Diese Deutschen. Dietmar Krug

Diese Deutschen - Dietmar  Krug


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eine Reise wert? Natürlich nicht! So zumindest lautete meine Antwort in jungen Jahren, und ich war mir da mit all meinen Freunden einig. Reisen hieß für uns, Deutschland den Rücken zu kehren, nach Frankreich, Italien oder Irland zu fahren. Und wenn es nur ein Wochenendausflug war, dann zog es uns nicht etwa in die nahe gelegene Eifel mit ihrer vulkanischen Mittelgebirgslandschaft, sondern nach Paris, Amsterdam oder an Hollands Nordseeküste, die von Aachen aus in drei Autostunden zu erreichen war.

      Einmal aber hat es uns nicht ins niederländische Westfriesland, sondern ins deutsche Ostfriesland verschlagen. Wir nahmen Quartier auf einem Campingplatz, auf dem wir uns bald wie zu Hause, also völlig fehl am Platz, fühlten. Die Gäste dort kramten morgens ihre Klappräder aus ihren umzäunten Wohnwägen und fuhren damit zum platzeigenen Supermarkt. Während die Frauen ihre Einkäufe erledigten, kippten die Männer im ersten unbeobachteten Moment des Tages flugs ihr Frühstücksbierchen an der Frittenbude.

      Am Abend taten wir, was Halbwüchsige auf Campingplätzen so tun: Wir hörten Sirenenmusik aus offenen Autotüren, in der Hoffnung, damit Gleichgesinnte anderen Geschlechts anzulocken, um mit ihnen brüderlich unsere Weinvorräte zu teilen. Stattdessen kam schon bald ein junger Mann mit adretter Kurzhaarfrisur auf einem Dienstklapprad angesaust, der uns kundtat, dass innerhalb des Geländes nach 20 Uhr jegliche Musik striktest untersagt sei. Bei Nichtbeachtung: Tschüss samt Sack und Pack! Er sagte das ohne Vorwarnung und in einem Ton, der uns befürchten ließ, er könne jederzeit per Trillerpfeife die schlagstockbewehrte Drahtesel-Kavallerie herbeirufen.

      Ist Deutschland also keine Reise wert? Die Fachhochschule Salzburg hat in Kooperation mit der FH Hamburg eine repräsentative Umfrage unter Österreichern und Deutschen durchgeführt. Gefragt wurde nach dem Image des jeweiligen Nachbarlands. Demnach liegt Österreich für die Deutschen auf Platz vier der beliebtesten Ziele für den Haupturlaub. Umgekehrt kommt Deutschland für die Österreicher gerade noch unter die Top Ten. Österreich schneidet in so gut wie allen Kategorien der Umfrage besser ab: Ruhe und Erholung, Gastfreundschaft und Atmosphäre, Preis-Leistungs-Verhältnis. Nur in einem Punkt führt Deutschland um Längen: Sicherheit. Ein dreifaches Hoch auf die ostfriesische Kavallerie!

      Ich weiß nicht, ob es Heimweh ist oder beginnende Altersmilde, aber wenn ich heute mit dem Zug an den Weinbergen des Mittelrheins entlangfahre, durch eine Landschaft, die es in ihrer Anmut locker mit der Wachau aufnehmen kann, dann denke ich: Vielleicht sollten wir unserem Land noch ein zweite Chance geben.

       Die Kunst, seinen Neid zu tarnen

      Anfang der Siebzigerjahre tauchte in meinem rheinischen Heimatdorf erstmals der Gedanke des Recyclings auf. In sämtlichen Kellern wurde plötzlich stapelweise Altpapier gehortet, und einmal im Jahr fuhr ein Traktor mit Anhänger durchs Dorf, um das neu entdeckte Gut abzuholen. Seit dieser Zeit konnte ich unseren Nachbarn dabei beobachten, wie er Woche für Woche einen Stapel Zeitungen in seine Abfalltonne warf. Als ich ihn fragte, warum er das tue, meinte er: »Ich krieg die Mülltonne nicht voll.« Eine halb genutzte Tonne – und das, obwohl er die volle Jahresgebühr bezahlt hatte? Fürwahr ein Dilemma! Und ein sehr deutsches dazu.

      Mit einem ähnlichen Problem wurde ich kürzlich bei einem Besuch in meiner Heimat konfrontiert. Ein Freund hatte mich zu einer Band-Session eingeladen und erzählte mir, dass eine seiner Just-for-fun-Bands kurz vor der Auflösung stehe. Neben einigen anderen Konflikten habe man sich auch über die gerechte Nutzung des Proberaums zerstritten. Denn hinter der eigentlichen Krawallhalle befindet sich noch ein weiterer Raum, der lange leer gestanden hatte, bis mein Freund ihn dazu nutzte, einige Möbel darin zu lagern, die er nach einem Todesfall in der Familie aus erbrechtlichen Gründen nicht auf die Schnelle entsorgen konnte.

      Keiner seiner Band-Kollegen hatte je einen Anspruch auf den Raum erhoben, aber seit die Möbel darin standen, meldete sich offenbar bei einigen jener kategorische Nutzungsimperativ, der schon meinem Nachbarn die Nachtruhe gekostet hatte. Warum durfte jemand diesen zweiten Raum nutzen, obwohl er keinen Cent mehr Miete zahlte als man selbst? Wahrscheinlich begann der eine oder andere schon die eigene Garage zu durchforsten, auf der verzweifelten Suche nach möglichem Lagergut, um dieses peinigende innere Nagen zu besänftigen. Ein Paradebeispiel dafür, wie leicht eine verabsolutierte Rationalität – die millimetergenaue Messbarkeit ungenutzter Räume – ins Irrationale umschlagen kann.

      Dass ein Gut erst dadurch interessant wird, weil ein anderer es begehrt, ist natürlich kein typisch deutsches Phänomen. Die Welt ist voller Kinder, die ein Spielzeug zuerst achtlos links liegen lassen und dann plötzlich ein Seelendrama durchleben, sobald ein anderes Kind damit spielt. Das typisch Deutsche an dem Bandkonflikt ist, dass hier ein im Grunde kindlicher Neidreflex so weit durch Scheinrationalität getarnt wird, dass man sich im vollen Recht wähnt, ihn ungehemmt ausleben zu dürfen.

      Zur Ehrenrettung des Proberaumkollektivs sei gesagt: Die Streiter für ein Recht, das die Kleinlichkeit zur Tugend erhebt, blieben in der Minderheit. Ein Rock-’n’-Roll-Tempel als Stätte deutscher Nutzungsneurosen wäre wohl die denkbar muffigste Form von I can’t get no satisfaction.

       Ein Bad in der Geilheit des Geizes

      Wenn wir im Urlaub andere Reisende kennenlernen, lasse ich beim Erstaustausch gern meiner Frau den Vortritt. Vor allem bei der Frage nach der Herkunft hänge ich gewisse deutsch-österreichische Differenzierungen längst nicht mehr an die große Glocke. Ein »Ah, Germany« klingt nun einmal ganz anders als ein »Oh, Austria«, geschweige denn ein »Oooh, Vienna!«. (Obwohl ich immer wieder verblüfft bin, wie die Österreicher es geschafft haben, so völlig ohne Imageschäden aus unserer gemeinsamen Vergangenheit davongekommen zu sein.)

      Bei unseren Asienreisen musste ich zwar für meinen geborgten Platz an der Sonne Fragen nach der Sprungweite großer Beuteltiere in Kauf nehmen. Doch gerade in dieser Region habe ich nur zu gern von der rot-weiß-roten Tarnkappe Gebrauch gemacht. Vor allem deshalb, weil man dort bei den Preisen für die Traveller-Quartiere feilschen kann, was das Zeug hält – ein Eldorado für die Sammler- und Schnäppchenjäger-Instinkte meiner Landsleute. (Apropos: Was wäre eigentlich das österreichische Pendant zum Schnäppchen: »Schnapperl«?)

      Teilt man in Asien mit einem Deutschen die Unterkunft, kommt in neun von zehn Fällen unweigerlich die Frage: »Was habt ihr fürs Zimmer bezahlt?« Und je nach Antwort gibt es dann zwei Möglichkeiten. Entweder man erntet ein Lächeln, das einen daran erinnert, in welchem Land der monströs geschmacklose Slogan »Geiz ist geil« erfunden wurde. Oder man hat einen Menschen vor sich, dem soeben sichtlich das Lachen vergangen ist. Das Skurrile ist, dass es dabei meist um Beträge geht, die hierzulande dem Wert eines halben Schokoriegels entsprechen. Da kann jede Quantität in die Qualität der Qual oder der Beglückung umschlagen.

      Der Grund für dieses Phänomen liegt darin, dass die Deutschen nichts mehr fürchten als das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden. Davor sind sie ständig auf der Hut, was sie übrigens mit den Österreichern teilen, wenn auch in einer anderen Befindlichkeit. Die Österreicher erleben eine Benachteiligung – und ihnen widerfährt so etwas ja dauernd – als Bestätigung ihrer Erwartung, dass es eh immer nur sie trifft. Wen auch sonst? Die deutsche Reaktion ist: Mit mir nicht! Das können diese Deutschen deshalb, weil sie sich auf ihrem ureigenen Terrain befinden, der Irrationalität des Rationalen. In der Garage steht ein Auto im Wert von zwei Jahresgehältern, doch in der Kantine verzichtet man auf den Beilagensalat, weil er nicht im Menüpreis inbegriffen ist.

      So hält das Minenfeld drohender Benachteiligung am Ende für beide, Österreicher wie Deutsche, stets auch Oasen der Wonne bereit. Entweder als Quell ewiger Raunzlust oder als Gelegenheit für ein ungeniertes Bad in der Geilheit des Geizes.

       Japaner sind auch nur Piefke

      Als ich noch jung und voll der Pläne war, hatte ich eine Zeit lang das sündteure Vergnügen, Privatunterricht bei Professor Tasashi Suzuki zu bekommen. Ich wollte Musik studieren, und er war die Koryphäe für klassische Gitarre an der nächstgelegenen


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