Diese Deutschen. Dietmar Krug
das sei doch alles nur harmlose Frotzelei. Er habe zum Beispiel einen deutschen Schulkollegen gehabt, den »Scheibi«, der sei optimal in die Klasse integriert gewesen. Okay, man habe ihn schon mal auf die Schaufel genommen – aber Probleme, woher denn? Ich glaubte ihm das sofort, und erst nach meiner Frage, warum der Kollege denn »Scheibi« geheißen habe, wurde mir bewusst, dass ich wieder einmal der österreichischen Sprachmetaphysik aufgesessen war: »Nix Scheibi – mit hartem b/p!« Da fiel der Groschen, sein Name war eine Abkürzung. Für was? Für was wohl: Schei… Pie…
Die Kunst der uneigentlichen Rede
In meiner Anfangszeit in Wien bin ich einmal in eine peinliche Situation geraten. Ich hatte ein Fahrrad zur Reparatur gegeben, und als ich es abholen wollte, teilte mir der Verkäufer mit, dass er nicht nur wie vereinbart die Gangschaltung repariert, sondern auch noch einen defekten Bremszug ausgetauscht habe. Auf meine Frage, ob der Kostenvoranschlag jetzt noch gelte, meinte er: »Für den Zug muss ich Ihnen fast was verrechnen.« Gott sei Dank nur fast, dachte ich und wollte schon den ausgemachten Preis zahlen. Erst an der peinlichen Pause, die entstand, merkte ich, dass ich da etwas missverstanden hatte.
Was ich damals noch nicht wusste, war, dass die Österreicher mit dem Wörtchen »fast« nur in den seltensten Fällen »beinahe« meinen. »Mir wäre fast lieber« ist hierzulande eine ebenso gängige wie klare Willensbekundung. Die zusätzliche Abschwächung durch den Konjunktiv »wäre« verrät, was dem Österreicher ein Gräuel ist: die bestimmte Feststellung dessen, was er möchte. Die hiesige Alltagsrhetorik mäandert unentwegt um das zu Sagende herum – ein Albtraum für den nach schamloser Klarheit gierenden Deutschen.
Ein schönes Beispiel verdanke ich einem »Facebook«-Posting von einem Landsmann namens Kai Sann: Begegnen sich zufällig zwei Deutsche, die wenig verbindet und die das auch nicht zu ändern gedenken, dann wechseln sie beim Abschied eine möglichst unverbindliche Floskel wie »Man sieht sich«. In Österreich ist man in solchen Fällen charmanter und sagt: »Ruf ma sich z’samm!« Zum Problem wird das erst, wenn eine solche Begegnung eine deutsch-österreichische ist. Dann kann es vorkommen, dass der Deutsche in einem Anflug von Ordnungssinn noch rasch die Telefonnummern austauscht und – kleine Warnung an meine einheimischen Mitbürger! – am Ende auch noch anruft.
Ganz heikel sind solche Fälle uneigentlicher Rede, wenn mein Landsmann zur verbreiteten Spezies der Schnäppchenjäger gehört. So haben wir bei einer Burma-Reise einmal einen Kölner kennengelernt. Wir haben eine schöne Wanderung miteinander gemacht, waren zusammen essen, und als sich unsere Wege trennten, meinte meine Frau zu ihm: »Wenn du mal nach Wien kommst, musst du uns unbedingt auf einen Kaffee besuchen.« Hände wurden geschüttelt, nette Dinge gewünscht, Adressen getauscht. Bald nach der Rückkehr kam ein Mail des Kölners, in dem er uns mitteilte, dass er schon seine nächste Reise plane, nichts Großes, nur ein, zwei Wochen Wien, mit seiner neuen Freundin. Übrigens gedenke er, noch ganz erfüllt von der tollen Zeit in Burma, bei uns zu wohnen.
Die Antwort mit der Botschaft honigsüßen Abwimmelns habe ich dann doch meiner Frau überlassen. Wofür hat man schließlich eine Österreicherin an seiner Seite?
»Grüß Sie« – »Ich Sie auch!«
Jede sprachliche Interaktion ist eingebettet in eine emotionale Atmosphäre, die einem zumeist gar nicht bewusst ist. Das beginnt schon bei der simplen Begrüßung. Es ist halt ein Unterschied in Gestimmtheit und Selbstdarstellung, ob man zu jemandem »Hi« oder »Hallo«, »Servus« oder »Seawas« sagt.
Wenn man aus einer anderen Sprachwelt kommt, werden diese Selbstverständlichkeiten durcheinandergekegelt, auch und gerade dann, wenn die Muttersprache die gleiche bleibt. So stehe ich bis heute vor einem nie gelösten Dilemma, sobald ich einen Unbekannten begrüßen muss. Ich habe dann im Grunde nur zwei Möglichkeiten, wenn ich nicht salopp (»Hallo«), komisch (»Grüß Sie«) oder grotesk (»Griaß Ihna«) klingen will: Entweder ich sage »Guten Tag« oder »Grüß Gott«. Letzteres ist mir unbehaglich, weil die Formel einen hoch religiösen Inhalt hat. Und »Guten Tag« klang für meine Ohren schon immer recht förmlich, damit leitet man eher ein Amtsgeschäft ein als ein nettes Gespräch. Der Rheinländer mit seiner Aversion gegen die Zumutungen des Hochdeutschen entschärft den Gruß auf seine Art: »Tach«.
Sehr charmante Österreicher, denen der liebe Gott im Gruß auch eine Nummer zu groß ist, umgehen das Dilemma, indem sie einfach sagen, was sie gerade tun: »Ich begrüße Sie.« Wie erwidert man eigentlich einen solchen Gruß, mit »Ich Sie auch«?
Skurril kann es werden, wenn der Migrant nicht aus dem deutschen Sprachraum kommt. So habe ich einmal als Student in einer rheinischen Kartonfabrik gearbeitet. Der pakistanische Arbeiter, der am Fließband neben mir stand, begrüßte mich jeden Morgen mit einem aufgeräumt klingenden »Asklah«. Ich war überrascht über sein Selbstbewusstsein, in dieser keineswegs fremdenfreundlichen Umgebung in seiner Muttersprache zu grüßen, bis ich bemerkte, dass sein »Asklah« nur die akzentgefärbte Klangvariante jener Frage war, mit der sich dort alle einheimischen Arbeiter begrüßten: »Alles klar?« Was sein Gruß eigentlich bedeutete, war ihm nicht bewusst. Wahrscheinlich begrüßte er so auch Amtspersonen und Würdenträger.
Von einem ähnlichen Phänomen erzählt die Schriftstellerin Eva Menasse. Man habe ihr berichtet, wie ausländische Kunden sich in einem Wiener Supermarkt von der Kassiererin mit »Sakala« verabschiedeten. Was die Kunden nicht wussten (und worauf sie auch niemand hinwies), war, dass sie mit ihrem Gruß nur lautlich die Erkundigung der Angestellten imitierten, ob sie eine Tüte benötigen: »Sackerl a?«
Der geradezu lyrische Höhepunkt dieser babylonischen Sprachverwirrung wäre es, wenn der Migrant aus Deutschland eines Tages auf seinen Schicksalsgenossen aus Österreich treffen würde: »Asklah« – »Sakala«.
Der Siegeszug eines Zischlauts
Ob man einen Abschiedsgruß als angenehm oder unerträglich empfindet, darüber entscheidet oft allein die Wortmelodie. Es liegen Welten dazwischen, ob ich das gängige »Ciao« mit kurzem Auslaut nüchtern eindeutsche oder ob ich es in italienischer Manier mit weit offenem A singe. Letzteres will signalisieren: Ich besitze Stil, Dolce Vita und gehöre nicht zum Pöbel.
Das Ciao ist indes ein probates Mittel, um sich vor einem noch recht jungen Sprachwandel zu drücken. Es ist mir ja ein Rätsel, wie sich in Österreich das nord- und mitteldeutsche »Tschüss«, dieser uncharmante Zischlaut, hat durchsetzen können. Die Geschichte seines hiesigen Siegeszugs lässt sich an den diversen Auflagen des Österreichischen Wörterbuchs nachvollziehen. Die Ausgabe von 1969 erwähnt das Tschüss nicht einmal, 2001 wird noch seine norddeutsche Herkunft vermerkt, und 2006 ist es bereits eingemeindet, allerdings mit dem Hinweis, es sei romanischen Ursprungs. Auf weite Sicht stimmt das auch, es stammt von »Adjuus«, einer wallonischen Variante von »Adieu«.
Der Rheinländer, der es nicht so mit den scharfen Kanten hat, sagt zwar auch beim Abschied »Tschüss«, allerdings mit so stark ausgeprägtem Ü zwischen den beiden Zischlauten, dass ihnen jede Schärfe genommen wird. Besonders musisch veranlagte Anhänger des rheinischen Singsangs machen gar ein »Tschö« daraus und zelebrieren dabei einen langen, weit nach unten gezogenen Belcanto im Schlusslaut (Tschö-ö), bei dem jeder Italiener vor Neid erblassen würde, hätte dieser Abgesang nicht eine so einfältig-infantile Note.
Doch was die freiwillige Verkindlichung beim Abschied anlangt, schlagen die Österreicher einfach alles. Ich begreife bis heute nicht, wie sich erwachsene Menschen völlig ironiefrei mit einem Baby-Lalllaut verabschieden können: »Baba«. Wie viel schöner ist da das hiesige »Pfiat di« (das allerdings auch wieder besonders reizend klingt, wenn ein Kind es sagt). Es ist für meine Ohren der Inbegriff des alpenländischen Klangs, darum kommt es mir auch nicht über die Lippen.
»Pfiat di« bedeutet »Behüt dich (Gott)« und wünscht einem etwas Ähnliches wie »Adieu« (»Gott befohlen«), aber das Sympathische