Diese Deutschen. Dietmar Krug
davon, dass ich beim Klang von »Adieu« immer eine Szene aus einem französischen Film vor Augen habe: Eine Frau, schicksalhaft schön (was sonst), getrieben von einer rätselhaften inneren Stimme, verlässt, in der Regel bei Regen, ihren Geliebten und haucht dabei nicht etwa Baba, sondern: Adieu …
Also dann noch lieber: Und tschüss!
Warum ich das Wort »doof« liebe
Ein Wiener Freund hat mir gestanden, er mag das Wort »doof«. Ich war überrascht, gilt das Schmähwörtchen doch als ur- und erzbundesdeutsch. Aber der Freund hat einige Jahre in Frankfurt gelebt, und dort habe er bemerkt, dass das Wort einen eigenen Reiz hat. In den Genuss dieses Reizes ist auch meine Frau bei einem Besuch in meinem Heimatdorf gekommen. Bei einem typisch deutschen Straßenfest mit Grillwürstchen und Fassbier saß unsere betagte Nachbarin neben uns und sagte fortwährend: »Mein Mann, der ist ja so was von doof.« Meine Frau war irritiert über die Urteilsfreudigkeit der alten Dame, zumal deren noch betagterer Gatte uns gegenüber saß und in der Tat ein wenig einfältig vor sich hin lächelte. Was meine Frau nicht wusste, war, dass »doof« im Niederdeutschen auch »schwerhörig« bedeutet.
Das Wahrig-Wörterbuch definiert »doof« als »dumm, töricht, einfältig, langweilig«, doch die Doofheit hat noch einen Bedeutungsaspekt, der den angeführten Synonymen nicht eignet. Die niederdeutsche Nebenbedeutung weist die Richtung: Wer nichts hört, bekommt nichts mit und kann, sofern er noch am geselligen Treiben teilhaben will, allenfalls treudoofe Miene zum traurigen Spiel machen. Und so wie der Taube an einem Schalldämpfer laboriert, ist der Doofe durch einen Gedankendämpfer gegen die Außenwelt abgeschottet.
Jemanden als doof zu bezeichnen, ist eine sanftere Schmähung, als ihn dumm, dämlich oder deppert zu schimpfen. Wer doof ist, für den gelten mildernde Umstände.
Es war gewiss eine Barbarei der deutschen Filmwirtschaft, die Jahrhundertkomiker Laurel und Hardy »Dick und Doof« zu taufen. Und doch trifft es auch hier etwas. Das komödiantische Genie des Stan Laurel beruhte nicht zuletzt auf der Fähigkeit, eine Figur zu verkörpern, die wunderbar innig in der Watte ihrer eigenen Beschränktheit ruht.
Ein echtes österreichisches Pendant zu »doof« gibt es nach meinem Sprachgefühl nicht. Mit dem Wort »terisch« hat es zwar eine ähnliche Bewandtnis, es ist sprachgeschichtlich mit »töricht« verwandt, doch seine kognitive Dimension hat es verloren. Wer terisch ist, bei dem hapert’s nur noch am Hör-, nicht am Scharfsinn. (Kein Wunder: Wer hierorts einem Gespräch nicht folgt, fällt längst nicht so rasch auf wie in meinem Heimatland, dem Dorado der permanenten Hochleistungskommunikation.) Auf die umgangssprachliche Logik, dass ein tauber Mensch zugleich eine taube Nuss ist, darauf konnten nur die Deutschen verfallen.
Wenn man deutsche Talkshows mit österreichischen vergleicht, meinte mein Wiener Freund, dann hat man oft den Eindruck, den Österreichern falle es schwer, etwas zu sagen, den Deutschen hingegen, nichts zu sagen.
Die Arschkarte ist kein Bummerl
Wenn jemand im Deutschen ins Umgangssprachliche verfällt, dann landet er erstaunlich oft in der Bildsprache des Analen. Unter dem Stichwort »Arsch« listet der Redensarten-Duden seitenweise Belege auf. Eine der kuriosesten Wendungen ist »die Arschkarte ziehen«, was so viel bedeutet wie: der Benachteiligte sein, den Schaden davontragen. Worin besteht nun der Zusammenhang von Schicksal und Sitzfleisch? Eine gern bemühte Erklärung führt in die Welt des Fußballs. Der Schiedsrichter habe entweder die Gelbe Karte aus der Brusttasche oder die Rote aus der Gesäßtasche gezogen, um im Zeitalter des Schwarz-Weiß-Fernsehens dem Zuseher zu signalisieren, ob der Spieler nur verwarnt oder gar verwiesen wird. Robert Sedlaczek, Kolumnist der Wiener Zeitung, hat diese Erklärung nach einem Gespräch mit einem Schiedsrichter bezweifelt. Zu Recht, denke ich, denn allein schon der Bildgehalt passt nicht. In der Redensart zieht doch der Betroffene selbst seine Analkarte, er bekommt sie nicht von einer höheren Instanz gezückt und gezeigt.
Plausibler erscheint mir eine Herkunft aus der Sphäre der Spielkarten. Wer die Arschkarte zieht, hat den Schwarzen Peter erwischt (den man allerdings eher jemandem zuschiebt, listig oder tückisch, darum klingt er auch nicht so offen derb). Mit der Arschkarte hat man das miese Blatt mit eigener Hand gezogen, man ist am Arsch, kriegt denselben nicht mehr hoch, auch wenn man ihn sich noch so aufreißt, alles ist für Arsch und Friedrich.
Auch im Wienerischen gibt es den redensartlichen Zusammenhang zwischen der Verliererstraße und dem Pech beim Kartenspiel. »Einer hat immer das Bummerl«, heißt es im Lied. Also wenn ich rein klanglich die Wahl hätte zwischen so einem Bummerl mit seinem runden, weichen Klang und der Arschkarte mit ihren harten Konsonanten, die zum Rollen und Zischen geradezu einladen, dann müsste ich nicht lange überlegen. Das Bummerl ist der fette Minuspunkt, den man sich beim Schnapsen einhandelt, es ist sprachlich mit dem Pummelchen verwandt, da hat man etwas Weiches, Knuddeliges in der Hand. Ach, die Welt ist voller Bummerln, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis man selbst so ein pummeliges Ding in Händen hat. Und wenn es dann so weit ist, bleibt einem immer noch die Sentimentalität des Wienerlieds.
Offenbar gehen Deutsche und Österreicher anders mit den Unbilden des Lebens um. Der Wiener identifiziert sich mit seinem Bummerl, laut Österreichischem Wörterbuch kann man ein Bummerl nicht nur haben, man kann auch eines sein.
Zur Arschkarte indes kann niemand werden, die kann man nur ziehen. Wer sie hat, ist ein Kandidat für Spott und Herablassung, aber nie ein Fall fürs Hoffnungslos-Sentimentale.
Grundeis und Arschwasser
Wörter und Wendungen sind bisweilen in der Lage, ganze Kindheitsszenarien wieder aufleben zu lassen. »Der hat mehr Angst als Vaterlandsliebe«, sagte unlängst ein Besucher aus Deutschland, und schon tauchten die Dorfkinder meiner Kindheit vor mir auf. Wie lange hatte ich diese Redensart nicht mehr gehört. Sie war in meiner Heimatwelt eine gängige Art, jemanden als Hasenfuß zu bezeichnen, aber es gab weit boshaftere Arten, jemandem zu attestieren, dass er alles andere als ein Held ist. Die deutsche Geschichte hatte die Redensart mit Ironie getränkt. Eine Angst, die größer war als die Liebe zum Land, galt längst als lässliche Sünde. Gott sei Dank, denn wenn es sich umgekehrt verhält, dann wird’s meist ungemütlich – und keineswegs immer nur für die Bösen. Kennt man die Redensart eigentlich in Österreich? Ich vermute, sie stammt aus der Sphäre des preußischen Militarismus.
Eine ebenso gängige Redensart in meiner Heimatwelt war: »Dem geht die Muffe« oder »Der hat Muffensausen«. Wie oft habe ich das einst gehört und gesagt, aber ich habe bis heute nicht gewusst, was das Sprachbild eigentlich bedeutet. Das Österreichische Wörterbuch kennt den Ausdruck nicht, der Duden erklärt es so: »Die Wendung geht von ›Muffe‹ (= Abschlussstück am Rohrende) im Sinne von ›After‹ aus und bezieht sich darauf, dass sich in Angstund Erregungszuständen die Afterschließmuskeln unwillkürlich in kurzen Abständen zusammenziehen.«
Die verdauungsfördernde Wirkung der Angst hat sich tief in die Bildwelt der deutschen Sprache eingeschrieben. Wenn jemand so richtig die Hosen voll hat, dann ist er gerade dabei, sich vor irgendwas anzuscheißen. Und hierzulande ist jemand, dem nichts und niemand Furcht einflößt, ein wilder Hund, der sich nix scheißt, selbst dann nicht, wenn die Kacke am Dampfen ist, wie man bei uns so schön sagt.
Aber es muss ja nicht immer direkt-derb zugehen. Wo der Deutsche das Ungustiöse bildlich mit der Muffe bemäntelt, greift der Österreicher zum Getreide. Denn wenn jemandem der Reis geht, dann ist doch wohl eher das gemeint, was sich auf Reis reimt und was aus demselben wird, wenn er erst einmal verdaut ist.
Eine der witzigsten, wohl aus Norddeutschland stammenden Redewendungen aus dem Bereich des Ängstlich-Analen lautet: »Dem geht der Arsch auf Grundeis.« Grundeis bildet sich am Boden von Binnengewässern. Wenn es sich bewegt, erzeugt es ein Geräusch, das dem Rumoren in den Eingeweiden ähnelt. Die österreichische Entsprechung