Die vergessene Schuld. Stefan Bouxsein

Die vergessene Schuld - Stefan Bouxsein


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bringen.«

      »Ich kann ja zwischendurch immer mal mein Ohr auf deinen Bauch legen und hören, was Sache ist. Damit ich keinen Fehler mache«, seufzte Till.

      »Unterstehe dich«, ermahnte ihn Siebels und betätigte die Türklingel. Kurz darauf wurde die Tür von einer Frau geöffnet. Siebels und Till zeigten ihre Ausweise. »Frau Silber?«, erkundigte sich Siebels.

      »Ja, ich bin Hannelore Silber. Sie wollen sicher zu Eva und Hartmut Silber, den Eltern von Robert.«

      Hannelore Silber trug ein graues Kleid. »Unser Hausarzt hat Eva etwas zur Beruhigung gegeben, aber sie sitzt mit uns im Wohnzimmer. Kommen Sie bitte.«

      Wie Siebels vermutet hatte, waren alle Familienmitglieder versammelt. Eva Silber saß auf einem Sessel. Sie wirkte erschöpft und man sah ihr an, dass sie in den letzten Stunden viel geweint hatte. Julia saß auf dem Fußboden neben dem Sessel und hielt die Hand ihrer Mutter. Auch ihr Gesicht zeugte von vielen vergossenen Tränen. Auf dem Sofa saßen Hartmut und Hermann sowie dessen Sohn Max. Auf dem zweiten Sessel thronte Almut Silber in einem dunkelblauen Samtkleid. Ihr weißes Haar trug sie hochgesteckt. Hinter ihrem Sessel stand Melanie.

      »Die Herren sind von der Kriminalpolizei«, sagte Hannelore Silber. Alle Augenpaare richteten sich auf Siebels und Till. Nur Eva Silber nahm keine Notiz von ihnen.

      Hermann Silber ging in die Küche und kam mit zwei Stühlen zurück. Siebels drückte den Familienangehörigen sein Beileid aus, bevor er sich setzte. Till murmelte etwas verlegen das Gleiche.

      »Haben Sie schon etwas herausgefunden?«, wollte Hartmut Silber wissen.

      »Nein, leider nicht. Die Ergebnisse der Spurensicherung liegen uns noch nicht vor. Wenn es DNA-Spuren vom Täter gibt, sind wir schon ein ganzes Stück weiter.«

      »Und wenn nicht?«, fragte Hartmut Silber resigniert.

      »Wir werden den Täter finden, da bin ich mir sicher.« Siebels schaute sich in der Runde um. »Haben Sie eigentlich Ihren Vater schon informiert?« Siebels richtete seine Frage an Hermann Silber.

      »Der wohnt hier nicht mehr«, antwortete Almut Silber mit fester Stimme.

      »Ich weiß. Er wohnt in der Seniorenresidenz Sonnenschein. Ich habe ihn schon kennen gelernt.«

      »Dann wissen Sie ja auch, wie es um ihn steht. Er braucht seine Ruhe und muss den ganzen Tag über betreut werden. Wenn Sie Fragen haben, fragen Sie besser meine Söhne.«

      »Ach ja? Ihr Mann kam aber zu mir. Er suchte mich im Präsidium auf.«

      Almut Silber schaute Siebels verwundert an. »Er kam ins Präsidium? Er weiß doch noch gar nichts von der schrecklichen Sache. Oder doch?« Almut Silber blickte prüfend ihre Enkel an.

      »Wir hätten Opa heute Abend herholen sollen«, sagte Julia.

      »Rede keinen Unsinn, Kind. Schau dir deine Mutter doch an. Deinen Opa hätte sie nicht auch noch verkraftet.« Almut Silber machte deutlich, dass sie keine Widerrede duldete. »Wieso war er im Polizeipräsidium?«, fragte sie nach.

      Siebels räusperte sich. »Er hat einen Mord gemeldet. Den Mord an Juliane Mangold.«

      Die Familienmitglieder sahen sich gegenseitig an. Niemand wagte es, etwas darauf zu erwidern. Siebels hatte den Eindruck, dass alle Anwesenden Angst hatten, etwas zu sagen, was Almut missfiel.

      »Er redet leider nur noch wirres Zeug«, kommentierte Almut Silber schließlich. »Dass er dafür aber zum Polizeipräsidium geht, gibt mir doch sehr zu denken. Ich werde gleich morgen mit der Heimleitung sprechen. Die können ihn doch nicht mutterseelenallein in der Gegend herumlaufen lassen. Nicht auszudenken, was er alles anstellen könnte, so ganz ohne Aufsicht. Wofür bezahlen wir eigentlich jeden Monat diesen Heimplatz? Doch wohl für seine Betreuung.«

      »So wirres Zeug hat Ihr Mann aber gar nicht von sich gegeben. Der Mord, den er gemeldet hat, den gab es tatsächlich. Ein ungeklärter Mordfall, der vor über fünfzig Jahren geschehen ist.«

      Hartmut Silber erhob sich von seinem Platz. »Na und? Mein Sohn ist tot. Er wurde ermordet. Nicht vor fünfzig Jahren, sondern hier und jetzt. Ich will wissen, warum. Und ich will wissen, wer es war. Und wenn Sie es nicht rausfinden, dann finde ich es heraus.«

      »Wann waren Sie das letzte Mal in der Wohnung Ihres Sohnes?«, wollte Till wissen.

      »Was?«, fragte Hartmut Silber. »Wieso?«

      »Wissen Sie, für welche Bücher er sich interessiert hat?«

      »Bücher? Was soll das jetzt? Er hat viele Bücher über Architektur gelesen. Er wollte Architekt werden.«

      »Ja, er hatte einige Bücher zu diesem Thema. Und auch einige Bücher zu einem anderen Thema.«

      Max Silber schaltete sich zaghaft in das Gespräch ein. »Ich denke, das gehört jetzt nicht hierher.«

      Till wollte dem widersprechen, doch Siebels kam ihm zuvor. »Lassen wir das jetzt. Ich habe für heute nur noch eine Frage. Kennen Sie alle die Pflegerin von Otto Silber im Heim?«

      »Das wird ja immer doller«, ereiferte sich Hartmut Silber. »Mein Sohn wird ermordet und die Polizei interessiert sich anscheinend nur für meinen dementen Vater. Was soll die Frage?«

      »Sie heißt Jana, ist Anfang zwanzig, hat schwarzes langes Haar. Kennen Sie sie? Haben Sie jemals mit ihr gesprochen?«

      »Ich kenne sie«, sagte Julia. »Ich habe mich ein paar Mal mit ihr unterhalten, wenn ich Opa besucht habe. Sie ist sehr nett.«

      »Ich kann mich auch an sie erinnern«, meldete sich jetzt auch Hannelore Silber zu Wort. »Aber gesprochen habe ich nie mit ihr.«

      Melanie und Max bestätigten ebenfalls, dass sie Jana schon gesehen hatten. Eva Silber blickte weiter teilnahmslos vor sich hin.

      »Und Sie?«, wollte Siebels von Almut Silber wissen.

      »Auf das Personal habe ich nie besonders geachtet. Wahrscheinlich habe ich sie mal gesehen, aber ich kann mich jetzt nicht an so eine Person erinnern.«

      »Warum wollen Sie das wissen?«, fragte Hermann Silber.

      Siebels legte sich seine Antwort wohlüberlegt zurecht. »Bei der jungen Frau wurde eingebrochen. Vielleicht ist ihr auch etwas zugestoßen. Es ist zwar nur eine vage Vermutung, aber wir wollen momentan noch nicht ausschließen, dass das mit dem Mord an Ihrem Sohn in Zusammenhang steht.«

      »Das verstehe ich nicht«, sagte Hannelore Silber.

      »Die Polizei macht nur ihre Arbeit«, erklärte ihr Hermann. »Otto ist der Opa von Robert und ein Patient von dieser Frau. Da es durch Otto eine Verbindung zwischen diesen beiden Fällen gibt, prüft die Polizei nun, ob es da Zusammenhänge gibt. Stimmt doch, oder?«

      »Besser hätte ich es nicht erklären können«, bestätigte Siebels. Anschließend ließ er sich von allen Familienmitgliedern die Handynummern und Büronummern geben, bevor er mit Till das Haus wieder verließ.

      Eine Stunde später betrat Siebels seine Wohnung. Es war bereits nach acht. Sabine Karlson saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und war in ein Buch vertieft.

      »Hallo, mein Schatz«, begrüßte Siebels sie.

      Sabine schaute ihn wortlos an. Dann blickte sie wortlos auf ihre Uhr.

      »Es ist etwas später geworden«, sagte Siebels erschöpft.

      »Ein neuer Fall?«, fragte Sabine wie beiläufig.

      »Ja, ein Student wurde erschlagen. Ich habe mit Till noch die Familie besucht. Eine große Familie, drei Generationen wohnen in einem Haus.«

      »Warum hast du nicht angerufen? Ich habe dich schon vor drei Stunden erwartet.«

      »Na ja, du weißt ja, wie das ist. Eines kommt zum anderen und dann ist der Tag schneller rum, als man gucken kann.«

      »Ja, das kenne ich. Aber jetzt kannst du ja die Füße hochlegen und ein Bier trinken.«


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