Diese Deutschen. Dietmar Krug

Diese Deutschen - Dietmar  Krug


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Kunst des Einseifens · Patschen und Pantoffeln

       19. Mein Österreich

      »Peters Brünnele« · Warum ich Trachten hasse · Wie ich auf Skiern frenetischen Applaus bekam · Auffallend viele Verrückte? · Warum ist diese Kolumne nicht aggressiver? · Eine üppige Fata Morgana · Meine ersten Wiener · Meine Frau, die Heidi · Sommerfrische

       20. Schlusswort

       Mein Dank

      1. Einleitung

      Was mich als Deutschen nach Österreich verschlagen hat? Die Liebe war’s. Die gibt es heute, fünfundzwanzig Jahre später, immer noch. Mit der Frau, die mich ins Land gelockt hat, habe ich eine Familie dazugewonnen, eine Schwiegersippe. Von der bin ich herzlich aufgenommen worden, übrigens ebenso wie die Lebensgefährtin meines Schwagers, die auch aus Deutschland stammt. Nun ist meine Schwiegerfamilie eine österreichische Familie, eine steirische, und die starke deutsche Fraktion in der Sippe hat dem Vater meiner Frau dann doch ein wenig Stirnrunzeln bereitet. Darum hat er seinem jüngsten Sohn, als der ins paarungsfähige Alter kam, einen Rat mitgegeben: »Du bringst aber schon wen Normalen heim, oder?« Der Junior hat seinen Rat beherzigt – und eine Polin geheiratet.

      Einen sonderbaren Stein im Brett hatte ich bei der Großmutter. Sie war die Gattin eines illegalen Nazis und hat im hohen Alter voller Schadenfreude gestanden, bei allen Wahlen seit Kriegsende insgeheim die Sozialisten gewählt zu haben. Sonst eher zu raumgreifendem Griesgram neigend, ließ sie sich bei meinem ersten Besuch zu dem Kommentar hinreißen: »Ein feiner Herr.« Also das hat nun wirklich noch niemand über mich gesagt. Ich habe übrigens Respekt vor Omas Urteil, denn sie verfügt über eine prophetische Gabe. Als sie ihre Enkelin, eine Cousine meiner Frau, einmal mit einer Puppe spielen sah, die einem afrikanischen Baby nachgebildet war, mahnte sie: »Gebt’s dem Kind kein Negerpupperl, sonst wird ’s noch mal mit einem Neger heimkommen.« – Die Cousine ist heute mit einem Nigerianer verheiratet und hat zwei Kinder …

      Zurück zu meinem Schwager, dem Junior, der »wen Normalen« geheiratet hat. Bei der Taufe seines ersten Kindes war die anwesende Sippschaft in zwei Lager geteilt: hier die Geschwister des Vaters samt unnormalem Anhang – alle aus der Kirche ausgetreten –, dort die polnische Verwandtschaft der Mutter, alle katholisch. Obwohl ich in der tief katholischen rheinischen Provinz aufgewachsen bin und als Ministrant so manche Taufe geschaukelt habe, war mir das Ritual inzwischen fremd geworden. Der Pfarrer hielt eine Ansprache über die Erbsünde und irgendwann muss ihm bewusst geworden sein, dass die Verwandtschaft der Mutter womöglich der deutschen Sprache nicht ganz mächtig sein könnte. Er blickte in die Runde und suchte nach einem Gesicht, dessen Mimik am ehesten verriet, dass es nicht die Bohne von der Botschaft mitbekam. Und der belämmertste Ausdruck war offenbar meiner. Mit besorgter, durchaus freundlicher Miene trat Hochwürden einen Schritt auf mich zu und fragte langsam, gedehnt und überaus artikuliert: »Ver-ste-hen Sie mich?«

      Mit diesen Zeilen habe ich mich im Februar 2010 den Lesern der Presse am Sonntag vorgestellt. Es war der Auftakt zu einer wöchentlichen Kolumne, der zu meiner großen Freude ein erstaunliches Ausmaß an öffentlicher Wahrnehmung zuteil werden sollte. Hunderte Leserbriefe gingen bei der Presse ein. Zwei Auftritte im österreichischen Fernsehen sollten folgen, einer davon im altehrwürdigen Club 2. Eine Redakteurin des Westdeutschen Rundfunks reiste eigens aus Köln an, um mit mir in einem traditionsreichen Wiener Restaurant ein Interview über Küche und Genussfähigkeit hüben und drüben zu führen. Robert Sedlaczek, Kolumnist der Wiener Zeitung, griff mich mehrmals scharf an und bezeichnete mich als »überheblichen Teutonen«. Roland Neuwirth, der Kopf der Mundart-Band »Extremschrammeln«, schrieb einen offenen Protestbrief an die Presse und saß mir später im Club 2 gegenüber. Der offizielle Rainhard-Fendrich-Fanclub forderte von mir eine öffentliche Entschuldigung, weil ich nicht nur das Idol, sondern »halb Österreich« beleidigt hätte.

      Ich hatte offenbar einen Nerv getroffen und wohl auch einen guten Zeitpunkt für die Kolumne erwischt. Meine Landsleute sind in den letzten Jahren in Scharen nach Österreich gekommen, über 200 000 waren 2013 in Österreich gemeldet, mehr als 40 000 davon allein in Wien. Die Deutschen bilden hierzulande inzwischen die größte Migrantengruppe. Sie begegnen einem überall, als Kellner im Wirtshaus ebenso wie als Kollegin auf der Arbeit. Und sie sind, gerade für österreichische Ohren, einfach unüberhörbar.

      Fünfundzwanzig Jahre in einem anderen Land schärfen einem nicht zuletzt den Blick für die Un- und Eigenarten des Landes, in dem man aufgewachsen ist und das einen geprägt hat. Mit den gelegentlichen Seitenhieben auf meine Landsleute habe ich mir aber zugleich vor meinem eigenen Gewissen den Freibrief erkauft, auch meine Wahlheimat immer wieder polemisch herauszufordern. Und Österreich ist bekanntlich ein Land, das sich gern provozieren lässt, zumal von einem Deutschen …

      Vielleicht sind ja meine kleinen Bosheiten nur die Revanche für so manche Anfeindung, die ein Deutscher hierzulande zwangsläufig erlebt. Man ist ja permanent gefährdet, in einen Familienkonflikt mit dem argwöhnischen kleinen Bruder zu geraten, selbst dann, wenn man der große gar nicht sein will. Das ist oft ein Spiel, es kann aber auch wehtun. Rassismus ist es sicher nicht, der ist jenen Migranten vorbehalten, die nicht zur Familie gehören. Doch letztlich sucht ein jeder Auswanderer in seiner neuen Welt das Gleiche: Akzeptanz. Die habe ich gefunden, nicht zuletzt in dem oft so überraschend regen und authentischen Austausch mit meinen Lesern. Es fällt mir nun leichter denn je, dieses Land auch als mein Land zu sehen, als meine Wahlheimat. Und Akzeptanz kann nur finden, wer sich öffnet für das Neue.

      2. Weichzeichner und Wunderwörtchen

       Österreichs rätselhafte Rituale

      Meine erste Begegnung mit der Abgründigkeit des österreichischen Deutsch hatte ich in der Straßenbahn. Da war ein Schild angebracht, auf dem stand in schwarzer Schrift auf silbernem Grund: »Bitte sich festzuhalten«. Das Seltsame an dieser Anweisung ist, dass sie streng genommen niemanden anweist. Eine sprachlich korrekte Aufforderung würde lauten: »Bitte halten Sie sich fest!« oder: »Bitte festhalten!« Und wenn die umständliche Nennform schon sein muss: »Wir bitten Sie, sich festzuhalten.« In dieser Version wäre auch klar, wer hier wen auffordert: »Wir, die Wiener Verkehrsbetriebe, bitten Sie, die Fahrgäste, sich festzuhalten.«

      Das Wort »bitte« ist eine Zauberformel, die Befehle erträglich macht, sie wendet sich direkt an ein Gegenüber und meint: Ich fordere dich zu etwas auf, aber ich respektiere dich. Darum befehle ich nicht, ich bitte dich. Bitte ist das »Sesam, öffne dich!« aus Kindheitstagen. Wollen wir einem Kind beibringen, wie es sozial verträglich (und damit erfolgreich) fordert, dann sagen wir: »Wie sagt man?«

      Die Aufforderung »Bitte sich festzuhalten« führt im Grunde in die Irre. Sie beginnt scheinbar mit der Höflichkeitsformel »bitte«, aber dieses »bitte« verwandelt sich beim Weiterlesen unversehens in ein Nomen, in »die Bitte«, etwas zu tun, nämlich sich festzuhalten. Es steckt etwas Kafkaeskes in diesem bruchstückhaften Amtsdeutsch: Da steht plötzlich eine Bitte im Raum, man weiß nicht recht, wer sie ausspricht, sie ist einfach da. Man erfährt nur vage, an wen sie sich wendet, und doch


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