglich genau gesagt? Das ist jetzt wirklich sehr wichtig. Versuchen Sie sich zu erinnern.«

      Die junge Frau dachte angestrengt nach. »Das ist schon komisch, aber sie hat nur ganz vage Andeutungen gemacht. Als wäre das bald ihr Büro, wenn sie das mit dem Studium durchgezogen hätte.«

      »Ihr Büro? Wie das?«

      »Keine Ahnung. Das habe ich sie auch gefragt. Sie hat nur etwas von irgendwelchen alten Verbindungen erzählt. Ich habe keine Ahnung, was sie damit genau gemeint hat.«

      »Vielleicht etwas Familiäres?«, hakte Siebes nach.

      »Von Familie hat sie nicht gesprochen. Nur von irgendwelchen alten Geschichten, die jetzt wieder aufgewärmt werden würden. Mehr hat sie nicht gesagt, dann haben wir das Thema gewechselt. Ich glaube, ihr war es unangenehm, dass das überhaupt zur Sprache kam. Sie hat das auch erst erwähnt, als sie nicht mehr ganz nüchtern war.«

      »Sie haben mir sehr geholfen. Falls sich neue Fragen ergeben, würde ich Sie gerne anrufen.« Siebels notierte sich ihre Handynummer.

      »Können Sie mich auch anrufen, wenn Sie rausgefunden haben, was passiert ist? Ich meine, falls ihr etwas zugestoßen sein sollte.«

      »Das kann ich machen. Aber momentan glaube ich nicht, dass ihr etwas zugestoßen ist. Ich denke, sie ist nur untergetaucht. Wissen Sie eigentlich etwas über die Eltern von Frau Mangold?«

      »Die sind beide tot. Jedenfalls ihre Mutter. Irgendeine Krankheit, Jana hat nicht gerne darüber gesprochen. Ihren Vater kannte sie gar nicht. Der lebt vielleicht noch und war nur für Jana tot. Das weiß ich aber nicht.«

      »Sie leben allein hier in Ihrer Wohnung?«

      »Ja. Ich studiere Medizin. In ein paar Monaten fange ich mit meinem praktischen Jahr im Elisabethen-Krankenhaus an.«

      »Das ist ja gleich um die Ecke, sehr praktisch. Jetzt will ich Sie aber nicht länger aufhalten. Hier, nehmen Sie noch meine Karte, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte.«

      »Ich heiße übrigens Britta. Britta Hübner. Dritter Stock links. Tschüss.«

       Ich musste nicht lange auf Melanie warten. Mit drei Büchern unter dem Arm kam sie aus der Bibliothek. Gemeinsam schlenderten wir zwei Straßen weiter in eines der gemütlichen kleinen Cafés im Nordend, die fast nur von Studenten besucht wurden. Ich lotste Melanie in eine hintere Ecke, wo wir uns ungestört unterhalten konnten. Nachdem wir beide unsere Bestellung aufgegeben hatten, einen Milchkaffee für mich, einen Latte für Melanie, lenkte Melanie das Gespräch auch gleich auf eine fachliche Basis. In einem ihrer Bücher gab es eine Aufgabe, die sie nicht lösen konnte. Und das ließ ihr keine Ruhe. Sie schlug das Buch auf, zeigte mir die Aufgabenstellung und erzählte mir von ihren Lösungsversuchen, mit denen sie bisher gescheitert war. Ich kannte das Buch und die Aufgabe, behielt das aber für mich. Stattdessen tat ich so, als wäre das ganz neu für mich und grübelte eine Weile über dem Buch. Unsere Getränke standen bereits auf dem Tisch, ich nahm mir Block und Stift von Melanie und kritzelte nachdenklich drauflos. Schrieb einige Formeln auf, stellte sie um, kürzte Brüche und kam schließlich zum richtigen Endergebnis. Melanie freute sich wie ein kleines Kind, verstand aber noch


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