Die vergessene Schuld. Stefan Bouxsein

Die vergessene Schuld - Stefan Bouxsein


Скачать книгу
über. »Man kann ja nie wissen, was noch so alles passiert.« Ein breites Grinsen machte sich zwischen den Helmschalen breit.

      Till startete die Maschine, Siebels machte es sich auf der ledernen Sitzbank hinter Till bequem. Langsam rollte die Gold Wing zur Ausfahrt und dann schneller von der Adickesallee über die Miquelallee. Siebels genoss seine erste Fahrt auf der Maschine. Till bog rechts Richtung Palmengarten ab. Siebels überlegte, wie viel Till wohl für das Motorrad haben wollte. Die Fahrt hatte kaum fünf Minuten gedauert, als Till auch schon auf den Platz an der Bockenheimer Warte fuhr und das Motorrad vor dem Café abstellte. Der Platz war voller Menschen. Vor der Eisdiele am Türmchen, einem der Punkte der ehemaligen Landwehr, saßen die Leute genauso an den Tischen, wie vor dem Café Extrablatt. Und viele Augenpaare richteten sich auf die zwei Kommissare, die gerade von der Gold Wing stiegen und sich die Helme vom Kopf nahmen.

      »Wir fallen auf«, bemerkte Siebels.

      »Studentenviertel. Hier fährt man entweder Fahrrad oder U-Bahn.« Till verstaute wieder die Helme.

      »Ich weiß gar nicht, wie sie aussieht«, seufzte Siebels und sah sich um.

      Till sah auf die Uhr. »Wir sind auch fünf Minuten zu früh. Warten wir einfach vor dem Eingang.«

      »Schau, schau, die haben ja einen Raucherraum«, frohlockte Siebels. Hinter den großflächigen Fensterscheiben des Cafés lagen zwei wie Wintergärten angelegte Räume, in denen die Raucher saßen. Der eigentliche Innenraum befand sich dahinter.

      »Herr Siebels?« Eine junge Frau stand plötzlich hinter ihnen.

      »Genau der bin ich. Frau Mangold, nehme ich an?« Siebels reichte ihr die Hand. »Schön, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten. Das hier ist übrigens mein Kollege, Herr Krüger.«

      »Tolles Motorrad«, sagte Jana Mangold, als sie Tills Hand schüttelte. »Ich habe Sie von dort hinten gesehen, als Sie gekommen sind.«

      »Mein Kollege meint, ich sollte auf eine Harley umsteigen«, sagte Till achselzuckend.

      »Ja, das sollten Sie vielleicht«, erwiderte Jana Mangold lächelnd.

      »Wollen wir uns hier draußen hinsetzen?«, fragte Siebels und deutete auf einen freien Tisch. »Der Kaffee geht natürlich auf mich.«

      Siebels wartete geduldig, bis der bestellte Milchkaffee serviert war, bevor er zur Zigarette griff. Die erste des Tages. Vor wenigen Wochen noch hatte er zu dieser Tageszeit bereits eine halbe Schachtel weggeraucht. Er genoss den warmen Septembertag, schlürfte aus der großen Kaffeetasse und zog entspannt an seiner Zigarette. Jana Mangold hatte schwarze lange Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Ein blasser Teint, rote Lippen und große braune Augen gepaart mit ihrer zurückhaltenden, aber selbstsicheren Ausstrahlung ließen sie als attraktive Frau erscheinen. Siebels musterte sie neugierig, während er seine Zigarette rauchte.

      »Es geht also um Herrn Silber?«, frage Jana Mangold und blickte abwechselnd zwischen Siebels und Till hin und her.

      »Ja. Er erschien gestern im Polizeipräsidium und landete in meinem Büro. Mein Kollege und ich sind bei der Mordkommission.«

      »Oh«, entfuhr es Jana Mangold. »Ist denn ein Mord passiert?«

      Siebels kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Deswegen wollte ich mich gerne mit Ihnen unterhalten. Herr Silber hat einen Mord gemeldet. Allerdings wusste er nur wenig dazu zu sagen.«

      »Sie wissen aber schon, dass Herr Silber dement ist?«

      »Ja, das ist mir bekannt. Natürlich habe ich auch bemerkt, dass er etwas verwirrt war, als er auf dem Präsidium seine Aussage gemacht hat. Trotzdem möchte ich der Sache gerne nachgehen. Herr Silber sprach von einer Juliane, die ermordet worden wäre. Hat er Ihnen gegenüber auch schon mal solche Andeutungen gemacht?«

      Jana Mangold schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Er redet oft wirres Zeug, müssen Sie wissen. Aber von einer Juliane oder von einem Mord hat er mir gegenüber noch nie etwas gesagt.«

      Till hörte nur mit halbem Ohr zu. Für ihn war das noch kein Fall und das Gespräch mit Jana Mangold eher privater Natur. Er tippte auf seinem Handy herum und schickte Anna Lehmkuhl eine SMS. Er hatte die spontane Idee gehabt, mit ihr nach Feierabend ins Kino zu gehen.

      »Sie sind seine Bezugsperson in dem Heim, hat mir die Heimleiterin, Frau Hebenstein, verraten. War er vielleicht durcheinander, weil Sie jetzt ein paar Tage frei haben? Hat er vielleicht Juliane mit Jana verwechselt? Oder heißen Sie mit vollem Namen sogar Juliane?«

      »Nein, ich heiße Jana. Das ist mein richtiger Name. Und ja, ich bin so etwas wie die Bezugsperson für Herrn Silber. Leider. Von seiner Familie lässt sich ja nur selten mal jemand blicken. Ich glaube, seine Frau schämt sich für ihn. Und seine Söhne können nicht damit umgehen, dass Herr Silber dement ist. Früher haben sie ihn noch öfter besucht. Sie wollten aber immer nur über die Firma mit ihm reden. Über Geschäftliches. Herr Silber konnte ihnen dabei aber nicht mehr folgen. Die Söhne erwähnten alle möglichen Namen von irgendwelchen Leuten und verstanden nicht, dass ihr Vater sich oft nicht mal mehr an die Namen seiner Söhne erinnern konnte.«

      Jana Mangold machte eine abwertende Handbewegung. »Warum können sie sich mit ihrem Vater nicht einfach mal über ganz simple Sachen unterhalten? Warum nur über Geschäftliches? Ihn fragen, wie es ihm geht, wie sein Tag war oder ob er vielleicht ein paar Blumen in seinem Zimmer haben will. Aber das können sie nicht. Ich finde das schlimm.«

      »Und seine Enkel? Kommen die ihn manchmal besuchen?«

      Jana Mangold zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß, hat er vier Enkel. Die Einzige, die verständnisvoll mit ihrem Opa umgeht, ist Julia. Die war aber auch schon länger nicht mehr da. Früher kam sie regelmäßig. Zweimal die Woche war sie bestimmt da. Vielleicht vermisst er sie ja? Julia ist doch die Kurzform von Juliane.«

      »Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit«, sagte Siebels nachdenklich.

      Till bekam Antwort von Anna Lehmkuhl. Drei tote Körper lagen noch auf Edelstahltischen in ihrem Wartezimmer. Kinobesuch noch ungewiss. Till seufzte leise.

      »Wissen Sie, wo ich diese Julia finden kann?«

      Till schaute Siebels ungläubig an. Da war definitiv kein Fall. Nur ein verwirrter alter Mann. Aber Siebels schien sich festbeißen zu wollen.

      »Nein, tut mir leid. Sie studiert Architektur. Alle seine Enkel studieren Architektur. Ist das nicht merkwürdig? Der alte Herr Silber war Architekt. Seine beiden Söhne sind Architekten und seine Enkelkinder wollen auch alle Architekten werden. Jeder Mensch hat doch andere Begabungen. Es gibt doch kein Architektur-Gen.«

      »Mein Vater hatte eine Kneipe«, gestand Siebels und konnte es nicht lassen, sich noch eine Zigarette anzustecken.

      »Du bist in einer Kneipe aufgewachsen?«, fragte Till ungläubig nach.

      »Jedenfalls habe ich als Junge da oft ausgeholfen. Gläser gespült und Fußboden gewischt. Was hat dein Vater denn gemacht?«

      »Der war Volkspolizist und mein großes Vorbild.«

      »Jetzt bin ich dein Vorbild.«

      Till wendete sich an Jana Mangold. »Können Sie meinem Vorbild hier bitte noch mal klipp und klar erklären, dass die Aussage von Herrn Silber aufgrund von dessen geistigem Zustand von der Mordkommission nicht weiterverfolgt werden muss.«

      »Vor Gericht hätte seine Aussage jedenfalls kein Gewicht«, versuchte Jana Mangold sich diplomatisch aus der Affäre zu ziehen. »Ich muss jetzt auch los, ich habe noch einen Termin. Haben Sie noch Fragen?« »Nein. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Vielleicht besuche ich Herrn Silber aber noch mal in den nächsten Tagen.«

      »Das würde mich freuen. Vielen Dank für den Kaffee.« Jana Mangold gab erst Siebels und dann Till die Hand. »Eine Harley passt wirklich besser zu Ihnen«, sagte sie zu Till, bevor sie sich auf den Weg machte.

      3


Скачать книгу