Die vergessene Schuld. Stefan Bouxsein

Die vergessene Schuld - Stefan Bouxsein


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      Siebels begriff langsam. Otto Silber hatte nie erfahren, was mit seiner großen Liebe geschehen war. Wahrscheinlich wurde er damals sogar des Mordes verdächtigt. Es war Zeit, die Frau von Otto Silber kennen zu lernen. »Die Jana, die mögen Sie aber auch sehr, nicht wahr?«, versuchte Siebels den Bogen in die Gegenwart zu spannen.

      Der Gesichtsausdruck von Otto Silber verfinsterte sich. Er griff nach seinem Stock, der neben ihm stand. »Wo ist sie denn, die Jana? Haben Sie ihr etwas angetan? Haben Sie sie erschlagen?« Otto Silber wurde wütend und fing an, mit seinem Stock nach Siebels zu schlagen. »Jana«, rief er laut und verzweifelt. »Jaaaanaaa. Wo bist du?«

      »Beruhigen Sie sich, Herr Silber. Jana hat Urlaub. Sie kommt in ein paar Tagen wieder.«

      »Lügen Sie mich nicht an«, schrie Otto Silber. Ein Speichelfaden hing an seinem Mundwinkel. »Sie haben meine Jana totgehauen. Mörder!«

      Otto Silber schlug immer heftiger mit seinem Stock aus. Er zertrümmerte seine Schreibtischlampe und traf Siebels am Arm. »Jaaanaa«, schrie er jetzt hysterisch. Siebels flüchtete sich in eine Ecke des Zimmers. Die Tür ging auf und Frau Hebenstein kam mit einem Pfleger herein. Der Pfleger kümmerte sich um Herrn Silber und Frau Hebenstein führte Siebels aus dem Zimmer.

      Fluchend und rauchend stand Siebels kurz darauf auf dem Parkplatz der Seniorenresidenz. Er hatte es vermasselt. Er hatte aber auch keine Ahnung, wie er es besser hätte anstellen können. Das Lied von Pippi Langstrumpf meldete einen Anruf von Till. Siebels hörte rauchend zu, was Till ihm berichtete. »Ein gewöhnlicher Einbruch? Oder hat da jemand ganz gezielt etwas gesucht?«

      »Woher soll ich das wissen?«

      »Was sagt denn dein Polizistengefühl?«

      »Das sagt mir, dass sich gerade ganz schwarze Wolken über deiner glanzvollen Hochzeit breitmachen.«

      Siebels schaute auf die Uhr. Er hätte schon längst wieder zuhause sein sollen, um sich um die letzten Vorbereitungen zur Feier zu kümmern. »Gibt es vielleicht Kampfspuren? War sie da, als die Wohnung durchsucht worden ist?«

      »Blutspuren gibt es keine. Soll ich die Spurensicherung kommen lassen?«

      »Ja, auf jeden Fall. Und zwei Kollegen sollen sich vor dem Haus postieren. Ich will sofort Bescheid haben, wenn sie auftaucht. Der alte Herr ist eben total ausgeflippt, als ich ihn nach Jana Mangold gefragt habe. Ich gehe jede Wette ein, dass er ihr leiblicher Opa ist.«

      »Ist das dann ein Zufall, dass sie ihn als Pflegerin im Heim kennen lernt?«

      »Wenn ich das wüsste. Wir müssen rauskriegen, was aus der Tochter von Juliane Mangold geworden ist. Janas Mutter, wenn wir nicht völlig danebenliegen.«

      »Verrennst du dich da nicht? Unser Fall heißt jetzt Robert Silber. Selbst wenn der ein Cousin von Jana Mangold ist, wusste er das wahrscheinlich gar nicht.«

      »Er vielleicht nicht. Aber Jana Mangold weiß mit Sicherheit viel mehr, als sie uns Glauben machen wollte. Vielleicht ist sie ja jetzt bei ihrer Mutter untergekrochen. Darum kümmern wir uns morgen als Erstes. Eigentlich müsste ich jetzt Feierabend machen. Sabine erwartet mich schon.«

      »Sie schöpft bestimmt schon Verdacht«, vermutete Till.

      »Sie war ja auch eine erstklassige Polizistin. Sogar unser werter Herr Staatsanwalt hat sich lobend über ihre Arbeit ausgelassen. Deswegen zeigt sie bestimmt auch Verständnis, wenn ich mal etwas später heimkomme. Wir zwei sollten heute Abend nämlich der Familie Silber noch einen Besuch abstatten.«

      5

       83 Tage vor Roberts Tod

       Eva bestellte sich einen alkoholfreien Cocktail. Die Bar, in die wir gegangen waren, lag nur wenige Gehminuten von dem Fitnessstudio entfernt. »Was treibt einen jungen, schlanken Mann wie Sie ins Fitnesscenter? Warum spielen Sie nicht Fußball oder Handball?«, fragte sie mich.

       »Der Grund sitzt vor mir«, antwortete ich leicht verlegen. »Wollen wir uns nicht lieber duzen?«

       Eva stieß mit mir an. »Ich heiße Eva.«

       »Justus«, stellte ich mich vor.

       »Als ich jung war, hat man sich danach geküsst«, erklärte mir Eva und beugte sich zu mir. Ich kam ihr entgegen, unsere Lippen berührten sich kurz. »Warum baggerst du verheiratete, ältere Frauen an, Justus? Machst du das öfter?«

       Eva war so herrlich direkt. Wahrscheinlich fühlte sie sich wegen des Altersunterschiedes mir gegenüber auch überlegen. Ich war sehr gespannt, was der Abend noch mit sich bringen würde. »Eigentlich nicht. Ich hatte noch nie etwas mit einer älteren Frau. Mit den jüngeren war es aber immer ziemlich langweilig, irgendwie.«

       »Wie, irgendwie?« Eva genoss unser Gespräch.

       Ich schaute Eva in die Augen und schwieg einen Moment. Suchte nach der richtigen Antwort. Eva hielt meinem Blick stand.

       »Man kann mit reiferen Frauen viel interessantere Gespräche führen«, sagte ich verträumt.

       Eva lächelte mich an. »Nur Gespräche führen?«, fragte sie provokant.

       »Möchtest du mehr?«, fragte ich etwas schüchtern.

       Eva legte ihre Hand auf meine, streichelte sanft über meinen Handrücken und zog ihre Hand nach wenigen Sekunden wieder zurück. »Vielleicht«, sagte sie und schaute mich verträumt an.

       »Ich würde dich gerne öfter sehen«, gestand ich ihr.

       »Du weißt ja, wo du mich findest. Ich muss jetzt los. Vielen Dank für die Einladung.« Eva erhob sich und verabschiedete sich von mir mit einem Küsschen auf die Wange. Ich schaute ihr noch eine Weile hinterher. Besser hätte es gar nicht laufen können, dachte ich mir und machte mich auch auf den Weg. Direkt zu Julia. Meine süße, kleine Julia erwartete mich bestimmt schon sehnsüchtig.

      Die Familien Silber wohnten unter einem Dach. Idyllisch gelegen, im Frankfurter Stadtteil Praunheim, hatte Otto Silber das Haus ganz in der Nähe vom Flussufer der Nidda geplant. In einer kleinen Seitenstraße der Praunheimer Landstraße wohnte man fast noch dörflich ruhig inmitten der vom Fluglärm geplagten Stadt Frankfurt. Es waren nur wenige Gehminuten zum Buga-Gelände, das einst für die Bundesgartenschau genutzt wurde und jetzt als weitläufiges Erholungsgebiet für lange Spaziergänge diente. Im Eichwäldchen hieß die Straße, in der Otto Silber ein altes Haus auf großem Grundstück erworben hatte. Das Haus ließ er abreißen und ein neues, größeres errichten. Viele Jahre lebte er dort mit seiner Frau, seinen Söhnen, Schwiegertöchtern, Enkelinnen und Enkeln, bevor seine Familie ihm das kleine Zimmer in der Seniorenresidenz beschaffte. Im Erdgeschoss lebten Hartmut und Eva Silber. Die Kinder Robert und Julia waren jeweils ausgezogen, als sie mit ihrem Studium anfingen. Das erste Stockwerk bewohnten Hermann und Hannelore Silber, gemeinsam mit ihrer Tochter Melanie. Der Sohn Max lebte in einer Wohngemeinschaft mit zwei Freunden im Frankfurter Nordend. Almut Silber, die Frau von Otto Silber, residierte unter dem Dach. Im Haus gab es einen Aufzug, den Otto Silber wohlweislich für das Alter noch eingeplant hatte.

      Till hatte seine Gold Wing am Präsidium abgestellt, sich den Dienstwagen genommen und damit Siebels an der Seniorenresidenz abgeholt. Jetzt standen sie neben dem geparkten Wagen auf der Straße Im Eichwäldchen vor dem Haus der Silbers. Nur im Erdgeschoss brannte Licht.

      »Wahrscheinlich treffen wir jetzt alle zusammen an«, mutmaßte Siebels.

      »Was machen wir jetzt eigentlich hier? Ermitteln wir ausschließlich im Mordfall Robert Silber oder auch im Fall Juliane Mangold und Jana Mangold?«

      »Der Fall Juliane Mangold ist kein Fall, das ist bestenfalls ein verjährter Fall. Und Jana Mangold ist noch kein Fall und wird hoffentlich auch keiner werden. Aber unter den


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